Häufig wird in der Öffentlichkeit das Bild vermittelt, deutsche Unternehmen stellten ihren Profit über die Menschenrechte und bei der Wahl ihrer Zulieferer spielten Anstand und Werte keine Rolle. Dass der Themenkomplex „Wirtschaft und Menschenrechte“ seit Jahren einen hohen Stellenwert bei den Nachhaltigkeitsaktivitäten der Unternehmen hat, findet selten Erwähnung: Freiwillig – unternehmensindividuell wie auch in gemeinsamen Initiativen – arbeiten jedoch gerade deutsche Unternehmen in den globalen Lieferketten nach hohen Standards. Allerdings fehlt ihnen eine klare Vorgabe, was genau die geforderte Sorgfalt im Umgang mit Menschenrechten umfassen soll.
Unverbindliche Regeln gibt es viele. Sie bieten ihrer Vielzahl wegen aber kaum Orientierung. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Union darauf geeinigt, dass die Bundesregierung ein Lieferkettengesetz ausarbeitet, wenn weniger als 50 Prozent der Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern in Deutschland die Anforderungskriterien des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte im Jahr 2020 umsetzen. Ein solches Lieferkettengesetz soll nach den Vorstellungen der Bundesminister Hubertus Heil und Gerd Müller deutsche Unternehmen, die im Ausland produzieren lassen, dazu verpflichten, dort für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen: also Kinderarbeit verhindern, existenzsichernde Löhne garantieren sowie Umweltschäden vermeiden. Und weil Unternehmen ja nichts freiwillig machen, sollen Haftungs- und Sanktionsklauseln sie dazu zwingen.
Aber wie sollen Unternehmen für Dritte haften, gerade in Ländern, deren Regierungen – vorsichtig formuliert – keine Vorreiter für Menschenrechte und wo die Bedingungen politisch mehr als schwierig sind? Und was genau müssen Unternehmen dann gesetzlich nachweisen? Muss zum Beispiel jede Textilmarke aus Deutschland sicherstellen, wie das Baumwollfeld in Indien bewirtschaftet wird? Soll jeder Händler die detaillierte Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards in seinem oft mehrere Tausend Produkte umfassenden Warensortiment garantieren und bei Nichterfüllung haften?
Vollständige Kontrolle nicht umsetzbar
Es mag auf den ersten Blick einfach erscheinen, die ganze Verantwortung rund um ein Produkt beim Unternehmer abzuladen. Doch eine vollständige Kontrolle ist schon rein praktisch einfach nicht umzusetzen. Wer auch immer sich die Haftungsregeln für das Lieferkettengesetz ausgedacht haben mag, lebt fernab jeder Kenntnis der Komplexität globaler Wertschöpfungsketten und weiß auch wenig darüber, welche Herausforderungen gerade Mittelständler in der immer wettbewerbsintensiveren Weltwirtschaft mit ihrer dynamisch weiter fortschreitenden Arbeitsteilung zu meistern haben.
Der Bürger und sein Streben nach moralisch-ethischem Konsum leisten einen wertvollen Beitrag in der öffentlichen Debatte zu wünschenswerten gesellschaftlichen Veränderungen. Die Unternehmen reagieren auf diese Kundenwünsche seit Jahren mit vielfältigen freiwilligen, auf die spezifischen Herausforderungen bestimmter Rohstoffe, Marktsegmente und Länder fokussierten Nachhaltigkeitsinitiativen. Auch das unternehmensindividuelle Nachhaltigkeitsengagement ist weit vorangeschritten. In vielen Sektoren sind dadurch sehr positive beständige Entwicklungen in Gang gesetzt worden.
Mit der Debatte um ein Lieferkettengesetz offenbaren die politischen Entscheidungsträger nun trotzdem wieder ihr bekanntes Denkmuster: Da Selbstverpflichtungen nichts taugen, muss die „unwillige“ Wirtschaft mit Haftungs- und Sanktionsklauseln per Gesetz zur Raison gebracht werden. Dass die geforderten Leistungen von den Unternehmen de facto gar nicht zu erbringen sind, findet im aktuell laufenden Gesetzgebungsverfahren wenig oder gar kein Gehör.
Wenn sich die Lieferkettenverantwortung auf die globalen Wertschöpfungsketten beziehen sollte, wäre das gerade für den Handel fatal. Die gesamte Wertschöpfungskette wird rechtlich als der vollständige Lebenszyklus eines Produktes definiert, angefangen von der Beschaffung der Rohstoffe über die Erzeugung von Ressourcen bis hin zur Entsorgung. Dieser Ansatz verkennt den Umfang und die Komplexität der globalen Lieferketten. Durch sein breites Sortiment von Lebensmitteln über Elektronik bis hin zu Textilien ist der Handel mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Wertschöpfungsketten verbunden. So beziehen die Unternehmen täglich eine Vielzahl an Produkten über Wertschöpfungsketten aus der ganzen Welt. Dabei können mehrere Zehntausend Wertschöpfungsketten pro Unternehmen von Relevanz sein. Für Handelsunternehmen ist es aufgrund der Größe ihrer Sortimente schlicht nicht zu leisten, sie durchgängig und jederzeit vom Ende der Kette bis auf die Erzeugerebene zu überwachen.
Rechtsvorgaben allein nutzen nichts
Berücksichtigung findet diese Erkenntnis bereits in Rechtsvorschriften zum Beispiel zur Rückverfolgung, wie in der EU-Basisverordnung (VO (EG) Nr. 178/2002) geregelt. Dabei muss ein Unternehmen im Wesentlichen nach dem Prinzip „ein Schritt zurück, ein Schritt vor“ Systeme und Verfahren einrichten, mit denen es feststellen kann, wer der direkte Lieferant und der direkte Abnehmer (ausgenommen Endverbraucher) seiner Erzeugnisse ist. Unter diese „Lieferkettenverantwortung“ würden im Übrigen auch die Warenimporte im Wert von rund drei Milliarden Euro fallen, die im vergangenen Jahr täglich nach Deutschland eingeführt wurden. Für Deutschland als drittgrößtes Importland hinter den USA und China wären die Folgen nicht unerheblich.
Der großen Mehrzahl der im globalen Handel tätigen Unternehmen ist sehr bewusst, dass nicht ausschließlich Rechtsvorgaben, deren Einhaltung in erster Linie in der Obliegenheitspflicht der jeweiligen Staaten liegt, zu verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort in den Produktionsländern führen. Daher sind in den weltweiten Lieferverträgen immer mehr soziale und ökologische Standards verankert, die im Rahmen der Geschäftsbeziehungen nachdrücklich durchgesetzt werden.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beklagen zu Recht, dass der Schutz der Menschen, die an zahllosen Orten in der globalen Lieferkette einen wichtigen Teil zu unserem Wohlstand beitragen, noch sehr unzureichend ist. Es ist daher geboten, dass der Diskurs zwischen Politik und Wirtschaft zum Thema Lieferkettensicherheit enger und intensiver geführt wird. Die hohe Mitwirkungsbereitschaft der Unternehmen sowie die bereits von ihnen erbrachten Leistungen sollten dabei eine angemessene Würdigung finden. Moral einseitig für sich zu reklamieren, führt weder die an der Diskussion Beteiligten zueinander noch hilft es den Menschen, um deren Wohl es gehen soll. ●
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