Letzte Meile

„Es gibt kein Patentrezept für alle Händler“

Der boomende Onlinemarkt erhebt die Logistik zur betrieblichen Schlüsselfunktion des modernen Handels. Christopher Meinecke, Leiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom, über Lösungen für die Letzte Meile und den zunehmenden Einfluss der Datenanalyse.

Von Pascal Fynn 27.08.2019

© Agility Robotics

In der Zukunft werden wohl Roboter im Haushalt helfen und Pakete austragen. Bis es soweit ist, sind andere smarte Lösungen für die letzte Meile gefragt.

Herr Meinecke, die Unternehmensberatung McKinsey erwartet, dass im Jahr 2025 rund fünf Milliarden Pakete jährlich in Deutschland verschickt werden. Um einen Verkehrsinfarkt zu vermeiden, werden neue Lieferkonzepte dringend benötigt. Wie könnten diese aussehen? 
Es gibt eine Vielzahl von neuen Lieferkonzepten, die aktuell in der Entwicklung und Erprobung sind. Diese reichen von autonomen Lieferrobotern für die Letzte Meile über Warenlieferung per Drohne in dünner besiedelten Gebieten bis hin zur weiteren Optimierung der Lieferwege mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Es wird am Ende sicherlich nicht ein neues Lieferkonzept geben, sondern eine ganze Reihe verschiedener Konzepte, die sich ergänzen.
 
Von der Digitalisierung der Supply Chain verspricht sich die Branche Effizienzgewinne. Auf welche Lösungen sollten Unternehmen setzen?
Grundsätzlich muss man einmal sagen: Die Logistik setzt verglichen mit anderen Branchen bereits heute stark auf digitale Technologien. So gehören etwa Warehouse-Management-Systeme bereits zum Standard, aber auch Sensortechnologien wie NFC oder RFID werden in drei Viertel der Unternehmen mit Logistikprozessen bereits genutzt oder stehen vor der Einführung. An Einfluss gewinnen wird mit Sicherheit die Datenanalyse. Diese nutzt bislang jedes fünfte Unternehmen, aber ebenso viele planen aktuell den Einsatz. Besondere Bedeutung für die Logistik der Zukunft werden Künstliche Intelligenz, Blockchain und Drohnen haben. Diese neuen digitalen Technologien nutzen bislang erst eine Minderheit der Unternehmen, aber wir werden hier in den kommenden Jahren eine deutliche Zunahme der Verbreitung sehen.

In welchen Bereichen erkennen Sie Chancen für Effizienzgewinne?
Eine große Mehrheit der Unternehmen sieht praktische Vorteile digitaler Technologien beim Warentransport: Beschleunigung des Transports (92 Prozent), langfristig sinkende Logistikkosten (85 Prozent) und weniger anfällige Transportketten (79 Prozent) gelten als die wesentlichen Pluspunkte. Rund zwei Drittel sind zudem überzeugt, dass digitale Technologien einen umweltschonenden Transport ermöglichen – das ist eine deutliche Zunahme gegenüber dem Wert von 58 Prozent im Jahr 2017. Dagegen sagen nur 14 Prozent, digitale Technologien lohnen sich allein für größere Unternehmen und kein Unternehmen gibt an, digitale Technologien seien überflüssig. Das ist schon ein ziemlich eindeutiges Bild.

Was bedeutet das konkret für den Einzelhandel? Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Jeder, der für sein Geschäft Waren transportiert, sollte sich mit den Möglichkeiten digitaler Technologien beschäftigen – und bereits heute mit Technologien wie KI oder Blockchain Erfahrungen sammeln. Es geht nicht allein darum, die bisherigen Abläufe effizienter zu gestalten, sondern um völlig neue Geschäftsmodelle. In der Logistik haben wir in puncto Digitalisierung, wie in vielen anderen Bereichen auch, kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Nur ein Beispiel: Drei Viertel der Unternehmen, die Waren transportieren, glauben, dass Plattformanbieter in zehn Jahren bedeutende Player in der Logistikbranche sein werden. Dennoch sagt jeder Dritte, dass digitale Plattformen für das eigene Unternehmen aktuell kein Thema sind und jeder Vierte gibt an, dass Plattformen gerade erst diskutiert werden. Der wichtigste Rat für den Einzelhandel lautet deshalb: Nicht abwarten, sondern handeln!

Aus Kundensicht sollte am besten alles sofort und direkt vor die Haustür geliefert werden. Noch fällt es vielen Händlern schwer, diese hohen Ansprüche zu erfüllen. Welchen Kundenwünschen sollten Händler vordringlich versuchen gerecht zu werden?
Es gibt kein Patentrezept für alle Händler. Wer sich auf sehr spezifische Kundengruppen mit einem Warenangebot konzentriert, das es nicht an jeder Ecke gibt, der steht vor anderen Herausforderungen als ein Händler, dessen Angebot dem großer Onlinehändler ähnlich ist. Entscheidend ist, dass kein Händler die digitalen Möglichkeiten ignorieren kann. Das geht von der Abwicklung von Anfragen und Reklamationen bis zu Verkaufsmöglichkeiten wie Click&Collect.

Wie kann die Letzte Meile effizient und umweltschonend gemeistert werden?
Für die Letzte Meile gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten: Sie reichen von autonomen Lieferrobotern über Drohnen bis hin zur Abholung in Paketstationen, um die Wege der Paketzusteller zu reduzieren. Aber auch die Lieferung zum Wunschtermin mittels durch KI optimierter Routen kann helfen, fehlgeschlagene Zustellungen und damit unnötige Wege zu reduzieren oder zu verhindern.

Werden sich autonom fahrende Lieferroboter und Drohnen-Lieferungen durchsetzen?
Bei neuen Technologien ist es grundsätzlich schwierig vorherzusagen, welche sich am Ende durchsetzen werden. Sicher ist aber, dass künftig autonome Lieferroboter oder auch Drohnen-lieferungen zumindest für spezielle Anwendungen eingesetzt werden.

Nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitserwägungen ist es problematisch, das zwölf Prozent aller Onlinekäufe wieder zurückgeschickt werden und aus Kostengründen häufig vernichtet werden. Wie können Händler gegensteuern?
Eine wichtige Möglichkeit, die Anzahl der Retouren zu reduzieren, ist die Kunden möglichst umfassend über ein Produkt zu informieren. Viele Onlineshops setzen auf sehr detaillierte Produktinformationen, um Kunden von vornherein die richtige Auswahl zu ermöglichen und so eine Retour zu vermeiden. Bei Bekleidung wird dann nicht mehr nur die Größe angegeben, sondern auch Informationen darüber, ob die Ware eher klein oder eher groß ausfällt. Kunden können Brillen virtuell anprobieren, mit Augmented-Reality-Anwendungen das neue Möbelstück vor dem Kauf im eigenen Wohnzimmer sehen und natürlich Bewertungen anderer Kunden lesen. Dabei spielen KI-gestützte Auswertungen von Kundenbewertungen eine wichtige Rolle. Auch 360-Grad-Bilder, Nahaufnahmen und Videos können dem Käufer ein Produkt besser vermitteln. Dazu kommt der Einsatz digitaler Möglichkeiten bei der persönlichen Beratung, etwa das Angebot eines Live-Chats. Auch hier eröffnet die Digitalisierung also neue Möglichkeiten.

Schlagworte: Digitalisierung, Handelslogistik, Logistik, Interview, Supply Chain

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