Herr Hudetz, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nimmt ab dem 1. Januar 2023 in einem ersten Schritt große Unternehmen in Deutschland in die Pflicht. Wie weit sind die Firmen schon darauf vorbereitet?
Vergleichsweise schlecht. Viele Unternehmen haben sich noch nicht im Detail Gedanken dazu gemacht oder sie warten ab und schieben ihre Vorbereitungen nach hinten. Das haben wir auch bei vergleichbaren Umstellungsprozessen wie zuletzt bei der Einführung der Datenschutzgrundverordnung beobachtet. Aufgrund der herausfordernden Rahmenbedingungen hat der Handel allerdings im Moment an vielen Stellen Handlungsbedarf. Das muss berücksichtigt werden.
Spielt es vielleicht auch eine Rolle, dass die entsprechenden Reportings im Rahmen des LkSG erst im Laufe des Jahres beziehungsweise zum Jahresende erfolgen müssen?
Möglicherweise. Aber die Firmen müssen dafür auch die notwendigen Daten zur Verfügung haben. Wenn ich die nicht von Anfang an sammele, kann ich das später unter Umständen nicht mehr nachholen.
Gerade der Handel beklagt den Aufwand, den das Gesetz für ihn bedeutet. Sehen Sie diese Klagen als berechtigt an?
Es gibt den schönen Spruch: Die Klage ist des Kaufmanns Gruß. Aber es ist tatsächlich so, dass der Aufwand für den Handel enorm hoch ist, die entsprechenden Prozesse umzusetzen und zu implementieren. Hier und da gibt es noch Hoffnungen, dass es vor dem Hintergrund der fordernden Gesamtsituation Änderungen und Aufweichungen geben könnte. Aber man sollte fair bleiben: Die Anforderungen zur genannten DSGVO konnten die Unternehmensverantwortlichen innerhalb des eigenen Betriebs und mit eigenen Prozessen umsetzen. Beim LkSG sind sie gefordert, teilweise Dutzende Partnerunternehmen mit einzubeziehen.
Ist es denn überhaupt realistisch, dass Unternehmen ihre Lieferketten so genau dokumentieren können? Schließlich haben viele Firmen auch Zulieferer zum Beispiel in Asien. Es gibt für den deutschen Importeur vor Ort ja gar keine rechtliche Handhabe.
Das ist eine berechtigte Sorge. Im Ergebnis muss sich ein deutsches Unternehmen darauf verlassen, dass sein Partnerbetrieb mitarbeitet und notwendige Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen fristgerecht zuliefert. Fraglich bleibt, ob das immer der Fall ist – und für deutsche Unternehmen ist es nahezu unmöglich, das unabhängig nachzuprüfen. Dazu kommt die Komplexität. Wir haben vor einiger Zeit ein Projekt für einen großen Lebensmitteleinzelhändler gemacht und uns im Zusammenhang mit Gütesiegeln die Produktion von Gnocchi angeschaut. Das ist ja ein vergleichsweise einfaches Produkt, für das nur wenige Rohstoffe benötigt werden. Aber schon hier ist der Aufwand erheblich. Woher kommt der Weizen? Woher kommen die Kartoffeln? Wie wurden die Felder gedüngt? Was ist mit den Gewürzen? Wie waren die Transportbedingungen? Sind alle fair bezahlt worden? Und so weiter. Es sind so viele Facetten in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu berücksichtigen, dass es einer Herkulesaufgabe gleichkommt, Transparenz in die Liefer- und Produktionsprozesse hineinzubringen. Ungeachtet aller technologischen Möglichkeiten sage ich voraus: Das wird zu hundert Prozent kaum möglich sein. Aber wir sollten versuchen, trotzdem unser Bestes zu tun und konstruktiv damit umzugehen.
Sehen Sie denn echte Konstruktionsmängel bei dem Gesetz, sodass der Gesetzgeber nachbessern sollte?
Das würde ich nicht sagen. Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass das Gesetz seine positive Wirkung entfalten wird. Letztlich können die Unternehmen auch auf externe Expertise zurückgreifen, um die Anforderungen des Gesetzes zu managen. Die Unternehmen haben durch die DSGVO auch einen Entwicklungssprung gemacht und ihre Datenprozesse verbessert. Das sollte nicht vergessen werden. Dazu kommt, dass die Sanktionswirkungen aus dem Gesetz selbst gar nicht so groß, zumindest aber beherrschbar sind. Viel entscheidender ist für Unternehmen, sich der steigenden Reputationsrisiken, die daraus resultieren, bewusst zu werden und Glaubwürdigkeit zu schaffen.
Ihrer Einschätzung zufolge sollte der Handel das Gesetz daher als Chance sehen, Corporate Social Responsibility hervorzuheben. Wie soll das funktionieren?
Nachhaltigkeit ist bei privaten Haushalten ein klarer Trend. Bio- und regionale Lebensmittel sind der Nische entwachsen. Das lässt sich auch daran beobachten, dass die Discounter immer mehr dieser Produkte listen. Wenn ich als Händler meine Kunden davon überzeuge, dass ich beim Thema Nachhaltigkeit vorangehe, kann ich damit Kaufentscheidungen auch positiv beeinflussen. Nicht bei allen, aber aus Studien wissen wir, dass mindestens ein Fünftel bis ein Drittel der Konsumenten sehr bewusst auf Nachhaltigkeit schaut – und bereit ist, dafür auch mehr zu bezahlen. Man muss allerdings auch sagen: Angesichts der aktuell hohen Inflation verliert der private Konsum an Kaufkraft. Der Nachhaltigkeitstrend dürfte dadurch wohl zunächst einen kleinen Dämpfer bekommen. Aber diese Phase wird nicht ewig dauern.
Mehr Engagement in Sachen CSR ist allerdings gerade für kleinere Händler viel schwieriger zu stemmen als für große Konzerne. Wie können sie an diesem Trend partizipieren?
Der Inhaber einer Boutique hat sicherlich nicht die Möglichkeiten eines Konzerns. Dennoch müssen sich auch kleinere Händler beim Thema CSR im Rahmen ihrer Möglichkeiten positionieren und ihren Kunden authentisch vermitteln, dass Nachhaltigkeit zu ihrem Profil gehört – etwa, indem sie die Ladeneinrichtung entsprechend wählen und zum Beispiel nachhaltig produzierte und fair gehandelte Produkte anbieten. Gerade kleinere Händler sind hier eher im Vorteil gegenüber großen Ketten, weil sie über einfache Mechanismen und Strategien nachvollziehbar Regionalität und Nachhaltigkeit dokumentieren können. Große Unternehmen sind viel schneller dem Vorwurf ausgesetzt, Greenwashing zu betreiben.
Dr. Kai Hudetz
ist seit August 2009 Geschäftsführer des IFH Köln. Zuvor leitete er das dort angesiedelte E-Commerce-Center (ECC KÖLN), dessen Gründung er 1999 mitinitiierte. Mit seiner langjährigen Expertise ist Hudetz einer der gefragtesten E-Commerce-Experten in Deutschland.
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