Zukunftsforscherin Theresa Schleicher ist überzeugt: „Das Thema Nachhaltigkeit wird sich stark weiterentwickeln.“ Für sie ist klar, dass sich der nachhaltig orientierte Lebensstil längst aus der Öko-Ecke befreit hat und zum Lifestylethema geworden ist. Bisher habe man Secondhandmode und Nachhaltigkeit auf der einen sowie Fast Fashion auf der anderen Seite als zwei verschiedene Welten betrachtet, so Schleicher. „Für die neue Art von nachhaltiger Mode muss der Konsument jedoch keine Kompromisse mehr eingehen.“
Mit neuen zirkulären Geschäftsmodellen setzen die Big Player auf hochwertige Produkte, die mehrere Gebrauchszyklen durchlaufen können. Zalando hat im vergangenen Jahr mit Pre-owned die erste neue Kategorie seit 2018 etabliert. H&M ging im Sommer 2020 in Deutschland mit Sellpy, einer Plattform für den An- und Verkauf von hochwertiger Secondhandkleidung an den Start.
Auch im Bereich Unterhaltungselektronik ist Nachhaltigkeit kein Fremdwort mehr. So starteten MediamarktSaturn, Comspot und Samsung Kooperationen mit Grover. Geschäftsmodell des Fin-Techs ist es, Gadgets wie Handys oder Spielekonsolen zu vermieten, um den Lebenszyklus von Tech-Produkten zu verlängern.
Hohes wirtschaftliches Potenzial
Im Jahr 2020 erzielte Grover einen Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro. Innovative zirkuläre Geschäftsmodelle entsprechen also nicht nur dem Wunsch der Kunden nach langlebigen und nachhaltigen Produkten, sondern bergen gleichzeitig wirtschaftliches Potenzial für Hersteller.
Wie zirkuläre Geschäftsmodelle im Lebensmittelhandel funktionieren können, zeigt die Ladenkette Sirplus, die während der Coronakrise expandieren konnte. Über einen Onlineshop sowie in sechs sogenannten Rettermärkten gibt Sirplus überschüssige Lebensmittel zu günstigeren Preisen an Konsumenten weiter. Auch die in sieben Bundesländern vertretene Secondhand-Modekette Resales eröffnete während der Coronakrise neue Filialen. Ebenso spricht der Discounter Penny mit seinem Nachhaltigkeitsmarkt in Berlin-Spandau Verbraucher an, die bewusst auf Klima- und Umweltschutz achten.
Selbst auf politischer Ebene wird das Thema stärker forciert. Ein neuer Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft des Umweltausschusses der Europäischen Kommission stellt heraus, dass mithilfe der Kreislaufwirtschaft nicht nur die CO2-Emissionen der EU drastisch sinken würden, sondern dieses System auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen würde.
Der für den europäischen Grünen Deal zuständige Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans betont: „Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, unsere natürliche Umwelt zu erhalten und unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, bedarf es einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft.“ Die europäische Wirtschaft sei noch überwiegend linear gestaltet und nur zwölf Prozent der Sekundärstoffe und -ressourcen gelangten wieder in die Wirtschaft zurück.
Effiziente Ressourcennutzung
Es ist also noch ein langer Weg, weshalb eine zunehmende Zahl von Kreislaufwirtschaftsprojekten mit Fördergeldern unterstützt wird. Meist sind sie nicht von Beginn an wirtschaftlich erfolgreich, liefern jedoch spannende Einsichten für die zukünftige Umsetzung. Ein Beispiel ist der Materialmarkt im Haus der Materialisierung in Berlin. Der Senat fördert den alternativen Baumarkt des Vereins Kunst-Stoffe im Rahmen seiner Re-Use-Initiative. Endkunden finden dort Baumarkt- und Handarbeitsmaterialien, die als Abfallprodukte nach Messen oder Theaterproduktionen anfallen. Abholung sowie Aufbereitung der Materialien sind allerdings noch mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden.
„Unser primäres Ziel ist es nicht, preiswert zu sein, sondern Ressourcen möglichst effizient zu nutzen“, erklärt Corinna Vosse, Gründerin des Markts für Kunst-Stoffe. „Abfälle und Verpackung fallen bei uns nur in den allerseltensten Fällen an.“ Neben den Sammelstellen für wiederverwendbare Materialien organisiert ihr Verein auch Workshops, in denen man lernen kann, kaputte Produkte selbst zu reparieren. „Wir finden es wichtig, die Konsumenten nicht allein zu lassen.“ Auch ein Geschäftsmodell.
Rund und grün
Wie Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Geschäftsmodelle in der Praxis funktionieren, zeigen die folgenden fünf Beispiele.
Werkstatt für Weltenbummler
In mittlerweile sieben Städten bietet Globetrotter seinen Kunden an, kaputte Kleidung oder Ausrüstungsgegenstände vor Ort reparieren zu lassen. Egal ob ein Reißverschluss ausgetauscht, ein Riss geflickt oder die Jacke neu imprägniert werden muss – bei den Mitarbeitern der schmucken Werkstätten ist das Lieblingsstück in besten Händen. Das spart Ressourcen, schont die Umwelt und macht sich gleichzeitig als Marketinginstrument nicht schlecht. Längst ist das Motto „Eine grünere Wahl“ zum Markenlabel geworden, mit dem Produkte gekennzeichnet sind, sofern sie den Kriterien von Globetrotter zufolge zu 100 Prozent grün und nachhaltig sind – also auch repariert werden können. Während das Lieblingsstück abenteuertauglich gemacht wird, können sich die Kunden in den Klubhütten entspannen oder von Vorträgen und in Workshops inspirieren lassen. Produkte, die nicht gleich vor Ort repariert werden können, werden an das externe Serviceteam weitergeleitet.
globetrotter.de/filialen/werkstatt-und-clubhuette
Wunschstück via WhatsApp
„Des einen Müll ist des anderen Schatz“, lautet ein amerikanisches Sprichwort. Die Berliner Stadtreinigung hat das einfach mal wörtlich genommen und bietet in der Nochmall gebrauchte Möbel, Elektrogeräte, Haushaltswaren, Klamotten, Kinderspielzeug, Bücher, Medien und vieles andere an, was Second-Hand gut gebraucht werden kann. Auktionen und ein Repair-Café ergänzen das Angebot. Darüber hinaus werden neue Formen des Marketings und Einkaufens ausprobiert. Beispiele sind die „Hör mir Nochmall zu“-Playlist auf Spotify oder die mit dem Lockdown gestartete Möglichkeit, mittels WhatsApp & Collect remote zu shoppen. Via Messenger stöbern NochMall-Mitarbeiter gemeinsam mit den anrufenden Kunden durch die Regale. Erspähen die potenziellen Käufer ihr gebrauchtes Wunschstück, legen die Mitarbeiter es zur Abholung bereit.
nochmall.de
Letzte Chance vor der Stadtmission
Seit dem Sommer 2020 ist die Secondhand-Plattform Sellpy von H & M auch in Deutschland online. In Schweden können Konsumenten das zirkuläre Geschäftsmodell bereits seit 2014 nutzen. Dazu müssen sie online die sechs Liter fassende Sellpy-Tasche bestellen, mit ausgemusterten Modellen aus dem eigenen Kleiderschrank füllen und an H&M senden. Einzige Auflage ist, dass die Kleidungsstücke gut erhalten und mindestens fünf Euro wert sein sollten. Sellpy-Mitarbeiter sortieren die eingesandten Kleidungsstücke und stellen ihre Auswahl online. Danach haben die Kunden 48 Stunden Zeit, den Preisvorschlag zu ändern oder die Aufnahme zuvor aussortierter Artikel zu fordern. Wird das Kleidungsstück nicht verkauft, senkt ein Algorithmus sukzessive den Kaufpreis. Kleidung, die keinen Abnehmer findet, wird recycelt oder an die Stadtmission in Stockholm weitergegeben.
sellpy.de
Wiederverwertung im Warenhaus
Was passiert, wenn in einem ganz normalen Kaufhaus auf einmal auch Gebrauchtwaren angeboten werden? In einem Pop-up-Store haben der Berliner Senat und Karstadt das einfach mal ausprobiert. Im September 2020 eröffnete auf der dritten und vierten Etage des Karstadt-Hauses am Berliner Hermannplatz das B-Wa(h)renhaus. Bis zu 700 Käufe täglich wurden dort im vergangenen Jahr getätigt. „Die Aktion war so erfolgreich, dass wir sie in diesem Jahr weiterführen“, erklärt Thomas Schwilling, als Referent zuständig für die Re-Use-Initiative der Berliner Senatsverwaltung. Ziel sei es, mittelfristig vier solcher Re-Use-Kaufhäuser im Land Berlin einzurichten. Neben dem Verkauf von Gebrauchtwaren über feste Aussteller sind auch Reparaturwerkstätten, Workshops und Vorträge geplant. Weitere Informationen von Re-Use Berlin zum Kaufhaus der Zukunft unter:
bit.ly/3umucc1
Buy one – get a tree
Jenseits vom Fashion-Mainstream gründeten die Schulfreunde Jan Thelen und Robert Diekmann im Jahr 2010 ein eigenes Modelabel. Ihre Idee, auf allen Ebenen „kompromisslos ethisch“ zu agieren, hat zwar mittlerweile Anhänger gefunden, reich geworden sind die beiden Gründer damit jedoch bislang nicht. Immerhin aber hat sich Recolution über die Jahre als veganes und faires Modelabel erfolgreich etabliert und gilt als engagierter Vorreiter bei „grünen“ und „fairen“ Themen. Mit Aktionen wie „Buy one – get a tree“ oder personalisierten „Support your local hero“-Textilien während der Coronakrise fordern Thelen und Diekmann ihren Kundenstamm gezielt dazu auf, nachhaltig zu handeln.
recolution.de
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Warum es sich nicht ausschließt, schön und nachhaltig gekleidet zu sein, was die Circular-Fashion-Bewegung für den klassischen Modehandel bedeutet und warum der Lockdown den Wunsch nach Hygge-Detox gebiert, erklärt die Retail-Expertin Theresa Schleicher hier.
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