Das soll ihm erst mal jemand nachmachen: 80 Prozent weniger Stromverbrauch, Mitte nächsten Jahres sollen es sogar 94 Prozent sein. Auch die Heizkosten seines Modehauses hat Jens Klingemann drastisch reduziert, durch Wärmerückgewinnung und intelligente Lüftung. „Die Energiekrise zeigt, wie sinnvoll es war, sich rechtzeitig auf den Weg zu machen“, sagt der 44-Jährige, der das Familienunternehmen in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Höxter in achter Generation führt.
Klimafreundlich, klimaneutral oder sogar klimapositiv: Immer mehr Händler beschäftigt die Frage, wie sie Energie sparen und Emissionen reduzieren können. Das nutzt der Umwelt, hebt die Reputation und spart Geld – viel Geld. Während Handelsgruppen und Filialisten oft Hilfe von Beratern in Anspruch nehmen – Metro, die Schwarz-Gruppe und Aldi etwa kooperieren mit der Organisation Science Based Targets –, haben viele kleinere Händler diese Möglichkeit schon aus finanziellen Gründen nicht. Auch für sie jedoch gibt es Wege – und die Klimaschutzoffensive des HDE hilft, diese zu finden. „Wir versuchen, durch gute Fallbeispiele den Nutzwert deutlich zu machen“, sagt Projektleiterin Jelena Nikolic.
Jens Klingemann begann vor acht Jahren. Erster Schritt war die Umstellung der Beleuchtung auf Leuchtdioden (LED). „Das war anfangs kostengetrieben. Wenn ein Gerät ersetzt werden musste, nahmen wir die energiesparende Variante“, erinnert sich der Kaufmann. „Mit der Erkenntnis, dass wir immer umweltfreundlicher werden, ist das umgeschlagen.“ Der Ehrgeiz wuchs, mit gutem Beispiel voranzugehen. Als eines der ersten Modehäuser Deutschlands wurde das 7 000 Quadratmeter große Haus Anfang 2021 klimaneutral.
Dabei hilft die im vergangenen Jahr montierte Fotovoltaikanlage, mit 2 500 Quadratmetern flächenmäßig die größte in Höxters Innenstadt. Sie erzeugt pro Stunde bis zu 300 Kilowatt. Den Bedarf an Heizenergie reduziert ein mit der Lüftung gekoppelter Wärmetauscher, der bewirkt, dass 90 Prozent der Abluftwärme im Haus bleiben. Eindrucksvoll auch die Nachtkühlung an heißen Sommertagen: Bei einem Temperaturunterschied von zehn Grad öffnen sich in den oberen Etagen – da, wo dies kein Sicherheitsrisiko ist – automatisch Fenster. Sensoren sorgen dafür, dass sie bei Sturm oder Regen rechtzeitig wieder schließen.
Mit Kleinigkeiten viel erreichen
Die steigenden Energiepreise motivieren Klingemann zusätzlich. Gerade hat er einen alten Heizkessel aus den 1970er-Jahren ausgetauscht und den Gasverbrauch dadurch um ein gutes Drittel reduziert. „Die Investition hatte sich lange nicht gelohnt, jetzt rechnet sie sich.“ Anfang 2023 will er die LED-Anlage erneuern und damit den Strombedarf seines Modehauses noch einmal um ein Viertel senken: „Die Technik macht riesige Fortschritte.“ Überdies prüft er den Kauf eines Stromspeichers für die PV-Anlage, um die Solarenergie noch effektiver nutzen zu können.
Auch mit Kleinigkeiten lässt sich viel erreichen. Den Türschleier rechtzeitig auf Winterbetrieb umstellen. Das Schaufenster nicht rund um die Uhr beleuchten. Heimliche Stromfresser enttarnen, etwa alte Kühlschränke. Mitarbeiter dazu motivieren, Bus und Bahn zu nutzen oder Fahrgemeinschaften zu bilden. Um ihnen den Umstieg aufs Rad zu erleichtern, hat Klingemann einen Deal mit einem örtlichen Fahrradhändler ausgehandelt – seine Mitarbeiter erhalten dort Vorzugskonditionen.
Nur noch 250 Tonnen jährliche CO2-Emissionen bilanzierte sein Modehaus zuletzt, darin ist auch die Mitarbeitermobilität eingerechnet. Mitte nächsten Jahres werden es voraussichtlich nur noch 100 Tonnen sein. Diese kompensiert Klingemann über die Organisation Nature Office, die eigene Klimaschutzprojekte unterhält und mit der auch der HDE zusammenarbeitet. Kompensationszahlungen stehen zwar zunehmend in der Kritik, Expertin Nikolic jedoch sieht das differenziert. „Man muss vor allem die Projekte wirklich gut auswählen“, sagt sie. „Verlässliche Kriterien und Labels, die eigene Recherchen erübrigen, gibt es derzeit noch nicht.“
Wer keine Ziele hat, wird nichts erreichen
Zu den Vorreitern gehört auch Malte Reupert, der in Leipzig unter der Marke Biomare eine kleine Supermarktkette betreibt. Er startete mit einer Klimabilanz für das Geschäftsjahr 2018, die alle CO2-Emissionsquellen aufschlüsselte. Auf dieser Grundlage plante Reupert seine Reduktionsstrategie: Bis 2024 soll der CO2-Ausstoß um 75 Prozent sinken. „Wer keine Ziele hat, wird auch nichts erreichen“, sagt der 52-Jährige. Manches ist in der Praxis schwieriger als auf dem Papier, etwa Fotovoltaik auf ein Dach zu bringen, das einem nicht selbst gehört. Zwar bezieht Biomare schon jetzt ausschließlich Ökostrom, aber: „Strom aus Eigenerzeugung würde uns einen fünfstelligen Betrag sparen.“ Erst jetzt, in der Krise, würden sich die ersten Vermieter bewegen, sagt Reupert.
Anderes hat sich bereits ausgezahlt, etwa die Umstellung auf LED oder eine Wärmerückgewinnung: In allen vier Filialen wird die Abwärme der Kühlanlagen dazu genutzt, um Warmwasser zu erzeugen, teilweise auch für andere Mieter. Die Kälteanlage wurde, zunächst in einem Laden, auf ein emissionsarmes natürliches Kühlmittel auf Propanbasis umgestellt, in Kombination mit einer Wärmepumpe. Reuperts Erfahrung: „Ökologische Ersatzinvestitionen sind in der Anschaffung oft nur unwesentlich teurer als konventionelle.“ Dafür sind sie im Betrieb sehr viel günstiger.
Die Logistik hat Reupert vereinfacht und zentralisiert, auch das spart Energie. Seine neueste Errungenschaft ist ein Liefer-Lkw mit elektrischem Kühlaggregat, der mit günstigem Erdgas (CNG) betrieben wird. „Der spart uns die Hälfte der Treibstoffkosten.“
Utopie bleibt hingegen vorerst ein weiteres Projekt, für das Reupert leidenschaftlich wirbt: „Jedes Produkt müsste einen Klimapreis bekommen“, sagt er. Wenn Kunden den CO2-Fußabdruck vergleichen könnten, hätten sie eine bessere Entscheidungsgrundlage. „Damit der Markt funktioniert, braucht es Information.“ Der Haken: Eine seriöse Bilanzierung muss die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen. Je umweltbewusster Händler und Lieferanten jedoch werden, desto größer die Chance, dass aus dem Wunsch Wirklichkeit wird.
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