Letzte Meile

Eine kleine Revolution

Zuverlässig, nutzerfreundlich und datenschutzkonform: Mithilfe Künstlicher Intelligenz erkennt das hessische Start-up Green Convenience, wann Kunden bestellte Ware in Empfang nehmen können. In Göttingen geht die Software jetzt in den Praxistest.

Von Christine Mattauch 26.04.2023

© Onfokus / Getty Images

Keiner zu Hause: Durch eine Kombination von Big-Data-Analytik und Standortdaten kann die Software von Green Convenience dieses teure Ärgernis vermeiden.

Der Bote steht mit dem Paket vor der Tür, doch der Empfänger ist nicht zu Hause – ein altbekanntes Ärgernis für Kunden, Händler und Logistiker. Ein junger Gründer aus Hessen hat nun das scheinbar Unmögliche geschafft: Er fand eine intelligente Lösung für die letzte Meile, also für das Problem der Zustellung an den Endkunden.

Benjamin Dauth heißt der kreative Kopf, dem mit Fachkenntnis, Ausdauer und der Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) offenbar gelang, woran sich eine ganze Branche jahrelang vergeblich versucht hatte. Durch eine datenschutzkonforme Kombination von Big-Data-Analytik und Standortdaten kann seine Software voraussagen, wann Kunden zu Hause sind. Auf diese Weise lässt sich ein Zeitfenster ermitteln, in dem die Zustellung mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit gelingt. „Unsere Lösung ist vollkommen neu, eine vergleichbare Technologie gibt es nirgendwo auf der Welt“, sagt Dauth. Deshalb hat er sie sogleich zum Patent angemeldet.

Einen Pilotkunden gibt es auch schon: Felix Dossmann, Inhaber des Göttinger Logistikdienstleisters Grünfuchs, der selbst seit mehr als 20 Jahren Software für den Einzelhandel entwickelt. Über das Problem der Letzten Meile, so sagt er, habe er viel, aber ergebnislos nachgedacht. Die Lösung von Dauth und dessen Mitstreitern nennt er „kreativ und brillant“.

Fast 50 Prozent Ersparnis

Hält das Modell in der Praxis, was es in der Theorie verspricht, wäre das für Handel und Logistik eine kleine Revolution. Nach Schätzungen scheitern weltweitrund 20 Prozent der Erstzustellungen, in Deutschland sind es zwischen fünf und zehn Prozent. Für Händler und Logistikdienstleister kann das sehr teuer werden. Überdies verderben Mehrfachfahrten die an sich günstige Ökobilanz, die durch die Bündelung von Lieferungen entsteht.

Dauths Start-up Green Convenience verspricht eine Einsparung von je 45 Prozent der Kosten und CO2-Emissionen. Ganz nebenbei steigt auch noch die Kundenzufriedenheit, glaubt Dauth: „Der durchschnittliche Konsument möchte seine Ware persönlich in Empfang nehmen.“ Und ist verärgert, wenn er darauf vergeblich warten oder seine Bestellung erst bei Nachbarn aufspüren beziehungsweise in einer Filiale des beauftragten Logistikdienstleisters abholen muss.

Dauth, 36 Jahre, lebt in der Kleinstadt Maintal und weiß, wovon er spricht. Er ist gelernter Speditionskaufmann und arbeitete schon fast zehn Jahre beim Logistikkonzern Schenker, als er sich während eines berufsbegleitenden MBA-Studiums an der Frankfurt School of Finance & Management mit dem ungelösten Last-Mile-Problem zu beschäftigen begann. Als er im Herbst 2019 auf einer Party einen IT-versierten Schulfreund wiedertraf und ihm von seiner Idee erzählte, kam Schwung in die Sache. Ein knappes Jahr später gründeten die beiden ihr Start-up Green Convenience. Sie schafften den Sprung in den Accelerator des House of Logistics and Mobility, mit dem die Stadt Frankfurt und das Land Hessen vielversprechende Gründungen fördern. Hinzu kam eine Entwicklungspartnerschaft mit der TU Darmstadt.

Präzise und vor Hackern geschützt

Das Revolutionäre des Konzepts besteht darin, dass mittels KI einerseits präzise Standortdaten ausgewertet werden – diese aber andererseits niemals das Handy der Kunden verlassen und somit vor Hackern oder anderen Unbefugten geschützt sind, selbst wenn diese es schaffen sollten, in die Logistiksoftware einzudringen. Die gleicht Bewegungsdaten und Lieferadressen nämlich nicht in der realen Welt ab, sondern in einem fiktiven virtuellen Raum ohne Bezug zur Erde. „Ein Hacker fände lediglich verschlüsselte Datenpunkte ohne Bezug zur Wirklichkeit“, erklärt Dauth. Die Zuordnung von Adressen erfolgt ausschließlich im Liefersystem. Das wiederum kennt die Bewegungsdaten der Kunden nicht. Die Datenschutzkonformität haben sich die Gründer von der Kanzlei „Datenschutz Frankfurt“ bestätigen lassen.

Die Künstliche Intelligenz kommt bei der Analyse von Mustern ins Spiel, schließlich haben die meisten Menschen einen halbwegs geregelten Tagesablauf. Die Software merkt sich Überschneidungen der verschlüsselten Datenpunkte im virtuellen Raum und errechnet daraus Wahrscheinlichkeiten, wann Kunden zu Hause sind. Kurz vor einer geplanten Zustellung wird dann noch einmal überprüft, ob Liefertermin und Anwesenheit tatsächlich im gleichen Zeitfenster liegen werden – wenn nicht, wird das Zeitfenster aktualisiert. „Ausnahmslos erfolgreiche erste Zustellversuche“, wirbt Green Convenience auf seiner Website. Eine Ausnahme gibt es aber doch: Wenn der Kunde im Büro sitzt oder im Park herumspaziert, aber sein Handy zu Hause vergessen hat. Das signalisiert dann eine – falsche – Anwesenheit.

Zu den wenigen technischen Voraussetzungen für Dauths Lösung gehört eine Kunden-App, in die ein Softwarebaustein integriert wird. Mit dessen Hilfe werden die Standortdaten verschlüsselt und dann in den virtuellen Raum übertragen. Der Konsument
muss zustimmen, was er nach Dauths Einschätzung gern tun wird, da eine optimierte Zustellung in seinem eigenen Interesse liegt und seine Daten geschützt sind. Und seine Adresse kennen die Lieferanten ja sowieso.

Große Chance für kleine Händler

Logistiker Dossmann jedenfalls ist von dem Ansatz so überzeugt, dass er eigens den Start seiner Kunden-App verschoben hat,  m die Lösung von Green Convenience zu integrieren. In wenigen Wochen wird es losgehen mit dem Praxistest. Wie stets bei einem neuen Softwareprojekt, wird es Anlaufschwierigkeiten und kleine Fehler geben, die korrigiert werden müssen. „Aber wenn ich meine Anlieferquote nur um fünf Prozent verbessere, habe ich schon gewonnen“, sagt Dossmann.

Aus seiner Sicht ist die Lösung auch deshalb interessant, weil sie Innenstadthändler darin unterstützen kann, beim Lieferservice mit großen Onlinekonzernen gleichzuziehen – oder sogar besser zu sein als diese. Mit seinem Unternehmen Grünfuchs betreibt er ein lokales Logistiksystem, das rund 140 stationäre Händler nutzen. Die Last-Mile-Lösung von Green Convenience fülle da künftig „die letzte Lücke im Portfolio“, sagt er.

Wenn alles gut läuft, will Gründer Dauth schnell weitere Pilotkunden gewinnen. „Danach würden wir auf die größeren Player zugehen“ – wenn sich die größeren Player bis dahin nicht bei ihm gemeldet haben sollten. Auch über den Vertrieb hat er schon nachgedacht: Die Lösung soll als „Software as a Service“ angeboten werden, samt Integrationssupport und Analysetools. Für Großkunden wird es Premiumpakete geben. Zu den Kosten der Software sagt Dauth nur: „Ein Bruchteil dessen, was sie einspart.“

Dabei ist das Geschäftsmodell „Letzte Meile“ womöglich nur ein Anfang. „Wir bewegen uns im Bereich der Grundlagenforschung“, sagt Dauth. Interessant könne die Technologie auch für andere Branchen sein, in denen Anwesenheiten und Kapazitätsauslastung eine Rolle spielen: im Zugverkehr etwa oder in der Gastronomie. Und auch in einem Bereich, der künftig für viele Menschen hochrelevant werden wird: die Nutzung von Ladesäulen für Elektroautos.

Schlagworte: Trends, Digitalisierung, Start-up, E-Commerce, Onlinehandel, Logistik, letzte Meile

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