Interview

Wettbewerb der Währungen

Ob die Europäische Zentralbank marktwirtschaftliche Prinzipien über Bord wirft, der digitale Euro ein Erfolg wird und Bitcoin die Wertbeständigkeit wie Gold hat, das diskutieren Banker Jens Holeczek (BVR), Feuilletonist Ijoma Mangold (Die Zeit) und Payment-Experte Ulrich Binnebößel (HDE).

Von Mirko Hackmann 13.09.2023

© Stocksy/Rein Cheng

Vorteile und Nachteile der Währungen für bare Münze nehmen: Die Zukunftsfähigkeit von Bargeld, Bitcoin und Co. ist derzeit heiß diskutiert.

Ich möchte beginnen mit einer persönlichen Frage in die Runde: Wer von Ihnen besitzt Bitcoins und wenn ja, warum?
Ulrich Binnebößel: Ich halte Restbestände aus meinen frühen, interessenbasierten Versuchen, die Technologie auszuprobieren und zu durchschauen. Beim Umtausch bin ich über die klassischen Exchange- Börsen gegangen. Ich sehe es positiv, dass das Zahlungssystem Bitcoin bald strenger reguliert wird, das steigert mein Vertrauen. Vielleicht werden dann aus meinen wenigen Zehnteln ein paar mehr.

Jens Holeczek: Ich habe aus Neugier recht früh ein bis zwei Bitcoins geschürft. Die Stromkosten überstiegen damals den Wert, da habe ich aufgehört und alles direkt vom Rechner gelöscht.

Ijoma Mangold: Mein Interesse an Bitcoin ist erst während der Pandemie erwacht, insofern bin ich ein Late Adopter. Das ist wenig heroisch, hatte aber den Vorteil, dass ich auf eine fast endlose Zahl didaktischer Anleitungen zurückgreifen konnte. Weil ich die Warnungen vieler Experten beherzige, habe ich meine Bitcoins und Satoshi nicht nur erworben, sondern halte sie auch, und zwar so, wie es sich gehört, auf meiner Cold Wallet. Da ich die 24 Wörter meines Personal Key gut versteckt habe, bin ich zuversichtlich, auch in zehn Jahren noch in ihrem Besitz zu sein.

Herr Mangold, für den Bail-out nach dem Bankencrash und die damit verbundene lockere Geldpolitik machen Sie den „staatlich- monetären Komplex“ verantwortlich. Dieser „Staatsinterventionismus“ sei allein unter einem Fiatstandard möglich und führe zu einer Umverteilung von unten nach oben …
Mangold: Ich finde es eigentümlich, dass wir glauben, wir lebten in einer freien Marktwirtschaft, ohne zu erkennen, dass ihr wesentlichstes wirtschaftliches Gut – das Geld – spätestens seit der Finanzkrise nicht mehr dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage unterliegt. Der staatlich-monetäre Komplex hat das eherne marktwirtschaftliche Gesetz ausgehebelt, dass man einen Preis dafür zu zahlen hat, wenn man ins Risiko geht und scheitert. Das führt normalerweise zu einer Flurbereinigung. Dieses Prinzip ist für unser Geld- und Bankensystem nach der Krise unterlaufen worden. Die Voraussetzung dafür ist Fiatgeld. Denn man kann Bail-outs nur mit Geld finanzieren, das man per Knopfdruck erschaffen kann. Hätten wir rohstoffbasiertes Geld, wie zu Zeiten des Goldstandards, müssten die Staaten zunächst durch Exportüberschüsse für neue Goldreserven sorgen, um dann ihre Banken rauszuhauen. Dass Zentralbanken den Geschäftsbanken das Geldschöpfungsprivileg eingeräumt haben, ist ein Umstand, über den in der Öffentlichkeit zu wenig nachgedacht wird. Bitcoin fasziniert mich, weil diese neue Geldtechnologie das Fiatsystem an dieser empfindlichen Stelle herausfordert.

Holeczek: Wenn ich es recht verstehe, schätzen Sie den Bitcoin, weil seine Geldmenge, anders als bei anderen Kryptowährungen, von vornherein begrenzt ist. Dann stellt sich die Frage, was mit der Blockchain insgesamt passiert, wenn niemand mehr Transaktionen bestätigen kann, weil das Mining mangels weiterer Coins beendet sein wird. Was das Fiatgeld betrifft, ist es letztlich so, dass die Zentralbanken Angebot und Nachfrage über ihre Geldpolitik regeln sollen. Das tun sie in der Regel nur temporär, weil Inflation droht, wenn die Geldmenge über Gebühr zunimmt. Ich sehe es aber ebenfalls als Problem an, dass die Zentralbanken nach der Finanzkrise ihre Zinsen zu extrem gesenkt und zudem noch über Anleihekäufe sehr stark direkten Einfluss auf die langfristigen Zinsen genommen haben.

Sie betrachten Bitcoin als Mittel zum Zweck der Emanzipation, Herr Mangold? Wie ist das zu verstehen?
Mangold: Ich möchte vorausschicken, dass ich nicht zu den Bitcoin-Maximalisten gehöre, die der Meinung sind, den Stein der Weisen gefunden zu haben und dass alles in unvermeidlicher Notwendigkeit auf Bitcoin zulaufen wird. Ich halte es mehr mit Friedrich von Hayek, der von einem Wettbewerb der Währungen als regulative Idee sprach. Anders als heute war das in den 1970er-Jahren technisch schwer umzusetzen. Jetzt aber erleben wir eine Pluralisierung von Zahlungsmitteln, an der viele kluge Menschen mitarbeiten. Auch die Notenbanken werden einen großen Schritt machen – allerdings wie immer in der Logik der Zentralität. Wenn die Notenbanken Central Bank Digital Currencies (CBDCs) einführen und Frau Lagarde behauptet, die Bürger wünschten sich nichts sehnlicher, entspringt das ebendieser Logik. Als freiheitsliebender Bürger fürchte ich aber, mit einem Zentralbankkonto der staatlichen Institution umso mehr ausgeliefert zu sein. Als Liberaler fände ich das nur hinnehmbar, wenn es als Alternative zu diesem staatlichen Geld auch privates Geld gäbe. Wegen seiner Mengenbegrenzung halte ich Bitcoin als Reservewährung für optimal geeignet.

Stichwort CBDCs: EZB und Bundesbank haben die Einführung des digitalen Euro angekündigt. Herr Binnebößel, was halten Sie, was hält der Handel davon?
Binnebößel: Die Welt wird immer digitaler. Darum ist es nur folgerichtig, wenn auch das bisher analoge staatliche Zahlungsmittel Bargeld in die neue Welt Einzug hält. Für den Verbraucher bedeutet der digitale Euro eine zusätzliche Alternative, über anonymes Zentralbankgeld zu verfügen, für das, im Gegensatz zum Buchgeld der Banken, die EZB geradesteht. Das geht zwar auch mit Risiken für den Staat einher, Geldwäsche und Terrorfinanzierung beispielsweise, aber wenn man tatsächlich ein vergleichbares Zahlungsmittel im digitalen Raum haben möchte, kommt man nicht umhin, gewisse Lücken zuzulassen. Davon abgesehen, kann der digitale Euro dem Handel einiges bringen – sofern die Verbraucher ihn annehmen.

Herr Holeczek, was bedeutet es für die Rolle der Geschäftsbanken, wenn Bürger künftig über digitales Zentralbankgeld verfügen? Werden die Institute an Relevanz verlieren?
Holeczek: Auf die Spitze getrieben, könnte das heißen, dass die EZB das Geld jeden Bürgers direkt bei sich aufbewahrt und garantiert. Die Frage ist: Wer verfügt dann über die Liquidität und Agilität, um schnell kleine und große Kredite zu gewähren, wie es die Banken beispielsweise in der Coronakrise getan haben? Deswegen sprechen sich die Banken für eine Limitierung des digitalen Euro auf einen gewissen Betrag pro Person aus. Zur Diskussion steht zurzeit eine Begrenzung auf 3.000 Euro, die meines Erachtens schon deutlich zu hoch ist und sich auch nicht mit der erwähnten Anonymität verträgt.

Herr Mangold, Sie haben sich ja gerade kritisch über CBDCs wie den digitalen Euro geäußert. In Ihrem Buch schreiben Sie, sie seien „des Teufels“. Welche Gefahren sehen Sie?
Mangold: 
Meine Bedenken betreffen nicht die Geldfunktion von CBDCs, sondern die Bürgerrechte, weil Überwachung und Kontrolle Tür und Tor geöffnet wird. Alle Verantwortlichen schwören natürlich, dass sie umsichtig agieren werden. In China sind CBDCs bereits in einigen Sonderwirtschaftszonen eingeführt worden, und man sieht, wie das im Zusammenspiel mit Social Scoring zu einer nahtlosen Überwachung des Verhaltens führen kann. Bürger, die sich nicht regelkonform verhalten, dürfen beispielsweise keine Flüge buchen oder nicht ins Ausland reisen. Je mehr man sich einer CBDC ausliefert, desto stärker ist der Zugriff staatlicher Instanzen auf die Freiheit des Bürgers. Nun ist China nicht der freie Westen. Aber der freie Westen war auch immer deswegen stark, weil er das Misstrauen gegen eine zu starke Machtkonzentration in einer zentralen Instanz in seiner DNA trägt.

Herr Binnebößel, die Bundesbank hat die Berufung eines Nationalen Bargeldforums angekündigt. Der Handel soll Teil des Gremiums sein. Welche Hoffnungen knüpfen Sie daran?
Binnebößel: Wir sehen, dass die Kunden weiterhin mit Bargeld bezahlen wollen. In seiner analogen Form ist es je nach Höhe des Bons noch immer das beliebteste Zahlungsmittel, möglicherweise wird es das auch in seiner digitalen Form sein. Im Bargeldforum sollen alle Interessengruppen den besten Weg finden, bestehende Kreisläufe aufrechtzuerhalten und neue, digitale aufzubauen. Mit sinkender Nutzung gerät der analoge Bargeldkreislauf perspektivisch unter Druck, weil die Kosten auf allen Ebenen steigen. Darum ist es wichtig, gesellschaftlich zu diskutieren, welchen Stellenwert Bargeld künftig haben soll und welche Mittel es gibt, dieses Ziel zu erreichen. Eine gesetzliche Akzeptanzpflicht halte ich sowohl für Bargeld als auch für den digitalen Euro für den falschen Weg. Solange die Nachfrage groß genug ist, wird der Handel Bargeld vorhalten. Entscheidend ist, dass im Forum keine Partikularinteressen die Oberhand gewinnen, sondern dass man in einen Diskurs tritt, der alle Interessen abbildet.

Herr Mangold, der Bitcoin ist, so der Untertitel Ihres Buches, „weit mehr als nur ein neues Geld“. Besonders wichtig sind Ihnen die Qualitäten Anonymität und Dezentralität. Wenn Sie sich aber auf einer Kryptobörse anmelden, müssen Sie genauso viele Daten angeben wie bei der Eröffnung eines Bankkontos. Und mächtige Institute wie Société Générale steigen groß ins Bitcoin-Geschäft ein…
Mangold: Der Bitcoin ist entstanden aus einem Kreis anarchistisch gesinnter Menschen von der amerikanischen Westküste, die sich in der Tradition der Cypherpunks sahen. Das war anarchistisches Geld und es diente dem Zweck, sich jeder denkbaren Überwachung durch Staaten oder Konzerne zu entziehen. Um der reinen Lehre anzuhängen, bin ich aber zu sehr Hegelianer. Ich denke, dass Dinge, die im großen Stil transformativ wirken sollen, Eingang in die Breite der Gesellschaft finden müssen – wodurch sie unweigerlich ihren Charakter ändern. Insofern weine ich dem romantischen Ideal keine Träne nach. Seine volle transformative Kraft kann der Bitcoin nur entfalten zum Preis der Aufgabe der ursprünglichen Reinheit seiner Idee. Als liberaler Realist sehe ich im Eingriff einer regulatorischen Behörde eine Anerkennung der Existenz der Sache selbst. Deswegen bin ich ein Freund der neuen Regulierung, die die EU relativ schnell und mit beispielhafter Wirkung auf andere Nationen entwickelt hat. Eine weitere Kernidee von Bitcoin ist, dass man seine Coins selbst verwaltet. Wenn ich jetzt aber sage, jeder, der seine Coins auf einer Exchange liegen lässt, hat die reine Glaubens lehre verfehlt, dann schließe ich die Mehrheit der Menschen aus. Denn diese Selbstverwaltung ist zwar ein großes Freiheitsversprechen, verlangt uns aber sehr, sehr viel ab. Anders als bei einem Girokonto, wo das Geld nicht mir gehört, sondern ein Kredit an das Geldinstitut ist, sind Bitcoins auf dem Cold Wallet eine einzigartig autonome Art der Eigentumsverfügung – und zwar ohne Gegenparteirisiko! Diese Kerneigenschaft verliert Bitcoin nicht dadurch, dass er nun seinerseits eine Finanzindustrie hervorbringt und diese für institutionelle Anleger einfachere Zugänge schafft.

Herr Holeczek, mit dem Lightning-Netzwerk gibt es eine Off-Chain-Lösung für Bitcoin-Zahlungen. Taugt sie, um Bitcoin, trotz seiner geringen Transaktionsgeschwindigkeit, als Zahlungsmittel zu etablieren?
Holeczek:. Ich behaupte nein. Ich sage nicht, dass dies für jedes tokenisierte Geld oder alle Coins gilt, aber vom Design her hat Bitcoin einfach ein Problem. Das hat mit den Konsensmechanismen zu tun, die eine Zahlung zu durchlaufen hat. Die bauen auf Dezentralität und einem basisdemokratischen Prinzip auf. Das ist, als ob in einem Fußballverein jedes einzelne Mitglied als Kassenwart fungiert und jede Zahlung von allen freigegeben werden müsste. Die Folge ist, dass bei Bitcoin nur wenige Transaktionen pro Sekunde möglich sind. Dieses Defizit soll Lightning kompensieren. Dessen Prinzip gleicht dem, was Banken seit Jahrhunderten machen: Das heißt, zwischen meinen Kunden überweise ich innerhalb meines Systems direkt von einem Konto auf das andere – und erst wenn das Geld meine Bank verlässt, verrechne ich als Vertrauensanker den Differenzbetrag zwischen den Banken. Bitcoin setzt auf das Prinzip der Nichtmanipulierbarkeit durch Transparenz. Vertrauen ist nicht vorgesehen. Beim Lightning aber baue ich dem Bitcoin quasi eine Paymentlösung ein, die auf eben diesem Vertrauen beruht. Das ist zu weit weg von dem ursprünglichen Grundgedanken, als dass es Erfolg haben dürfte.

Mangold: Ich stimme Ihnen zu, Herr Holeczek. Sie beschreiben präzise das Dilemma. In dem Dreieck aus Skalierbarkeit, Dezentralität und Sicherheit können Sie nie alle drei Zielwerte perfekt umsetzen, an einer Seite gehen Sie immer einen Kompromiss ein. Wer den Bitcoin als langfristige Wertanlage sieht, dem sind bei eingeschränkter Skalierbarkeit vor allem Dezentralität und Sicherheit wichtig. Wem es um schnelle Transaktionen geht, der bedient sich des Lightning-Systems, weil das super skaliert, macht aber Abstriche bei den ursprünglichen Idealen Dezentralität und Sicherheit. Dieses Trade-off gehe ich ein.

Wie bei der ersten Frage richtet sich auch meine letzte an alle: Welche Art von Geld ist am ehesten ein Medium von Freiheit und Unabhängigkeit im Sinne der Bürger – und wird dieses Geld das Geld der Zukunft sein?
Binnebößel: Ich tue mich ein wenig schwer, den Bitcoin unabhängig zu sehen, ihn wegen seiner Währungsschwankungen nicht als Spekulationsobjekt wahrzunehmen. Insofern denke ich, man muss sich bis auf Weiteres darauf einstellen, dass der Euro in seiner analogen und digitalen Form künftig das Mittel der Wahl sein wird, mit dem Kunden im Handel bezahlen wollen. In digitalen Universen mag das jedoch anders sein. Am Ende ist es entscheidend, dass jeder die Wahl hat, zu bezahlen, wie er möchte.

Holeczek: Ich glaube, das wird sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht und ebenso wenig in naher Zukunft beantworten lassen. Dafür sind viel zu viele Entwicklungen derzeit noch im Gange. Ich wünsche mir aber, dass wir unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung treu bleiben und im Rahmen unserer sozialökologischen Marktwirtschaft einen vernünftigen, ausgewogenen Mix finden, um die Schwächsten zu schützen, und alle am Leben, am Wirtschaftssystem, am Zahlungsverkehr teilhaben zu lassen und trotzdem nicht in einem zentralistischen planwirtschaftlichen System zu landen. Diese Ausgewogenheit ist mir genauso wichtig wie eine breite Debatte darüber, welche Zahlungssysteme uns in einem Europa der Grundwerte wirklich voranbringen.

Mangold: Bargeld ist gemünzte Freiheit, wie es so schön heißt. Das ist ein starker Satz. Wir sollten ihn uns immer ins Bewusstsein rufen. Trotzdem dreht sich die Welt weiter und ich glaube nicht, dass wir noch ewig mit Bargeld hantieren werden. Trotzdem wollen wir seine Eigenschaften hinüberretten in eine digitale Welt, die sich immer stärker in globalen Netzwerken organisiert. Mir scheint es völlig zwingend, dass es in diesem historischen Moment der Evolution ein digitales Geld gibt, das nicht mehr national verantwortet wird. In diesem Währungswettbewerb wird Bitcoin ohne Frage eine wichtige Rolle spielen.

Schlagworte: Payment, Bitcoins, Bezahlen, HDE, Bargeld

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