Aus dem Elfenbeinturm

Schöne neue Stadt?

Mit neuen, drängenden Herausforderungen, wie dem Klimawandel oder Migrationsbewegungen, kommen weitere Anforderungen hinzu, urbane Räume resilient und nachhaltig zu gestalten. Über die Refiguration von Innenstädten.

Von Linda Hering 02.08.2022

© iStock.com/Mumemories

Blick auf Songdo: Dank Hightech ist die süd­koreanische Smart City sehr umweltfreundlich. Allerdings wird auch ­alles digital überwacht.

Aus raumtheoretischer Perspektive vereinen Städte verschiedene Raumfiguren: Sie sind Nachbarschaftsorte, administrativ verwaltete Territorien, infrastrukturelle Bahnen und Akteursnetzwerke zugleich. Im Zusammentreffen dieser Funktionen bilden sich je lokalspezifische Raumanordnungen aus und prägen das soziale Handeln. Gerade da Akteure und Institutionen je verschiedene Ansprüche an Räume stellen, entstehen Spannungen und Konflikte, die auf widersprüchlichen Logiken beruhen. In Städten überlagern sich multiple Räumlichkeiten, die individuell bewältigt werden.

Innenstädte fungieren als Orte, die Identifikations- und Vergemeinschaftungspotenziale bieten. Seit Anbeginn ihres Bestehens haben sie eine besondere Bedeutung für das städtische Leben. Auf Marktplätzen tummelten sich Handelsleute, neuster Klatsch und Tratsch wurde ausgetauscht oder Recht gesprochen. Ein schützenswerter Ort, der mit steinernen Burgmauern befestigt war, um Unbefugten ein unerlaubtes Eindringen in das eigene Territorium zu verwehren. Heute dienen diese Monumente in der Regel nur noch zu Demonstrationszwecken und sind materialisierte Zeugen einer vergangenen Gesellschaft.

Innenstadt im steten Bedeutungswandel

Innenstädte erfüllen vielfältige Funktionen und erleben immer wieder strukturelle Veränderungen, die mit einem entsprechendem Bedeutungswandel einhergehen. Im Zuge von Suburbanisierungsprozessen, vor allem in den späten 1960er-Jahren, verlagern sich beispielsweise Industrieanlagen, Dienstleistungen und das Wohnen an den Stadtrand. Besonders kritisch ist dies, da Innenstädte durch besondere Qualitäten, unter anderem eine anregende Einkaufsatmosphäre, zum Flanieren einladen und deshalb als Frequenzbringer gelten. Doch insbesondere die Coronapandemie lehrte uns, dass diese Raumstrukturen fragil sind. Vielerorts wurden Innenstädte zu menschenleeren Orten und mit dem Wegfall des Einzelhandels müssen sie um ihre Relevanz bangen.

Um dieser Stadtflucht entgegenzuwirken, arbeiten politische, zivilgesellschaftliche, wissenschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure zusammen, um beispielsweise durch einen Ausbau oder die Neuschaffung von relevanten Infrastrukturen (ÖPNV, Museen oder Parks) dem Standort Innenstadt neue Ausstrahlungskraft zu verleihen und eine Reurbanisierung anzustoßen. Treibende Leitmotive dieser Bemühungen stellen eine nachhaltige Entwicklung sowie die Forcierung digitaler Angebote dar. Onlineplattformen, wie Amazon oder Uber, avancieren hier zu Konkurrenten lokaler Angebote und treiben mancherorts die Vereinsamung der Innenstädte voran, motivieren andernorts etablierte Dienstleistende, in allen Sparten dazu, Omnichannel-Modelle, die analoge und virtuelle Angebote kombinieren, auszubauen.

Mit diesen strukturellen Veränderungen, die zum Teil neue Zirkulationsströme von Menschen und Gütern evozieren, indem Waren auf Elektrobikes von den sich ausbreitenden Dark Stores direkt zu den Wohnungen der Endverbraucher und -verbaucherinnen geliefert werden, wird der Umgang mit urbanen Räumen neu verhandelt, verändert oder umgestaltet. So ergeben sich selbst in den stationären Einkaufsorten polykontexturale Kaufsituationen, wenn Entscheidungen durch digital vermittelte Informationen (den QR-Code, der Auskunft über die Anbaubedingungen auf Bananenplantagen in Südamerika gibt) beeinflusst werden und verschiedene soziale Kontexte, Texturen und Wissensregime zusammenwirken.

Translokale und polykontexturale Räume

Mit diesen räumlichen Transformationsprozessen geht die Notwendigkeit einher, neues Wissen im Umgang mit den Raumanordnungen auszubilden, da diese zunehmend durch translokal organisierte Formen von Wirtschaftsbeziehungen oder die Ausweitung mediatisierter Handlungen bestimmt sind. Das Smartphone entsperrt E-Scooter, navigiert uns zu Eventlocations und bezahlt das Essen im Trendimbiss vor Ort kontaktlos, selbst wenn die Server in den USA liegen.

Die Digitalisierung durchzieht alle Lebensbereiche und beeinflusst unter anderem die Planung von Städten, wenn sie als smarte Alternativen zu ihren traditionellen Vorgängerinnen entworfen werden und diese Konzeption, wie in Songdo (Südkorea), konsequent umgesetzt wird. Damit einher geht eine Beschleunigung der medialen Überwachung, Effizienzsteigerung und Sicherheit, die sich oft unbemerkt vollzieht und potenziell soziale Ungleichheit reproduziert. So beruhen digitale Anwendungen auf Prognosen, die vergangene Nutzungsmuster heranziehen, Intensivnutzer privilegieren und vorgeplante Reaktionen erzeugen. Ebenso ist die Nachhaltigkeit digitaler Anwendungen mit Blick auf die Häufigkeit von Reboundeffekten als fragwürdig zu bewerten.

Mediatisiertes Handeln beschleunigt Veränderungen

Neben dem Trend zum Digitalen findet sich ein weiterer Trend, der lokal organisiert und realisiert wird. Urban Argriculture spielt in immer mehr Metropolen, wie Budapest oder Singapur, eine sichtbare Rolle, um ganz verschiedene ­Herausforderungen anzugehen. Über Ernährungssicherung und Autonomie bis hin zur Verbesserung des Stadtklimas, versuchen Start-ups, NGOs wie auch zivilgesellschaftliche Freiwillige, durch den Anbau und die Kultivierung von landwirtschaftlichen Gütern nicht nur sich selbst oder die umliegende Bevölkerung zu versorgen, sondern meistern damit soziale Integration und lassen die Differenzen zwischen urbanen und ländlichen Räumen mehr und mehr verblassen.

Wie und unter welchen Bedingungen sich Innenstädte zukünftig entwickeln werden, bleibt zu beobachten. Bereits jetzt ist klar, dass sich diese Veränderungen durch mediatisiertes Handeln beschleunigen, dass sie translokaler werden und die daraus entstehenden räumlichen Anordnungen und sozialen Handlungen bisweilen neue Konflikte hervorrufen. Zugleich bestehen Potenziale, Innenstädte lebenswert, multifunktional, sozial gerecht und ökologisch verträglich zu gestalten, um diese für kommende Generationen attraktiv zu halten. 

Dr. Linda Hering

forscht am Sonderforschungsbereich „Re-­Figuration von Räumen“ an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Tech­nischen Universität Berlin. Sie beschäftigt sich am Beispiel des Lebensmittelhandels ­damit, wie technische Innovationen und gesellschaftliche Strukturen miteinander interagieren und welche Effekte dies ­unter anderem für die Umwelt hat.

Schlagworte: Innenstädte, Klimaschutz, Digitalisierung

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