Unterhaltung als Mehrwert

Wie die Zukunft im stationären Handel angesichts der zunehmenden Bedeutung von Internet und Digitalisierung aussieht, wird derzeit heiß diskutiert. Klar ist: Traditionelle Läden können Entertainment besonders gut einsetzen, um sich gegenüber der Onlinekonkurrenz zu behaupten.

Von 16.05.2017

© Globetrotter Ausrüstung/Jens Klatt

Von wegen Provinz. In Markt Schwaben, einer Gemeinde mit nicht mehr als 15 000 Einwohnern östlich von München, demonstriert Sophia Lauton, wie sich der Fachhandel neu erfinden lässt. Ihr Einrichtungshaus Rupprich besitzt ein digitales Raumkino: Kunden sehen dort, wie Farb-, Stoff- und Tapetenmuster in einem echten Zimmer wirken. „Das ist für sie ein tolles Erlebnis“, sagt die 38-Jährige.

Begeisterung auslösen, Emotionen erzeugen, Gemeinschaft betonen – das geht persönlich und live viel besser als im Netz. „Inszenierung und Interaktion gehören zu den Stärken des stationären Einzelhandels“, sagt Bernd Mayer, Retailspezialist bei der Münchner Kommunikationsagentur Serviceplan. „Überraschen Sie Ihre Kunden, sprechen Sie ihre Gefühle an.“ Unterhaltung als Mehrwert. „Einrichten macht Spaß, das wollen wir vermitteln“, erzählt Sophia Lauton. Als sie und ihr Bruder im August 2015 in dritter Generation das elterliche Geschäft übernahmen, war ihnen klar, dass sie etwas ändern mussten, um sich stärker von Baumärkten abzuheben. Aus „Rupprich – Ihr Partner für Farbe und Raum“ wurde „Rupprich – das Wohnwerk“; das Digitalkino steht für den Anspruch, Avantgarde zu sein. Die Investition im fünfstelligen Bereich habe sich längst ausgezahlt, meint Lauton. „Die Kunden wissen: Das gibt es sonst nirgendwo.“

Nach dem Apéro in die Filmkomödie
Digitale Technik hilft beim Wow-Effekt. In Berlin bringt Turnschuhspezialist Solebox seine jugendliche Klientel zum Staunen, indem er die Sneakers von einem Industrieroboter aus den Regalen angeln lässt. Der amerikanische Grillhersteller Weber sorgte in seinem ersten deutschen Laden multisensorisch für Furore: Beamer projizieren glühende Kohle in die Glocken von Kugelgrills, Lautsprecher übertragen deren Knistern, durch die Luft wabern künstliche Grillaromen. Das Slotracing & Tabletop Center im nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort, ein Fachgeschäft für Carrera-Bahnen und Modellbau, veranstaltet Bastelrunden und Gästerennen – wer nicht dabei sein kann, kann die Ergebnisse online abrufen.

Um sich abzuheben, reicht mitunter eine gute Idee. In Köln gründete Tanja Bungart, im Hauptberuf Geschäftsführerin einer Beratungsfirma, eine kleine Boutique für nachhaltige Designermode. Die hat dann geöffnet, wenn sie und ihre arbeitenden Kundinnen Feierabend haben – donnerstags zum Beispiel von 18 bis 22 Uhr. Wer kommt, findet nicht nur Klamotten, sondern auch Sekt, Edelhäppchen und Freundinnen. „Event-Shopping“ nennt Bungart das Konzept. Die Vorstellung einer neuen Kollektion wird schon mal von einer Fotovernissage begleitet. Mode und Kunst ließen sich „bekanntlich gut verbinden“, meint Bungart.

Auch Kooperation kostet nichts und bringt viel. Im Münchner Stadtteil Solln etwa hat sich der Weinhändler Garibaldi mit dem örtlichen Lichtspieltheater zur Aktion „Kino & Vino“ zusammengetan: Einmal im Monat treffen sich Weinliebhaber zur Verkostung von vier edlen Tropfen; nach dem Apéro wechselt die leicht beschwingte Gruppe nach gegenüber in die Filmkomödie. In Markt Schwaben kooperiert Sophia Lauton eng mit dem Handwerk und lädt am Wochenende zur „gläsernen Werkstatt“ ein, in der Raumausstatter Gardinen nähen, Maler Farben anrühren und Polsterer Sessel ausstopfen.

Käseverkostung mit Schaltung zur Alm
„Die Emotionalisierung von Produkten und Produktwelten ist in jeder Branche möglich“, meint Experte Mayer. Seit drei Jahren setzt er im WeShop, einem Versuchslabor für den Einzelhandel, Innovationen praktisch um. Zum Beispiel die „Lift and Learn“-Technologie: Hebt der Kunde ein Produkt hoch, erscheinen auf dem Bildschirm über dem Regal neben Produkt- auch Zusatzinformationen: beim Rotwein über den Winzer, beim Sportschuh über das Material. Das funktioniert mit RFID-Etiketten. Die eignen sich auch für kleinere Händler, meint Mayer: „Die Technik ist bezahlbar und umsetzbar.“ Drucker für RFID-Labels gibt es schon für deutlich unter 1.000 Euro.

Noch einfacher lässt sich Videotechnik einsetzen. Der italienische Winzer Domini Castellare di Castellina lud Kunden im vergangenen Jahr zur virtuellen Weinprobe ein – sie hoben ihre Gläser in Videokonferenzsuiten der British Telecom in London, Johannesburg und Shanghai. Mit Skype, Laptop und einem großen Bildschirm geht so ein Event selbst im Tante-Emma-Laden: Käseverkostung mit Schaltung zur Alm, Modevorführung im Beisein des Designers.

Große Ladenflächen sind ein Wettbewerbsvorteil. Die Kölner „Erlebnisfiliale“ der Outdoorkette Globetrotter verfügt über einen 7.000 Quadratmeter großen Pool, in dem Boote und Tauchausrüstungen ausprobiert werden können. Saturn richtete in seinem Pilotmarkt in Ingolstadt einen gewaltigen Flugkäfig zum Drohnentesten ein. Doch auch wer im Platz beschränkt ist, sollte sich Mitmach- und Probieraktionen überlegen. Die stärken nicht nur die Kundenbindung, sondern auch das Image. „Wer auf sich aufmerksam macht, wird mit Medienpräsenz belohnt, die keinen Cent kostet“, sagt Mayer. Über die klassische Lokalzeitung hinaus berichten heute zudem zahllose Blogs.

In Markt Schwaben ist Sophia Lauton jedenfalls fest entschlossen, ihr Traditionsgeschäft weiter in Richtung Zukunft zu steuern. Ihre neueste Errungenschaft: eine Virtual-Reality-Brille, mit der Kunden dreidimensional neue Wohnwelten betreten. „Damit“, sagt Lauton stolz, „gehören wir zu den Vorreitern in ganz Deutschland.“


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