Expertentalk

„Wir brauchen eine Investitionsoffensive“

Derweil sich etliche Handelsketten aus den Citylagen verabschieden, investiert die Verbundgruppe Intersport in Bricks and Mortar. CEO Alexander von Preen diskutierte mit HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in der Juli-Ausgabe des handelsjournals über die künftige Rolle des Handels in der City.

Von Mirko Hackmann 12.09.2022

© clu/iStockphoto

Einkaufserlebnis: Während die Umsatzkurve im E-Commerce nach dem Boom in den Coronajahren nun wieder deutlich abflacht, wächst der Wunsch nach attraktiven Innenstädten.

Herr Genth, wie sieht Ihre Customer Journey aus, wenn Sie auf der Suche nach einem Sportartikel sind?
Genth: 
Ich bin sehr sportaffin. Einerseits jogge ich viel. Zudem fährt meine ganze Familie leidenschaftlich gern Ski. Geht es darum, Laufschuhe zu kaufen oder Skier und Skischuhe anzupassen, führt für mich kein Weg am Händler meines Vertrauens vorbei. Ohne den Onlinehandel schlechtreden zu wollen, käme ich nie auf die Idee, solche Produkte im Internet zu kaufen. Ich brauche Beratung und möchte verschiedene Modelle anprobieren. Gleichwohl informiere ich mich vorher im Netz. Entscheidend aber sind der Service und die Beratung auf der Fläche. Deshalb bleibe ich meinem Fachhändler in der Innenstadt treu.

Herr von Preen, bis 2025 planen Sie, im Onlinehandel zwei­stellig zuzulegen. Zudem wollen Sie Millionen investieren, um Modernisierungs- und Erweiterungsmaßnahmen in Ihrem Händlernetz umzusetzen. Sie sind also optimistisch, was den statio­nären Handel und den Standort Innenstadt angeht?
von Preen:
 Das dürfen und müssen Sie auf jeden Fall so interpretieren! Doch wie Herr Genth verteufeln wir mitnichten den Onlinehandel. Die Zeit der Coronapandemie hat unsere Strategie eindrücklich bestätigt, unsere komplette Wertschöpfungskette zu digitalisieren – von unseren Lieferanten, über unsere Zentrale, unsere Händler und Händlerinnen – bis hin zu unseren Kunden und Kundinnen. Wichtig ist dabei, dass wir unsere Kaufleute, die alle eine stationäre DNA haben, gezielt dabei unterstützen, neue Vertriebskanäle zu etablieren und mittels Omnichannel-Konzepten Synergien zu heben. Die von Herrn Genth beschriebene Customer Journey, die mit der Informationssuche im Internet beginnt, ist beispielhaft. Wir sehen das ganz klar: Für Produkte, die einer Beratung bedürfen und die teurer sind als ein Shirt oder Socken, kommen die meisten Kunden lieber auf die Fläche. Entscheidend ist, vor Ort mit gut geschultem Personal mit entsprechendem Know-how punkten zu können – auch online. Es geht um einen 365-Grad-Omnichannel-Ansatz. Deshalb investieren wir stark in die Qualifizierung unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Darüber hinaus braucht es auch neue Rahmenbedingungen in den Innenstadtlagen, die es dem stationären Handel ermöglichen, ein rundum überzeugendes, attraktives Einkaufserlebnis zu bieten.

Herr Genth, was muss sich ändern in den Innenstädten, ­damit sie nach der Pandemie und trotz kriegsbedingter Kaufzurückhaltung wieder auf die Beine kommen?
Genth:
 Wir nutzen alle häufig ganz selbstverständlich den Begriff „Innenstadtkrise“. Diesen Befund würde ich zumindest infrage stellen. Natürlich wandeln sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und damit das Kundenverhalten – bisweilen auch kurzfristig. Das sieht man aktuell infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine massiv: Die Auswirkungen der Konsumzurückhaltung sind mittelbar ablesbar an den sinkenden Frequenzen in den Innenstädten. Im Grunde aber besucht fast jeder von uns gerne eine attraktive Innenstadt – sofern man gut und möglichst umweltfreundlich hinkommt. Letztlich muss aber der gesamte Spannungsbogen passen, also die Mischung aus Aufenthaltsqualität, Baukultur sowie attraktivem und vielfältigem Einzelhandelsangebot.

Herr von Preen, obwohl Sie Ihre Omnichannel- und Digitalisierungsstrategie weiter vorantreiben wollen, versprechen Sie „in ganz Deutschland neue Erlebnisse auf neuen und modernisierten Flächen“. Die ersten der 115 Urban-Sports-Flächen sind installiert. Was ist die Idee hinter diesem Ladenkonzept?
von Preen:
 463 unserer Händlerinnen und Händler setzen die Urban-Sports-Flächen um und investieren bis Jahresende zwischen 80.000 und 250.000 Euro. Damit möchten wir zwei Dinge erreichen. Zum einen eine notwendige Modernisierung. Wir wollen die starke Marke Intersport neu positionieren, sodass klar ist, Intersport steht für Qualität, Nähe, Vielfalt, Expertise und Verantwortung. Dabei soll unsere Brand auch deutlich machen, dass wir allen Zielgruppen bieten können, was sie individuell benötigen. Entsprechend gilt es, eine Erwartungshaltung zu kreieren. Dazu braucht es zwar nicht Einheitlichkeit, aber Wiedererkennbarkeit – mit unterschiedlichen regionalen Ausprägungen. Es gibt ein Grundsortiment, das 60 bis 70 Prozent der Waren umfasst und stationär wie online einheitlich ist. Hinzu kommen regionale Schwerpunkte, je nachdem, ob ein Geschäft an der See oder in den Bergen liegt. Ziel der Investitionskampagne ist zudem, Erlebnisse zu schaffen und Kunden im Geschäft Dinge zu zeigen und ausprobieren zu lassen. Je nach Flächengröße ist das in unterschiedlichem Umfang möglich. Fußabmessung, simulierte Wanderwege sowie Kälte- und Wärmekammern lassen sich auch auf überschaubaren Quadratmeterzahlen abbilden. Für Kletterwände braucht es deutlich mehr Raum.

Herr Genth, selbst wenn mehr Händler das Geld und den Mut hätten, wie Intersport in neue Flächenkonzepte zu investieren, hat der Handel allein noch die Kraft, die Innenstädte zu drehen?
Genth: 
Wir brauchen eine Investitionsoffensive des Handels. Doch trotz Wirtschaftshilfen ist das Eigenkapital vieler Unternehmen stark angegriffen. Gleichwohl braucht es den Mut, nach vorn zu gehen, aber auch Unterstützung aus der Kreditwirtschaft sowie der Politik. Analog zu Programmen wie dem Aufbau Ost geht es nun darum, die Innenstädte in ganz Deutschland fit zu machen. Nach dem Boom in den Coronajahren flacht die Umsatzkurve im E-Commerce nun wieder deutlich ab. Der Wunsch nach attraktiven Innenstädten und einem attraktiven Einzelhandel besteht weiterhin über Altersklassen hinweg. Insofern sind die Voraussetzungen auf der Nachfrageseite gut. Sowohl Wirtschaftsminister Habeck als auch Bauministerin Geywitz, mit denen wir im intensiven Dialog stehen, haben die Bedeutung des Innenstadtthemas erkannt. Auf Bundesebene erfahren wir also starken Rückhalt. Aber das Thema muss durchgespielt werden bis in die Städte und Kommunen, denn vieles wird vor Ort entschieden – und muss auch dort gelöst werden.

Herr von Preen, in allen Stadtgrößen sind die stadtbildprägenden Ketten auf dem Rückzug, schließen Filialen und verkleinern Flächen. Sie müssen zudem gegen Ihre Mitbewerber Sport 2000 und Decathlon antreten. Ist Ihre Expansionsstrategie eine Flucht nach vorn?
von Preen
: Wir freuen uns immer, wenn wir Mitbewerber im Umfeld haben, weil das die Frequenz stärkt. Unsere Zuversicht beruht zum einen auf der Überzeugung, dass sich in der Handelslandschaft gerade ein Konsolidierungsprozess vollzieht. Das schließt auch die Flächengrößen mit ein: Künftig wird es weniger um Menge als um Qualität gehen. Hier setzen wir an. Zum anderen stehen die Themen Gesundheit und Sport bei Konsumenten und Konsumentinnen zurzeit sehr hoch im Kurs. Was wir auch sehen, ist der Trend, dass sportiv-legere Outfits längst nicht mehr allein für den Freizeitbereich gefragt sind. Für uns gilt es jetzt, diese Chancen zu nutzen und zu investieren. Wir sind zuversichtlich, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen wieder in die Innenstädte zurückkehren wollen. Um deren Attraktivität zu steigern, ist jedoch nicht allein der Handel gefordert, sondern auch die Kommunen selbst, ebenso Akteure wie Gastronomen sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen.

Herr Genth, welche Maßnahmen er­warten Sie von der Ampelkoalition, um die Innenstädte wiederzubeleben?
Genth:
 Der Bund kann nur den Rahmen vorgeben. Aber in der Gesetzgebung wäre einiges mehr möglich für den Handel, beispielsweise bei den Bauvorschriften und im Immissionsschutz, um Ansiedlungen und Umbauten zu vereinfachen. Auf der anderen Seite steht die Frage nach der finanziellen Unterstützung. Diesbezüglich werben wir für gezielte Investitionen, darauf fokussiert, die Innenstädte klimafreundlicher und digitaler zu machen. Zudem fordern wir gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag sowie dem Deutschen Städte- und Gemeindebund einen Innenstadtfonds, der die Kommunen in die Lage versetzt, in ihre Flächen und Fußgängerzonen zu investieren sowie für digitale und verkehrliche Erreichbarkeit zu sorgen. Dazu stehen wir im Beirat Innenstadt mit Bundesbauministerin Geywitz im engen Austausch und haben mit anderen Stakeholdern gemeinsam eine Innenstadtstrategie entwickelt, die das abbildet. Um sie wiederzubeleben, brauchen wir eine öffentliche Offensive für die Innenstadt. 

Schlagworte: Innenstädte, Einzelhandel, City, Innenstadt-Lage

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