Tagsüber schlafen, nachts zocken – so haben sich die Eltern von Alexander Thoss das Leben ihres Sohnes nicht vorgestellt. „Sie fragten mich: Gibt es nicht irgendetwas, wo du ankommen kannst?“, erinnert er sich. Das war Ende der Nullerjahre. Über 100.000 Euro hatte Thoss, damals Anfang 20, als professioneller Pokerspieler erspielt. „Einmal saß ich mit dem Fußballstar Neymar an einem Tisch“, sagt er.
Neben dem Kartenspielen verkaufte Thoss noch Wasserfilteranlagen für Aqua Deluxe, die Firma seines Schwiegervaters. „Meine Eltern meinten auch, mit der Pokerei sei ich langfristig kein gutes Vorbild für meine damals einjährige Tochter.“ Thoss hatte sein BWL-Studium in Osnabrück abgebrochen, als seine Freundin schwanger wurde.
Garage voller Duschkabinen
Den Anstoß für den beruflichen Neuanfang gibt ein Familienfest im November 2009. Thoss' Onkel hat zum Geburtstag geladen und zeigt stolz seine neuste Errungenschaft: Eine Art Badewanne mit Glasaufsatz steht im Keller neben der Sauna. Auf die Frage, was denn das sei, antwortet der Onkel: „Ein Dampfdusch-Whirlpool.“ Entspannen im Blubberwasser mit Musik aus dem integrierten Radio, Schwitzen in der Dampfsauna – alles möglich.
„Mein Papa klopfte gegen die Scheibe, das war sein Qualitätscheck“, sagt Thoss. „Dann kam die Frage, was das denn gekostet habe.“ Die Antwort: „3.500 Euro, reduziert von 7.000.“ „Die Verwandten nickten zustimmend, und mein Vater sagte zu meiner Mutter: ‚Elke, das könnten wir uns auch kaufen.‘ Und ich dachte nur: Ist das euer Ernst? Ihr fahrt in die Nachbarstadt, wenn der Sprit dort ein paar Cent billiger ist – aber ein Wellnessgerät für mehrere Tausend Euro geht klar?“
Genau aus diesem Gedanken entsteht die Idee für die eigene Firma. Thoss borgt die Hälfte des schwiegerväterlichen Firmennamens und beschließt, künftig unter der Marke „Home Deluxe“ von seiner Heimatstadt Lübbecke in Ostwestfalen aus online Badeinrichtungen und mehr zu verkaufen. Der erste Arbeitsplatz: ein Schreibtisch im elterlichen Haus. Das anfangs belächelte Ziel: beim Umsatz in einen fünf- oder sechsstelligen Bereich vorzustoßen. Diese Erwartung ist längst übertroffen. 55 Millionen Euro nahm Home Deluxe 2020 ein, kalkuliert waren 35 Millionen Euro. Schon das wäre rund das Doppelte des Vorjahreswerts gewesen.
Neben Badeinrichtung verkauft das Unternehmen inzwischen zahlreiche Produkte für Haus oder Garten – auch in Kooperation mit großen Handelsketten wie Aldi, Real und Tchibo. Vom Massagesessel bis zum Sandkasten mit Sonnenschutz reicht das Programm. Neben weiterem Wachstum im Onlinegeschäft hegt Thoss nun einen neuen Plan: 30 stationäre Läden sollen nach und nach in deutschen Innenstädten entstehen: „Wir wollen dazu beitragen, die Fußgängerzone zu revitalisieren“, sagt der 35-Jährige.
Der Weg zum Erfolg ist steinig. Produzieren lässt Thoss von Beginn an in China. Die erste Order: Duschkabinen. 47 verschiedene Varianten von fünf Herstellern bestellt Thoss in Fernost. Der Container kommt aber nie an – 20.000 Euro sind futsch. Thoss bestellt noch einmal, und diesmal klappt es mit der Lieferung. Mit einem Freund zieht er sich drei Wochen lang in die elterliche Garage zurück. „Kiste Bier in der Mitte, so haben wir alles aufgebaut.“
Ankommen? Das hatten sich die Eltern irgendwie anders vorgestellt. Doch Thoss zieht es durch. 42 Kabinenmodelle erweisen sich als zu wackelig, fünf überzeugen. Die ausgemusterten Produkte stellt Thoss als B-Ware bei Ebay ein – Auktionen zum Startpreis von einem Euro. „Wir haben nicht schlecht gestaunt, als wir dafür das Doppelte des Einkaufspreises bekommen haben“, sagt er. Spätestens da ist klar: In diesem Markt steckt Geld.
Auf den Instinkt vertraut
Doch leicht zu verdienen ist es nicht. Als zweite große Baustelle neben der Produktqualität erweist sich die Logistik. „Einen Karton Hantelstangen in China kaufen und die dann per DHL verschicken, das kann jeder“, sagt Thoss. „Diesem Wettbewerb wollte ich mich aber nicht aussetzen.“ Er startet gleich mit größeren und sperrigen Produkten – und muss dafür Lehrgeld zahlen.
„Es hat drei Jahre gedauert, bis wir unsere Produkte mit erträglicher Schadensquote zum Kunden bekommen haben. Zu Anfang waren sieben von zehn Lieferungen beschädigt.“ Stabile Paletten für den Transport baut Home Deluxe inzwischen selbst und liefert in der Region mit einem eigenen Fuhrpark aus.
Auch Entwicklung und Fertigung der Ware laufen heute hoch professionell ab. 1 000 Arbeiter seien bei Zulieferern in China ausschließlich damit beschäftigt, Home-Deluxe-Produkte zu bauen, sagt Thoss. Er habe selbst gestaunt, als er das nachgerechnet habe. Sieben Chinesinnen hat er fest angestellt, vier von ihnen kümmern sich in ihrer Heimat darum, passende Fertigungsstätten zu finden. Drei halten von Lübbecke aus Kontakt zu den asiatischen Partnern. „Wir haben jetzt gute Qualitäts-Check-ups“, sagt Thoss. Die Entwicklung läuft weitgehend am Hauptsitz. „Acht von zehn Produkten gehen über meinen Schreibtisch“, sagt der Gründer, „zwei werden uns von Externen angeboten.“
Kooperation mit großen Ketten
Ein Jahr dauert es laut Thoss, bis eine Idee komplett umgesetzt ist. Im ersten Schritt übermittelt Home Deluxe die Designvorstellungen zum potenziellen Hersteller nach China, der dann den Prototyp entwirft. „Bis wir zufrieden sind, gehen oft sechs Muster per Luftfracht hin und her“, sagt Thoss. Anschließend prüft noch der TÜV. „Das kostet alles viel Geld, was aber gut investiert ist.“ Bei der Suche nach neuen Home-Deluxe-Angeboten verlässt sich Thoss auf den Instinkt. „Ich habe ein gutes Gefühl, was am Markt läuft“, sagt er. „Wir schauen in der Regel höchstens ein Jahr in die Zukunft.“ Für den kommenden Sommer hat die Coronapandemie den Innovationskurs geprägt.
„Wir glauben, dass ein Großteil der Menschen nicht in den Süden fliegt, sondern Geld für Heim und Garten oder einen Urlaub in der Region ausgibt.“ Neu ins Programm kommen deshalb die beiden Hüpfburgen Vivi und Fabi, benannt nach Thoss' Töchtern. Zudem ein Schlauchboot mit E-Motor sowie ein Stand-up-Paddleboard. Das Board sei, anders als üblich, mit zwei Luftkammern ausgestattet. „Wenn eine platzt, geht es nicht gleich unter.“ Für die Hüpfburg reklamiert Thoss „die stärkste Anti-Rutsch-Struktur, die es gibt“. Solche „Deluxe-Features“ seien es, für die seine Produkte stünden. So habe die Home-Deluxe-Markise einen Regensensor. „Wir wollen nicht über den Preis konkurrieren, sondern über die Qualität und einen Luxusfaktor.“ Und das überzeugt offenbar auch Handelsgrößen.
Aldi, Real, Otto, Hagebaumarkt – dies sind nur einige der Händler, über die Home Deluxe im großen Stil verkauft. Tchibo und Galeria Karstadt Kaufhof erweitern die Zahl der Partner demnächst. „Wir haben keinen von ihnen angefragt, alle sind von selbst auf uns zugekommen“, sagt Thoss. Die Attraktivität seiner Firma für die Handelsgrößen führt er auch darauf zurück, dass Home Deluxe dank der Produktionspartnerschaften in China rasch und in hohen Stückzahlen lieferfähig ist. „Wir können kurzfristig 20 000 Klimaanlagen schicken, wenn es im Sommer richtig heiß wird.“ Die vielen Handelsallianzen stärken die Unabhängigkeit, erläutert Thoss. „Viele Onlinehändler sind komplett von Amazon abhängig – und gehen in die Insolvenz, wenn man sie dort nicht mehr will. Unser größter Partner macht gerade einmal 13,5 Prozent unseres Umsatzes aus.“
130 Mitarbeiter zählt Home Deluxe inzwischen. Die 6 600 Quadratmeter im Ortsteil Alswede sind zu klein geworden. Thoss hat die fast zehn Mal größeren Pantherwerke im nahe gelegenen Löhne gekauft, wo früher Fahrräder gefertigt wurden. Dorthin ziehen Lager und Logistik. Die Verwaltung wechselt nach Bad Holzhausen, wo das Unternehmen den 33 000 Quadratmeter großen Standort eines früheren Möbelherstellers übernehmen wird.
In der Werbung setzt Hobbyfußballer Thoss verstärkt auf Sportsponsoring – beim lokalen Fußball-Bundesligisten Arminia Bielefeld ebenso wie bei den Zweitliga-Traditionsklubs Hamburger SV und VfL Bochum. Zudem lief bei der Handball-WM im Januar in Ägypten der Firmenschriftzug über die Bande. Vorbild sei der Online-Matratzenhändler Bett1: „Der hat mit Engagements im Tennis und Wintersport viel bewegt“, sagt Thoss. „Eine solche Bekanntheit wollen auch wir erlangen.“ Zwölf bis 15 Prozent des Ertrags sollen alljährlich in das Marketing fließen.
Einstieg ins stationäre Geschäft
Bei einem neuen strategischen Zug ist Apple das Vorbild. Analog zum IT-Giganten strebt Home Deluxe mit eigenen Läden in die Innenstädte, wo viele Ladenbetreiber unter dem besonders in der Coronakrise rasch wachsenden E-Commerce leiden und teils aufgeben müssen. Das nahe gelegene Minden macht den Anfang – mit einem 400-Quadratmeter-Geschäft, das die Modemarke Esprit jüngst verlassen hat. Dann soll es bundesweit weitergehen. „Mit Produkten, die man dort bislang nicht so kennt, können wir den Innenstädten wieder neuen Charme verleihen“, sagt Thoss.
Die Preise im Geschäft sollen nicht höher sein als im Onlineshop. Zudem werde es stets einige Produkte geben, die vor Ort deutlich billiger angeboten werden. „Das soll Leute anlocken, die dann unsere gesamte Warenpalette sehen.“ Um die Lohnkosten stemmen zu können, werden die Filialen an die Zentrale angebunden. „Wenn nur ein oder gar kein Kunde da ist, sitzen die Mitarbeiter an ihren Workstations und beantworten E-Mails oder führen Verkaufstelefonate“, erläutert Thoss. Seine Vorgabe: „Wir schaffen Fachhandel zu Onlinepreisen.“
Die Eltern, ursprünglich Arzthelferin und chirurgischer Assistenzarzt, sind heute für Home Deluxe im Einsatz. „Meine Mama ist meine Personalleiterin“, sagt Thoss. „Mein Papa ist die gute Seele des Unternehmens.“ Seitdem er in Rente sei, fahre er die Standorte ab und schaue nach dem Rechten. Gelegentlich spreche er mit den beiden über seine zunächst argwöhnisch beäugte Berufswahl. Inzwischen hat er jedoch den elterlichen Segen: „Sie sagen: ‚Gut, dass du dich durchgesetzt hast.‘“
Ostwestfalen verkaufen nicht!
Es klang wie ein Angebot, das man nicht ablehnen kann: 2017 sei eine millionenschwere Kaufofferte bei ihm eingegangen, sagt Home-Deluxe-Gründer Alexander Thoss. „Ich hätte nie wieder arbeiten müssen, auch meine Kinder hätten ausgesorgt gehabt. Ich war kurz davor, das zu machen.“ Von Zweifeln gequält, habe er einen Brief an Paul Gauselmann geschrieben, der es mit Spielautomaten zu Reichtum gebracht hatte. Seine Firma sitzt in Espelkamp, gerade zehn Kilometer nördlich von Thoss' Heimat Lübbecke. Wochenlang habe er nichts gehört, dann habe sich Gauselmanns Sekretärin mit einer Einladung zum Gespräch gemeldet. „Ich war wahnsinnig nervös“, erinnert sich Thoss. Zweieinhalb Stunden habe sich Gauselmann Zeit genommen. Dessen Rat am Ende: „Wir Ostwestfalen verkaufen nicht!“
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