Wie kann sich ein Geschäftsmodell rechnen, bei dem Lebensmittel ohne Liefergebühr innerhalb von zehn Minuten zugestellt werden?
Sicherlich gelingt das nicht über die Produktmargen, sondern allenfalls durch ergänzende Erlösströme. Diese könnten Anbieter beispielsweise generieren, indem sie sich von Herstellern für die Listung und das Ausliefern ihrer Produkte oder für Daten zum Kaufverhalten der Lieferdienstkunden bezahlen lassen. Der US-Lieferdienst Instacart etwa ist zwar kein dezidierter Schnelllieferdienst, hat sein Geschäftsmodell aber bereits in diese Richtung weiterentwickelt.
Welche weiteren alternativen Erlösquellen sind denkbar?
Quick-Commerce-Anbieter könnten ihre komplette Infrastruktur, also Depots, Fahrer und Fahrzeuge, für bestimmte Zeitfenster vermieten – an Kurierdienste beispielsweise. So kompensieren sie Kosten, die durch Leerlaufzeiten entstehen. Zudem profitieren sie von der höheren Auslastung, weil sie mehr potenziell monetarisierbare Daten sammeln. Das stellt aber sicherlich eine eher mittelfristige Entwicklungsperspektive dar.
Was bedeutet die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro für das Geschäftsmodell?
Ganz klar: Sie erhöht den Druck, es früher oder später anzupassen – durch zusätzliche Erlösquellen oder höhere Preise.
Gut 40 Prozent der deutschen Verbraucher zeigen sich Umfragen zufolge bereit, für Expresslieferungen mindestens fünf Prozent mehr als für die Zustellung innerhalb eines längeren Zeitfensters auszugeben. Warum also lassen sich die Lieferdienste ihren Service nicht doch von den Kunden bezahlen?
Alle aktuellen Preismodelle stellen im Grunde Einführungsangebote dar. Wir erleben gerade eine Art Wildwestzeit: Die Anbieter versuchen, um jeden Preis Marktanteile zu erringen. Denn es liegt auf der Hand, dass sich nicht alle dauerhaft am Markt werden behaupten können. Ich erwarte aber auch mittelfristig niedrige Liefergebühren, denn die Anbieter werden weiterhin keine Kunden verschrecken wollen. Eher werden sie versuchen, benötigte Mehreinnahmen auf unauffälligerem Weg zu generieren – über höhere Produktpreise.
Trotz bislang ausbleibender Gewinne schreitet die Expansion der Lieferunternehmen dank üppiger Ausstattung mit Kapital voran. Wer sind die Investoren und was treibt sie?
Es handelt sich im Wesentlichen um Venture-Capital-Unternehmen, die beim Thema E-Food hierzulande einen Rückstand und ein entsprechend großes Marktpotenzial erkennen – sicherlich das größte im Bereich E-Commerce. Es geht ihnen darum, das Marktsegment zu entwickeln. Aber natürlich handelt es sich um hoch spekulative Investitionen. Denn wem es gelingt, den künftigen Marktführer zu kreieren, wird erst die Zukunft zeigen.
Schnelllieferdienste stellen per E-Bike und E-Roller zu, verleihen sich damit ein nachhaltiges Image. Was tragen sie tatsächlich zum Klimaschutz bei?
Da sie in Ballungsgebieten ausliefern, wo ohnehin niemand mit dem Auto zum Einkaufen fahren würde, sehe ich keinen nennenswerten Beitrag. Nachhaltigkeit stellt aber ein dankbares PR-Thema dar – auch wenn man annehmen darf, dass für Lieferdienstkunden eher die Bequemlichkeit im Mittelpunkt steht.
Die Arbeitsbedingungen der Fahrer waren bereits Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Sie gelten als prekär – zu Recht?
Wenn Studenten sich durch die Lieferfahrten flexibel Geld hinzuverdienen, finde ich das nicht per se kritikwürdig, zumal der stationäre Handel ebenfalls auf solche Jobmodelle setzt. Aus Branchensicht liegt das Problem woanders: Unzufriedene Fahrer leisten weniger gute Arbeit. Daher sind die betroffenen Unternehmen gut beraten, ihnen im Falle von Beschwerden entgegenzukommen. Welche Beschäftigungs- und Entlohnungsmodelle in der noch jungen Branche der Schnelllieferdienste für beide Seiten am besten funktionieren, muss sich erst noch erweisen.
Wie sehr leidet das Image der Branche unter den Fahrerprotesten und -streiks?
Solche Meldungen sorgen für Aufmerksamkeit, damit nutzen sie den Anbietern der Dienste momentan mehr, als dass sie ihnen schaden.
Wie wird sich der E-Food-Markt in den kommenden fünf Jahren entwickeln?
Die Schnelllieferdienste setzen Impulse. Andere Anbieter, die bislang eher für umfangreichere Lebensmittellieferungen mit längeren Lieferzeiten stehen, werden überlegen, wie sie schneller werden können.
Kann sich der Verkaufskanal Quick Commerce auch für andere Handelsbranchen lohnen?
Ja, ich sehe hier großes Potenzial, da der Kanal die für den Einzelhandel wichtigen Umsatztreiber Impulskauf und Convenience vereint. Erste Versuche von Anbietern anderer Produktkategorien erleben wir bereits. Neuling Arive etwa liefert hochpreisige Ware wie Kosmetik, Parfum und Technik binnen 30 Minuten. Ich erwarte zudem, dass die bestehenden Dienste ihre Produktpaletten erweitern werden.
Jochen Krisch
beschäftigt sich in seinem Branchenblog Exciting Commerce und im zugehörigen Exchanges-Podcast mit Konzepten für den Handel von morgen. Sein Fokus liegt dabei auf Wachstumsstrategien und neuen Geschäftsmodellen für den Onlinehandel. Als Berater und Business Angel unterstützt der Diplom-Informatiker zudem ambitionierte Start-ups aus den Bereichen E-Commerce und Medien. Seine Begeisterung für den elektronischen Versandhandel entdeckte Krisch in den Jahren von 1995 bis 2001 beim Shoppingsender HSE, wo er die Fachbereiche Planung und Analyse leitete.
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