Post-Covid-Retail

Wie stationäre Händler jetzt ihre Zukunft sichern

Die Pandemie hat einen Trend verstärkt, der schon vor der Coronakrise sichtbar war: Der stationäre Einzelhandel verliert seit Jahren an Relevanz. Eine Studie der Unternehmensberatung FTI-Andersch beschreibt Projekte, die Händler jetzt angehen sollten, um ihre Zukunft zu sichern.

23.06.2021

© Magic Mirror

Ein sogenannter Smart Mirror lässt Kunden Produkte betrachten und bietet virtuelle Anproben.

► Mit digitalen Konzepten in Stores experimentieren

International gibt es sie bereits: Smart Mirrors im Modehandel. Das sind Spiegel, die Kundinnen und Kunden ausmessen oder sie bei der Anprobe entsprechend in Szene setzen. Andere Beispiele für digitale In-Store-Erfahrungen laut Studie: Individualisierte Handy-Navigation, Interaktion mit Remote-Beratern, automatische Bezahlung durch Sensoren und KI. Mike Zöller, Studienautor und Retail Experte bei der Unternehmensberatung FTI-Andersch, erklärt: „Nicht nur jüngere Kundinnen und Kunden sind heute dauerhaft online. Die Lockdowns haben digitales und reales Leben noch weiter miteinander verwoben. Das muss der Handel aufgreifen – und einen fließenden Übergang zwischen den Welten entwickeln.“ Um besser zu verstehen, was bei der eigenen Zielgruppe ankommt, könnten Händler in Digital Stores gezielt experimentieren. Bevor digitale Initiativen groß ausgerollt würden, lohne es sich, Technologien erst einmal in Pilotprojekten auszuprobieren. Dafür eignen sich Zöllers Ansicht nach vor allem Läden in Ballungszentren.

► (Social Media) Trends vor Ort erlebbar machen

Der Einzelhandel bestellt, was der Großhandel gelistet hat - so beschreibt die Studie den tradierten Weg. „Und das wird in der schnellebigen Welt zunehmend ein Problem, unter anderem aufgrund langer Vorlaufzeiten“, erklärt Dorothée Fritsch, Studienautorin und Handelsexpertin der Unternehmensberatung. Plattformen wie Amazon oder Zalando, aber auch vertikalisierte Handelsketten seien direkter und schneller bei ihrer Zielgruppe und könnten damit Trends schneller aufgreifen. Da sich diese Trends online abzeichneten, könnten Social-Media-Scouts, die die sozialen Netzwerke und Plattformen nach neuen Trends analysieren, eine Lösung für Einzelhändler sein. „Diese Trends können Händler dann im eigenen Store anfassbar und damit erlebbar machen“, sagt Fritsch. Das heißt: Von den Scouts ermittelte Trend-Produkte bestellen, sie der eigenen Kundschaft zum Betrachten und Probieren zur Verfügung stellen. Fritsch: „Damit geben Händler ihren Kundinnen und Kunden einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung. Und zwar nicht nur virtuell, sondern ganz physisch. So wird ein Shop-Besuch wieder relevant.“ 

► Individualisierung zu einem Bestandteil des Handelskonzepts machen

Individualisierung sieht die Studie als einen der größten Trends der westlichen Gesellschaft. „Ein Meister in der Produkt-Individualisierung ist die Automobilindustrie: Nahezu jedes kleinste Detail des neuen PKW kann heute individuell zusammengestellt werden“, erklärt Zöller. Auch Anbieter von Elektronikprodukten machten das Unterstreichen der eigenen Persönlichkeit mit ihren Produkten möglich, indem sie Gravuren, unterschiedliche Farben oder individuelle Details ihrer Produkte anbieten. Zöller ist überzeugt: „Für den stationären Handel wird es unabdingbar werden, solche Produkte vermehrt anzubieten. Besonders profitieren kann er dann, wenn die Individualisierung eines Produkts noch vor Ort und live erlebt werden kann. Dafür gilt es, die Voraussetzungen sowohl beim Einkauf als auch in der Umsetzung auf der Fläche zu schaffen.“ Eine denkbare Option: das Produkt wird vorab online individuell vorbestellt – und dann stationär im Beisein der Kundinnen und Kunden finalisiert. So könnten auch Lagerbestände verringert werden.

► Lieferketten transparent machen und soziale Verantwortung verdeutlichen

Weil Kundinnen und Kunden sie stärker nachfragen, führen heute fast alle Händler auch nachhaltige Produkte, zum Beispiel mit verringertem CO2-Abdruck. Nachhaltigkeit müsse jedoch weitergedacht werden, um wirklich Teil der DNA der Händler zu werden, erklärt Fritsch. Dazu gehöre es, Lieferketten transparent und die Herkunft der Ware besser nachvollziehbar zu machen. „Ein Versprechen abzugeben ist gut, Transparenz noch besser“, so Fritsch. Zu Nachhaltigkeit gehöre auch die soziale Verantwortung gegenüber der Mitarbeiterschaft, Lieferanten und Partnern.

► Kundinnen und Kunden da bedienen, wo sie gerade sind

Vielfach noch gelebte Praxis: An der Stelle, wo der Kunde den Erstkontakt hat, wird er bis zum Kaufabschluss betreut. Dieses Denken müsse aus den Köpfen verschwinden, erklärt Zöller. "Ob Kundinnen und Kunden auf der eigenen Website, im Store, in einer App, auf einer Plattform oder in einem Social-Media-Kanal den Erstkontakt aufnehmen – dieser Kontakt muss in jedem anderen Kanal fortgeführt werden können. Es wird künftig ganz normal sein, dass Kundinnen und Kunden immer wieder zwischen diesen Kanälen springen werden. Und im Zweifel ihren Kauf in genau dem Kanal abwickeln wollen, in dem sie gerade unterwegs sind. Dafür müssen Customer Journeys ganz neu gedacht werden.“ Diese Entwicklung greife tiefer als nur in vertriebliche Prozesse hinein: sie werde eine Veränderung der Organisation und Strukturen vieler Handelsunternehmen zur Folge haben müssen. „Technologie ist der Treiber, aber sie wird nur erfolgreich umgesetzt werden können, wenn sich die gesamte Organisation verändert“, sagt Zöller.

► IT-Landschaft auf neue Herausforderungen vorbereiten

Auch die technologischen Voraussetzungen für solche Veränderungen müssen geschaffen werden. Fritsch: „Wer über eine veraltete, im Zweifel auch uneinheitliche IT-Landschaft verfügt, der droht trotz bester Konzepte frühzeitig an technischen Hürden zu scheitern.“ Die Experten von FTI-Andersch raten, jetzt eine Bestandsaufnahme der IT-Landschaft durchzuführen und zu prüfen, wo Systeme zusammengelegt, Prozesse vereinheitlicht und Softwarelösungen erneuert werden können. „Wer digital werden will, muss zunächst einmal den eigenen Reifegrad bestimmen und an den Grundlagen arbeiten“, sagt Fritsch. „Vielfach wird abzuwägen sein, wo noch klassisch Hardware gekauft und Software lizenziert wird – und wo sich IT-Programme als Dienstleistungen (Software-as-a-Service) einkaufen lassen, zum Beispiel zur Datenerhebung und -analyse.“

► Die Marke in der persönlichen Begegnung erlebbar machen

Viele Händler verstehen sich auch heute noch eher als Warenlager denn als Ort des Erlebnisses, so ein Ergebnis der Studie. Damit aber könnten sie gegen die reinen Onlinehändler langfristig nicht gewinnen, da diese deutlich effizienter arbeiten können, erklärt Zöller. Dabei kann gerade das stationäre Erlebnis dabei helfen, auch Online-Marken aufzubauen. Zöller: „Der Handel, das kann der Ort sein, in dem ich meine Marke anfassen kann. An dem ich etwas erleben kann.“ Eine Lesung, ein Konzert, eine Modenschau, das Tuning eines Autos. Der Berater ist überzeugt: „Zukünftig wird nur noch dort stationär Waren abgeholt, wo dies schneller geht als im Versand. Oder wo sie etwas erleben können. Auf diese einfache Rationalität müssen sich Händler jetzt einstellen“.

Der vollständige Bericht "Shopping-Konzepte der Zukunft – Neue Chancen für den stationären Einzelhandel" steht hier kostenlos zum Download bereit.

Schlagworte: Stationärhandel, stationärer Einzelhandel, Studie

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