Die epochalen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts machen klar: Bloße operative Exzellenz und Komplexitätsreduktion sind die falschen Instrumente für den Umgang mit systemischen Krisen. Um sich für eine hochkomplexe und – riskante Umwelt aufzustellen, müssen Unternehmen den Bereich des Gewohnten verlassen. Die Leitformel der nächsten Ökonomie lautet: Resilienz statt Effizienz.
Unter resilienten Vorzeichen verändert sich bereits das Wesen der Innovation grundlegend. Innovation ist künftig weniger denn je punktuell zu verstehen, sondern als ein ständiger Prozess, bei dem stets das große Ganze im Blick bleibt. Nicht allein der Markt steht im Zentrum, sondern zunehmend auch die Beziehung zu Gesellschaft, Mensch und Natur. Der Fokus verschiebt sich damit gleichsam von Wachstum zu Weisheit: Die Innovationen von morgen sind „Sinnovationen“, die auf eine bessere, vitalere Zukunft zielen. Je mehr Unternehmen dabei angehalten sind, ihre Anschlussfähigkeit und Beweglichkeit zu erhöhen – zumal in akuten Krisenzeiten –, umso wichtiger wird auch die Pflege einer grundlegenden „Playfulness“. Das Kultivieren einer Trial-and-Error-Mentalität stärkt die organisationale Unsicherheitskompetenz, den konstruktiven Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen. Leitend ist eine ganzheitliche, systemische Perspektive: Es geht um den Shift von kurzfristigen Zielsetzungen zum dauerhaften Verweilen im unendlichen Spiel.
Die Kraft der Kollaboration
Die Einstellung auf langlebige adaptive Zyklen ist eng verknüpft mit einem ökosystemischen Mindset. In einer vernetzten Ökonomie können sich Unternehmen nicht mehr als isolierte Einheiten verstehen, sondern nur noch als Knotenpunkte innerhalb größerer Netzwerke und Ökosysteme. Eine zentrale Zukunftsfrage für Unternehmen lautet deshalb: Wo, wie und mit wem kollaboriere ich? Komplexe Probleme lassen sich nur durch Zusammenarbeit lösen, sektor- und industrieübergreifend. Hier hat die Coronakrise gezeigt, dass die Akteure im Handel durchaus mit dem Denken in Partnerschaften und Ökosystemen umgehen können. Wenn auch zum Teil aus der Not heraus geboren, haben sich nicht wenige Kollaborationen als gewinnbringend herausgestellt. Klar ist: Ein Ökosystem kann nur dann erfolgreich existieren, wenn es einen Wert für alle Akteure schafft, die Teil des Systems sind – egal ob groß oder klein, global oder lokal agierend.
Die Zukunft gehört einer Wirtschaft, in der Unternehmen Ressourcen gemeinsam nutzen, um ökologische und soziale Probleme anzugehen – das haben auch die unkonventionellen Kooperationen im Kontext der Coronakrise verdeutlicht. Nur wo Menschen vertrauensvoll kooperieren können, entstehen jene Win-win-Verhältnisse, die letztlich auch eine resiliente Gesellschaft und Wirtschaft gewährleisten. Die Voraussetzung dafür ist der Mut, Strukturen und Perspektiven grundsätzlich zu öffnen, nach innen wie nach außen, etwa durch Ansätze der Open Knowledge oder der Open Innovation.
Digitale Infrastrukturen treiben das Prinzip der ermächtigten Konsumierenden immer weiter voran und schaffen aktiv Prosumierende, die co-produzierende Gemeinschaften und sogar eigene Märkte bilden. Neue Businesskonzepte bringen Hersteller mit Kunden und Kundinnen zusammen, sodass Produkte erst dann hergestellt werden, wenn sie angefragt werden. Somit kann Überproduktion vermieden werden. Auch dies fördert die Entstehung einer resilienten Ökonomie, in der Wirtschaftlichkeit und wirtschaftlicher Gewinn nicht mehr als Selbstzweck fungieren, sondern vor allem als Mittel zur Zielerreichung. Einen gemeinsamen Nenner für eine offene und kollaborative Ausrichtung bildet das Sharing-Mindset: Das Leitmotiv „Nutzen statt besitzen“ prägt längst große Bereiche der Businesswelt, insbesondere dort, wo es um begrenzte Ressourcen geht. Leasing-, Leih- und Sharingmodelle besetzen auch im Handel erfolgreich Nischen.
Globalisierung - unterstützt durch Technik
Die Coronakrise hat das blinde Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des globalisierten Kapitalismus aufgelöst und neue Zukunftsfragen aufgeworfen: Welche Produktionsketten sind wirklich systemrelevant? Was muss in der eigenen Region lokalisiert sein, und was kann weiterhin aus anderen Regionen bezogen werden? Das zentrale Schlagwort lautet dabei Glokalisierung: Das Lokale gewinnt als Teil der Globalisierung an Bedeutung. Die nächste Wirtschaft schafft mehr Resilienz für globale Störungen, indem sie sich in regionalen Netzwerken stärkt und die Verbindung zum Globalen reflektierter betreibt.
Gemäß der Leitidee „Global denken, lokal handeln“ rücken dabei zugleich die Prinzipien des Near- und Reshoring ins Zentrum – die Platzierung von Produktionsstätten und Lagern dort, wo die Produkte verkauft werden. Da lange Lieferketten störanfällig und schwierig zu managen sind, werden traditionelle, auf Effizienz und Profitmaximierung getrimmte Value Chains ergänzt und abgelöst durch regionale Value Networks, die kürzere und nachhaltige Lieferketten ermöglichen.
Automatisierte Prozesse in Fabriken und in der Logistik können diese Transformation stark unterstützen, etwa durch digital vernetzte Smart Factories oder mobile Micro Factories, die dezentrale Produktionsanlagen in die Wertschöpfungskette integrieren. Auch die Blockchaintechnologie hilft, Supply Chains kurz und transparent zu halten. Für mehr Resilienz sorgen zudem Technologien wie Augmented Reality, die etwa komplizierte Wartungen via Remote-Support ermöglicht, oder Predictive Maintenance: die vorausschauende Wartung mithilfe von Sensoren und Algorithmen.
Neue Verantwortung für Unternehmen
Im Grunde führt das Resilienzparadigma Unternehmen zurück zu ihrer eigentlichen Bestimmung: einen nachhaltigen sozialen Nutzen für die Gesellschaft zu stiften. In der Ära der Resilienz kommt Unternehmen eine neue Verantwortung zu. Anstatt passiv auf veränderte Konsumbedürfnisse zu reagieren, sind sie aufgerufen, proaktiv zur Lösung gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen beizutragen. Damit werden die Grenzen der gegenwärtigen Betriebswirtschaft gesprengt: Resiliente Unternehmen zielen auf langfristiges Überleben statt auf kurzfristigen Gewinn. Sie denken in Netzwerken und Ökosystemen statt in Egosystemen. Und sie agieren ganzheitlich und systemisch, um eine positive Wirkung auf die Welt zu erzeugen, statt ihr Wertversprechen nur in KPIs und Buyer Personas zu messen. An die Stelle langfristiger linearer Planungen tritt das Denken und Handeln in Spielzügen, denn komplexe Situationen erfordern systemische Pragmatik. Im Zentrum dieses historischen Wandels steht ein zyklisches Wirtschaftsverständnis, das Unternehmen als das betrachtet, was sie im Kern sind: soziale Systeme.
Studie „Zukunftskraft Resilienz“
Was ist das Erfolgsrezept langfristig überlebensfähiger Systeme? In der Studie „Zukunftskraft Resilienz: Gewappnet für die Zeit der Krisen“ untersucht das Zukunftsinstitut die neuen Resilienzprinzipien einer global vernetzten Welt – und zeigt dabei auch die Hebel auf, die Organisationen und Unternehmen nachhaltig resilient machen.
Die Studie ist kostenpflichtig hier zu erwerben.
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