Aus dem Elfenbeinturm

Vom Tauschhandel zu virtuellen Währungen

Die Entwicklung der Gesellschaft ist eng verbunden mit ihren Zahlungsmitteln. Der historische Prozess scheint mit einer Entmaterialisierung einherzugehen. Tatsächlich gibt es aber bereits seit dem Mittelalter Geld in abstrakter Form.

Von Malte Krüger und Franz Seitz 15.08.2022

© Getty Images/We Are

Von Hand zu Hand: Das Bargeld wird seine Bedeutung auch angesichts des Wachstums digitaler Bezahlarten so schnell nicht verlieren.

Es tut sich einiges in Sachen Zahlungsverkehr. Die Zahlungskarte wird immer häufiger kontaktlos verwendet, das Mobiltelefon wird zunehmend am PoS eingesetzt und Banken bieten die Durchführung einer Überweisung in „Echtzeit“ an. Daneben werden noch sehr viel tiefgreifendere ­Änderungen diskutiert. Bitcoin (wörtlich ­„digital gespeicherte Münze“) und verwandte Systeme, von den Zentralbanken als „Kryptotoken“ bezeichnet, sollen nach der Vorstellung vieler Blockchain-Enthusiasten einmal eine wichtige Rolle im Zahlungsverkehr spielen.

Solche Ambitionen haben auch die Herausgeber von Stablecoins (wörtlich „stabile Münzen“), die an eine Währung oder einen Währungskorb gekoppelt sind. Schließlich denken die Zentralbanken weltweit zunehmend über digitales Zentralbankgeld (CBDC) nach. Die ersten Pilotprojekte sind bereits an den Start gegangen. Auch von der Regulierungsseite sind einige gravierende Änderungen eingetreten: Durch die Payment Services Directive 2 (PSD2) fiel das Surcharge-Verbot, und die Kontoschnittstellen wurden auch für Nicht-Bank-Finanzdienstleister geöffnet. Ist mit diesen Entwicklungen eine Revolution im Zahlungsverkehr, national wie international, vorprogrammiert?

Die gegenwärtigen Veränderungen werden häufig als ein durchaus logischer Schritt in einer langen historischen Entwicklung der „Entmaterialisierung des ­Geldes“ gesehen: vom Warengeld über das Metallgeld zum Papiergeld und nun hin zum digitalen Geld. So einfach ist es jedoch nicht. Bereits im Mittelalter gab es in den wichtigsten Handelsstädten zahlreiche Banken, die Einlagen hereinnahmen und den Gegenwert in Büchern festhielten (daher „Buchgeld“). Zahlungen konnten durch Umschreibung in diesen Bankbüchern vorgenommen werden.

Es gibt also schon seit langer Zeit Geld in einer sehr ­abstrakten, immateriellen Form. An diesem Grundprinzip hat sich nichts geändert. Auch heute noch werden Zahlungen durch Umbuchungen in Bankkonten vorgenommen. Was sich im Laufe der Zeit geändert hat, ist das Aussehen des „Bankbuchs“ (Stichwort: Datenbank statt Papier) und die Art und Weise, wie Kunden auf ihre Einlagen zurückgreifen können (Scheck, Überweisung, Internetbanking, Debit- oder Kreditkarte, Smartphone, Smartwatch etc.).

Papiergeld verdrängt vollwertiges Metallgeld

„Immaterielles Geld“ ist also ein alter Hut. Allerdings hat früher ein Großteil der Bevölkerung hauptsächlich Metallgeld – voll­wertige Münzen (Kurantmünzen) und Scheidemünzen – verwendet. Dazu kam später das Papiergeld (in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert), das nach und nach das vollwertige Metallgeld verdrängte und schließlich unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel wurde. Für große Teile der Bevölkerung bedeutete ­„Zahlung“ aber auch nach dem Verschwinden vollwertigen Metallgeldes, dass physische Zahlungsmittel (Geldscheine oder Scheidemünzen) übergeben wurden.

Erst relativ spät setzte sich das Girokonto als universal ­einsetzbares Zahlungsverkehrskonto in der Bevölkerung durch, in Deutschland in den 1960er-Jahren. Seither hat ein Großteil der Bevölkerung Zugang zu immateriellem Geld und zu bargeldlosen Zahlungen, und das Girokonto stellt den Mittelpunkt und die Drehscheibe des Zahlungsverkehrs dar.

Der bargeldlose Zahlungsverkehr der privaten Haushalte blieb jedoch zunächst beschränkt auf Lohn- und Gehaltszahlungen und regelmäßige Zahlungen für Gas, Wasser, Versicherungen, Miete, Telefon etc. Die sonstigen Konsumausgaben wurden hauptsächlich in bar beglichen. Auch in den Folgejahrzehnten änderte sich dieses Zahlungsverhalten nur langsam, ein weltweit festzustellendes Phänomen. Insbesondere gab es nur eine langsame Verschiebung hin zu Kartenzahlungen. Diese Entwicklung ist immer noch im Gange und es wird darüber spekuliert, ob sie schließlich in einer bargeldlosen Welt enden wird.

Die Entwicklung in Schweden scheint zu belegen, dass wir – zumindest beim Bezahlen im Einzelhandel – in der Tat von einer bargeldlosen Welt nicht mehr weit entfernt sind. Ein derartiges Szenario ist allerdings nicht unausweichlich. Es wurde mitverursacht durch die fast schon als fahrlässig zu ­bezeichnende Untätigkeit und Sorglosigkeit der Zentralbanken, die sich auf dem Erfolg „ihres“ Produktes ausruhten.

Krisen zeigen Bedeutung von Bargeld

Eine Entwicklung hin zu einer bargeldlosen Welt birgt erhebliche Risiken, da Bargeld eine ganze Reihe von Eigenschaften aufweist, die sich nicht ohne Weiteres digital abbilden lassen. Dazu gehören die einfache Handhabung, die Verständlichkeit für alle vom Kleinkind bis zum Greis, der Datenschutz, die Funktion eines „Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittels der letzten Instanz“ in Krisen, finanzielle und Zahlungsverkehrsinklusion, Ausgabenkontrolle, Erhaltung des Wettbewerbs auf den Zahlungsverkehrsmärkten und die Offline-Funktionsfähigkeit. Und Bargeld schützt auch gegen weitergehende negative Nominalzinsen im Sinne einer Einziehung einer effektiven Zinsuntergrenze.

Die besondere Bedeutung des Bargelds in Krisen hat sich gerade in der Coronapandemie und im aktuellen Ukraine-Konflikt wieder deutlich gezeigt. Weltweit gibt es auch keinen generellen Rückgang der Bargeldnachfrage. Seit der Finanzkrise 2008 ist eher das Gegenteil der Fall. Aber es gibt eine Verschiebung der Motive weg von der Transaktionsnach­frage und hin zu Vorsichts- und Wertaufbewahrungsmotiven. Für die Zukunft stehen allerdings trotzdem erhebliche Veränderungen zu erwarten, die vor allem von technischen Neuerungen getrieben sind: Krypto Token, Stablecoins, CBDC und Echtzeit-Zahlungen.

Krypto ist in aller Munde. Die von den Krypto-Befürwortern vorgebrachten Argumente können aber nicht wirklich überzeugen. Krypto Token eignen sich – zumindest bisher – schon aus Komplexitätsgründen und wegen der Dauer des Zahlungsvorgangs nicht für den Massenzahlungsverkehr. Sie sind vergleichbar mit einer Fremdwährung, nur deutlich volatiler. Wir wissen aus der Historie, dass sich eine Landeswährung nur sehr schwer im Zahlungsverkehr verdrängen lässt. Der Wechsel zu ­einer anderen Währung erfolgt in der Regel erst in Hyperinflationsphasen. Das häufig zu hörende Argument, dass Krypto Token als privates Geld dem staatlichen Geld Konkurrenz machen werden, kann also allenfalls für Staaten mit einer völlig heruntergewirtschafteten Währung gelten.

Stablecoins versuchen, durch Bindung an eine stabile ­Währung die Preisschwankungen zu eliminieren oder zumindest zu reduzieren. Gedeckt sind Stablecoins in der Regel durch kurzfristige Einlagen und Wertpapiere unterschiedlichster Couleur, ­vor allem aber auch Staatsanleihen. Solange allerdings noch in ­nationalen Währungseinheiten bezahlt wird, stellt sich die Frage, warum jemand für Zahlungszwecke Stablecoins halten sollte. Man geht nämlich ein zusätzliches Risiko ein, da man auf das Stabilisierungs- und Einlöseversprechen vertrauen muss.

In diesem Zusammenhang sei an Geldmarktfonds in der Finanzkrise erinnert, die bis dato ihre Anteile eins zu eins in die jeweilige Landeswährung umtauschten. Die Anteile waren „gedeckt“ durch Geldmarktanlagen, die in der Krise drastisch an Wert (und Liquidität) verloren. Folge war ein Run auf die Fonds. Größere Probleme konnten in den USA allein durch Eingriffe des Finanzministeriums und der Fed vermieden werden. Ähnlich könnte es auch Stablecoins ergehen. Tether, das System mit dem höchsten Ausgabewert an Stablecoins, hält anscheinend sogar in großem Umfang Unternehmensanleihen.

Hohe Hürden für digitales Geld

Im Moment scheint fast jede Zentralbank über ein eigenes digitales Geld nachzudenken (auch die EZB). Doch der Weg ist noch weit. Selbst Schweden, das sich bereits seit 2017 ernsthaft mit dem Thema befasst, ist noch weit von einer Implementierung ­entfernt. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Hürden sind hoch. Dies liegt nicht primär an technischen Fragen, sondern vor allem an der Vielfältigkeit der Ziele, die die Zentralbanken im Auge haben müssen: Effizienz von Zahlungsverkehr und Geld­politik, Sicherheit, Datenschutz, Stabilität des Finanzsystems, Inklusion, Geldwäschevermeidung und viele andere.

Das Thema Echtzeit-Zahlung scheint gerade in Europa die Fantasie anzuregen. Die Idee ist, dass sich auf der Basis der Echtzeit-Systeme alle möglichen Zahlungsarten implementieren lassen, etwa auch Zahlungen am PoS – in Konkurrenz zu den etablierten Kartenzahlungen. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass Kartensysteme eine Vielzahl von Anwendungen bieten, die nicht immer einfach nachzubilden sind: zum Beispiel Storno, ­Erstattung von Teilbeträgen, Reservierung, Zahlung in Fremdwährung und Risikomanagement.

Für eine Volkswirtschaft ist es wichtig, über einen gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich effizienten Zahlungsmittel-Mix zu verfügen. Dieser Mix muss alle Teile der Bevölkerung ansprechen und einen gewissen Systemwettbewerb sicherstellen. Zudem sollte das System krisenfest sein. Ob und in welchem Maße die neuen, technisch innovativen Systeme dazugehören, lässt sich noch nicht sagen.

In den jüngsten Krisen hat sich jedenfalls gezeigt, dass ­Bargeld ein stabilisierendes Element und Teil eines erfolgreichen Krisenmanagements ist. Damit Bargeld diese positive Funktion in Krisenzeiten ausüben kann, muss es allerdings auch in Normal­zeiten funktionieren. Dafür sollte ein bestimmter Schwellenwert der Bargeldverwendung, ab dem es für Banken unattraktiv wird, Bargeld bereitzustellen, und für den Handel, Bargeld zu akzeptieren, nicht unterschritten werden. 

Professor Dr. Malte Krüger 

lehrt im Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Hochschule Aschaffenburg. Zuvor war er als Consultant bei der PaySys Consultancy GmbH an zahlreichen Projekten im Bereich Kartenzahlungen beteiligt. Krüger hat in nationalen und internationalen Zeitschriften unter anderem über Geldpolitik, den ­Zahlungsverkehr und zweiseitige Märkte publiziert.

Professor Dr. Franz Seitz 

lehrt Volkswirtschaftslehre, insbesondere Geldpolitik und Finanzmärkte, an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Weiden. Zugleich ist er federführendes Mitglied im „Aktionskreis: Stabiles Geld“. Vor seiner Berufung arbeitete er in der Hauptabteilung Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank, Abteilung Geld, Kredit und Kapitalmarkt. Seitz ist Autor zahlreicher Artikel in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.

Schlagworte: Bargeld, Zahlungsmittel, Handel, Payment

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