Am 1. Juni 2023 hat das Europäische Parlament ein neues Lieferkettengesetz beschlossen, das die Sorgfaltspflichten von Unternehmen deutlich dahin gehend erweitert, auch bei ihren Zulieferern darauf zu achten, dass deren Abfälle ordnungsgemäß entsorgt werden und grundsätzlich möglichst wenig Abfall entsteht. Mit der Ökodesign-Richtlinie liegt zudem ein aktueller Vorschlag auf dem Tisch, der es der EU-Kommission in Zukunft ermöglichen würde, analog zur Glühlampe solche Produkte vom Markt zu verbannen, durch die nicht recyclingfähiger Müll entsteht.
Umsetzung massiv beschleunigen
Diese beiden Initiativen sind nur zwei von zig Aktivitäten, die in den vergangenen Monaten zur Umsetzung des extrem ambitionierten EU-Aktionsplans Kreislaufwirtschaft auf die Unternehmen eingeprasselt sind. Die Kommission ist getrieben von der festen Überzeugung, dass Europa ohne den Übergang zur Kreislaufwirtschaft zum einen seine Klimaziele nicht erreichen wird und darüber hinaus als Industrie- und Wirtschaftsstandort nur dann eine Überlebenschance im globalen Wettbewerb haben wird, wenn wir viel stärker zirkulär wirtschaften – wenn Produkte also am Ende ihrer Nutzungsphase nicht zu wertlosem Abfall werden, sondern sinnvoll im Kreis geführt werden.
Was einfach klingt, erweist sich in der Praxis als äußerst herausfordernd und komplex – und Deutschland steht dabei als der gefühlte Recyclingweltmeister längst nicht so gut da, wie wir lange geglaubt haben. Was wir in Deutschland sehr gut organisiert haben, ist die sichere, zuverlässige und umweltfreundliche Entsorgung unserer Abfälle. Als eines der ersten Länder hat Deutschland schon 2006 die Deponierung unbehandelter Abfälle verboten, nirgendwo weltweit wird ein höherer Anteil der Abfälle in Abfallbehandlungsanlagen gebracht – aber eben mit dem Ziel, ihn loszuwerden, und nicht mit der Fragestellung, wie man ihn recyceln müsste, damit die Industrie wieder etwas damit anfangen kann.
Betrachtet man den Anteil recycelter Rohstoffe in der deutschen Industrie, liegt dieser Wert bei circa 13 Prozent – in den Niederlanden, einem der weltweiten Vorreiter in Sachen Kreislaufwirtschaft, liegt er bei fast einem Drittel! Dementsprechend unabhängiger sind die Unternehmen dort schon heute von Rohstoffimporten, damit verbundenen Preisschwankungen und zunehmend unsicheren Lieferketten.
Kreislaufwirtschaft ist also längst nicht mehr nur theoretisches Zukunftsversprechen – einzelne Länder und Unternehmen zeigen bereits, was technisch machbar wäre. Die zentralen Herausforderungen sind die Skalierung solcher Pilotprojekte und die massive Beschleunigung der Umsetzung. Die Europäische Kommission verspricht sich durch ihren Aktionsplan 700 000 neue Arbeitsplätze und einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 80 Milliarden Euro. Will Deutschland zu den Gewinnern dieser Neugestaltung der Wirtschaftsstrukturen gehören, besteht Handlungsdruck. Sonst drohen uns die klassischen „linearen“ Arbeitsplätze verloren zu gehen und die neuen Arbeitsplätze und Umsätze in der Kreislaufwirtschaft entstehen in den Niederlanden, Belgien oder Frankreich.
Handel vor gewaltigen Herausforderungen
Der Handel steht dabei wie kaum ein anderer Sektor für die riesige Lücke zwischen theoretischen Potenzialen und praktischer Umsetzung. Zirkuläre Geschäftsmodelle, der Übergang vom simplen Verkaufen eines Produkts hin zur Entwicklung von sogenannten „Produktdienstleistungssystemen“, sind seit Jahren Gegenstand intensiver Forschung. Im Fokus stehen dabei die vielfältigen positiven Effekte, wenn man wie Philips am Flughafen in Amsterdam nicht Glühlampen verkauft, sondern in Stunden ausreichender Beleuchtung abrechnet – wodurch das Unternehmen einen Anreiz hat, möglichst langlebige Glühlampen einzusetzen. Es mangelt auch nicht an Überlegungen, über Pfandsysteme die Kunden dazu zu bewegen, ihre Produkte wieder zurückzubringen, und so den Zugriff auf die enthaltenen Rohstoffe zu behalten anstatt sie teuer am Markt einkaufen zu müssen. Ein großer Schwerpunkt vieler Unternehmen lag in den vergangenen Monaten in der Erhöhung des Anteils recycelter Kunststoffe insbesondere bei den Eigenmarken – was früher als minderwertig galt, wird heute von den Konsumenten als Ausweis von Kreislauforientierung verstanden und erwartet.
Faktisch handelt es sich dabei jedoch noch um Nischenentwicklung. In der Praxis zeigt sich, dass das, was in der Theorie so überzeugend und einfach klingt, in der Umsetzung gerade den Handel vor gewaltige Herausforderungen stellt. Die verschiedenen kreislaufwirtschaftlichen Strategien zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie die Anforderungen an das Wissensmanagement im Unternehmen drastisch erhöhen: Was genau ist eigentlich in meinen Produkten enthalten? Wo werden die Produkte zu Abfall, die ich irgendwann meinem Kunden verkauft habe? Wie genau hat er sie bis dahin genutzt? Zur Beantwortung dieser Fragen erhöht sich in der Regel der Kreis von Akteuren, mit denen Prozesse und Strategien abgestimmt werden müssen, was Zeit kostet und ganz neue Kooperationsformen erfordert. Die Wissenschaft spricht euphemistisch von „Transaktionskosten“ der Informationsbeschaffung und -verarbeitung.
Zwei zentrale Themen als Erfolgsfaktoren
Auch im Handel kommen daher immer mehr verantwortliche Akteure zu der Erkenntnis, dass Kreislaufwirtschaft einen deutlich strategischeren Ansatz braucht als die aktuell überall angestoßenen Pilotprojekte. Wenn die Kreislaufwirtschaft tatsächlich sowohl auf die ökologischen als auch auf die ökonomischen Unternehmensziele einzahlen soll, braucht es einen klaren und langfristig ausgelegten Ansatz mit transparent abgeleiteten Zielen und Maßnahmen.
Die Erfahrungen der Vorreiter am Markt zeigen, dass dabei insbesondere zwei Themen zu den zentralen Erfolgsfaktoren gehören:
>> Unbedingt notwendig ist die Neuaufstellung von Kommunikations und Abstimmungsstrukturen im Unternehmen – noch immer scheitern viele im Prinzip großartige Projekte daran, dass beispielsweise den Produktdesignern überhaupt nicht klar ist, welche Effekte schon minimale Änderungen auf die Recyclingfähigkeit von Produkten und damit auf die Rentabilität von Sammelsystemen haben können. Kreislaufwirtschaft erfordert viel weniger die Optimierung von Einzelprozessen als die gemeinsame Entwicklung von Veränderungsstrategien.
>> Die erfolgreichen Kreislaufwirtschaftsprojekte zeichnen sich fast ausnahmslos durch eine sehr enge Verknüpfung mit Digitalisierungsstrategien aus: Da viel mehr Informationen beschafft und analysiert werden müssen, braucht es von Anfang an eine klare Vorstellung, wie beispielsweise Stoff- und Informationsflüsse viel enger aneinandergekoppelt werden können. Speziell der Verbleib von Produkten ist zurzeit noch gekennzeichnet von fehlenden Schnittstellen und Medienbrüchen – damit werden potenziell wertvolle Sekundärrohstoffe schnell zu Abfall, der teuer entsorgt werden muss.
Kreislaufwirtschaft ist damit ganz klar ein Querschnittsthema, das sich weder isoliert in einer einzigen Abteilung noch durch ein Unternehmen allein lösen lässt – ebenso ist natürlich der Elfenbeinturm Wissenschaft gefordert, „Zukunftswissen“ zu generieren, das sich nicht nur publizieren lässt, sondern den Unternehmen noch viel stärker praktische Orientierung bietet.
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