Wenn es um die Beschäftigung von Flüchtlingen geht, sind die bürokratischen Hürden hoch – und entsprechend groß die Bedenken vieler Einzelhändler. „Ich kann Unternehmern nur raten: Macht das!“, sagt hingegen Andreas Bartmann. „Wir hatten damals auch keine Erfahrung mit Flüchtlingen, und dann stand plötzlich einer vor der Tür. Da muss man einfach Schneid haben!“ Bartmann ist Geschäftsführer des Ausrüsters Globetrotter und Präsident des Handelsverbands Nord, ein Hüne und Weltreisender, der gern seinen Horizont erweitert. Aktuell gehören 40 Menschen, die als Flüchtlinge ins Land kamen, zur multikulturellen Belegschaft des Hamburger Unternehmens, viele davon schon jahrelang. „Die Loyalität der Flüchtlinge gegenüber dem Arbeitgeber ist riesig“, berichtet Bartmann. Und auch die angestammten Mitarbeiter würden von den neuen Perspektiven profitieren, die ihnen Menschen aus anderen Kulturkreisen eröffneten.
Ibrahim heißt übrigens der Afghane, der vor den Taliban floh und Ende der 90er-Jahre als erster Flüchtling bei Globetrotter an die Tür klopfte. „Ich kann nähen“, gab der Mann zu verstehen. In dieser Zeit expandierte das Unternehmen stark, es gab Arbeit für einen Näher. Und Ibrahim ging seinen Weg vom Hilfsarbeiter zum Verantwortungsträger in der Reparaturabteilung mit hanseatischer Entschlossenheit. Seine Erfahrungen verbreiteten sich unter afghanischen und anderen Flüchtlingen aus Nationen des Nahen und Mittleren Ostens. Bald klopften auch sie an die Unternehmenspforte im Rahlstedter Gewerbegebiet. „Unsere Mitarbeiter haben Deutschkurse für die Flüchtlinge veranstaltet“, erzählt Bartmann. Damals habe es noch nicht so viele öffentliche Unterstützungsangebote gegeben. Seine Erfahrung: Wichtig sei es, den Menschen zunächst jene Begriffe beizubringen, die für die Erledigung der Arbeitsaufgaben entscheidend sind. Die Sprachkompetenz erwürben sie dann nach und nach im alltäglichen Umgang mit den praktischen Aufgaben und im zwischenmenschlichen Kontakt mit deutschsprachigen Kollegen.
Keine falsche Toleranz
Bartmann rät Unternehmen dazu, Sport- und Freizeitangebote zu organisieren. Flüchtlinge brauchten Beschäftigung, um ihre traumatischen Erfahrungen besser verarbeiten und sich in ungezwungener Atmosphäre leichter integrieren zu können. Und er warnt vor einem Fehler: „Wir hatten irgendwann eine zu große afghanische Community in unserer Belegschaft. Das führte zu Konfliktpotenzialen mit anderen Mitarbeitern und die Gruppe fiel überdies schnell in ihre Sprache zurück.“ Der Globetrotter-Chef hat daraus die Lehre gezogen, in den einzelnen Abteilungen personell „ausgewogene Mikrokosmen zu schaffen, die den natürlichen gesellschaftlichen Mix abbilden“.
Für schädlich halten die Globetrotter „falsche Toleranz“: Wenn für Flüchtlinge nicht die gleichen Regeln und Leistungsanforderungen gelten wie für andere Mitarbeiter, entstehe Unfrieden im Team. „Wir Migranten stehen besonders in der Pflicht, den Flüchtlingen die Spielregeln der westlichen Gesellschaft beizubringen“, betont Omied Sadegie. Der gebürtige Afghane kam im Jahr 1986 als vierjähriges Flüchtlingskind nach Deutschland. Seine Geschichte ist die eines Aufsteigers: Solider Schulabschluss, Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation bei Globetrotter, heute leitet er im Unternehmen den Kundenservice. Sein Vater hatte mit größeren Startschwierigkeiten in der Fremde zu kämpfen: Der gelernte pharmazeutische Assistent arbeitete als Konditor, weil seine Berufsausbildung nicht anerkannt wurde. Auch die aktuelle Flüchtlingssituation erlebt Sadegie aus nächster Nähe.
Fokusthema: Flüchtlinge im Handel
Die Zahl der nach Deutschland geflohenen Menschen ist so groß wie die Herausforderung ihrer dauerhaften Integration. Zu deren Gelingen kann der Handel viel beitragen.
In unserem Fokusthema
stellen wir einen Händler und seinen neuen Mitarbeiter aus Syrien vor
beleuchten wir die Mammutaufgabe mit Zahlen und Fakten
erläutern wir formale Beschäftigungsfragen
stellen wir Strategien von Handelsunternehmen vor
„500 Menschen standen hier in der Halle, doch es war so ruhig, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können“, beschreibt Andreas Bartmann ein Erlebnis, das die Globetrotter-Mitarbeiter sehr berührte. Im September 2015 waren die ersten Flüchtlinge aus Syrien in Rahlstedt angekommen und in die ehemalige Unternehmenszentrale von Globetrotter eingezogen. Die Stadt Hamburg hatte die fast 12 800 Quadratmeter großen Hallenflächen gekauft und aus Platznot schon mit der Unterbringung von Hunderten Flüchtlingen begonnen, als Globetrotter noch mit dem Umzug der Büros beschäftigt war. Feldbetten und Schlafsäcke stellte der Outdoorhändler als Soforthilfe zur Verfügung – so geht Hamburger Bürgersinn. Um den unter großen Reisestrapazen per Bus Angekommenen ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln, bedurfte es jedoch mehr Verbindlichkeit als nur warmer Decken. Die Beschäftigten bei Globetrotter stammen aus über 50 verschiedenen Nationen, viele aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. „So konnten wir mit den Leuten ein paar Worte wechseln und sie langsam zurück ins Leben holen“, erzählt Bartmann.
Die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung unter dem früheren Globetrotter-Dach bietet mittlerweile Platz für 1 400 Menschen. Andreas Bartmann und Omied Sadegie haben einen Vorschlag: „Es gibt doch Zehntausende Firmen in Deutschland. Wenn jeder Betrieb einen Flüchtling mit ins Unternehmen nimmt, kommen viele Menschen tagsüber raus aus den Unterbringungen und auf andere Gedanken.“ Doch Bartmann räumt auch ein, dass der Mutspruch „Wir schaffen das!“ einen Haken hat: „Der Bleibestatus muss geklärt sein, denn die Einarbeitung von Flüchtlingen dauert sechs Monate.“ Wer auf Unternehmerseite bereit ist, Schneid zu beweisen, müsse sich auch auf politische Rahmenbedingungen verlassen können, die den Einsatz rechtfertigen.
Daten und Fakten zu Flüchtlingen in Deutschland erhalten Sie hier auf einen Blick.
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