Nachfolge

Nicht länger schieben

Momentan scheuen viele Einzel­­­handels­unternehmer jegliche Projekte zur Staffelübergabe. Dabei übersehen sie die Risiken einer verzögerten Nach­folge. Warum das Thema selbst in der aktuellen Krise auf dem Plan stehen sollte.

Von Eva Neuthinger 23.03.2021

© Vundervoll

Unter neuer Flagge: Jessica Ellis hat das Floristikgeschäft „Vundervoll“ in Germering übernommen. Den ersten Lockdown nutzte sie zur Renovierung der Verkaufsfläche.

Abbrechen oder aufschieben kam für Jessica Ellis nicht in Betracht. Die 42-Jährige war mitten in den Vorbereitungen für die Übernahme eines Floristikgeschäfts in Germering bei München, als der Lockdown kam. „Zwar lief die Staffelübergabe deshalb anders als geplant, aber Mitte Juni konnten wir unter neuer Flagge eröffnen“, sagt Ellis.

Vorgesehen war, dass die Seniorunternehmerin noch für einige Monate in Teilzeit im Geschäft tätig bleiben sollte, um den Übergang möglichst reibungslos auch gegenüber Lieferanten und Kunden zu gestalten. „Doch wir mussten das Geschäft ja schließen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als kurzfristig umzudisponieren“, so Ellis.

Sie nutzte die Zeit für eine Renovierung des rund 100 Quadratmeter großen Ladens. Auch das Geschäftskonzept wandelte sie ab. „Wir bieten neben Blumen und Pflanzen vorzugsweise aus der Region insbesondere nachhaltig produzierte Geschenkartikel regionaler Manufakturen und Trachtenaccessoires an“, erläutert Ellis. Hintergrund: Schon bisher führte sie gemeinsam mit ihrer Schwester den Onlineshop trachtenbrummsel.de. „Teile des Sortiments verkaufe ich jetzt auch stationär“, sagt Ellis. Außerdem will sie, sobald es wieder erlaubt sein wird, im Obergeschoss Events und Workshops veranstalten.

Bei der Entwicklung des Geschäftskonzeptes unterstützten sie die Experten der Münchener IHK. Sie vermittelten bei rechtlichen und steuerlichen Fragen die richtigen Ansprechpartner. „Die Beratung hat uns enorm geholfen, weil ein solches Übernahmeprojekt doch sehr komplex ist“, meint Ellis.

Derzeit laufen Firmennachfolgen im Einzelhandel unter erschwerten Rahmenbedingungen. „Welche langfristigen Effekte die Coronakrise haben wird, lässt sich nicht im Detail voraussagen“, erläutert Felix Engelhardt, Geschäftsführer M & A bei der Saxenhammer & Co. Corporate Finance GmbH in Berlin. Das verunsichert, doch der Experte meint: „Es handelt sich nicht um einen grundlegenden Vertrauensverlust in die Wirtschaft, sondern um Sekundäreffekte durch die Vorsichtsmaßnahmen rund um das Virus. Wir gehen nicht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in eine schwere Rezession rutschen wird. Selbst wenn, wird diese durch die extremen geldpolitischen Maßnahmen schnell wieder abklingen“, so Engelhardt.

Interessenten schwierig zu finden

Er ermutigt Unternehmer, die jetzt vor der Aufgabe stehen, einen Nachfolger zu finden: „Das Coronavirus bedingt einen Sondereffekt, der in der momentanen Bewertung des Unternehmens ignoriert werden kann – zumindest, soweit die Pandemie keine langfristig negativen Folgen auf die Gesamtwirtschaft haben wird und das Unternehmen anschließend wieder sein Vor-Corona-Ergebnis erreicht.“ Engelhardt rät daher dazu, die Übergabe nicht zu verschieben.

„Da die Vorbereitung eines Verkaufs häufig mindestens drei bis vier Monate Zeit benötigt, ist es durchaus sinnvoll, eine geplante Staffelübergabe jetzt anzugehen“, mahnt der Unternehmensberater. Die Suche nach einem passenden Kandidaten könnte angesichts der aktuellen Rahmendaten sowie der spezifischen Situation im Handel sogar deutlich länger als gewohnt dauern.

Eine Ende 2019 durchgeführte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) belegt, dass Unternehmer zunehmende Schwierigkeiten haben, einen Nachfolger zu finden. Die Gründe sind vielfältig: So reagierten 38 Prozent aller befragten Unternehmer erst spät, weil sie aus emotionalen Gründen ihr Lebenswerk nicht loslassen können. Laut DIHK fordern 43 Prozent der Seniorchefs anfangs einen erhöhten Kaufpreis, weil sie häufig die über Jahre oder Jahrzehnte geleisteten Mühen und den persönlichen Einsatz mit einrechnen.

Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches aber sitzen Partner, für die eine Übernahme in erster Linie eine große finanzielle Herausforderung bedeutet. Fast 40 Prozent der Interessenten können eine Nachfolge nur mühevoll finanzieren. „Besonders im Osten fällt die Suche nach neuen Chefinnen und Chefs schwer“, kommentiert DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Vor allem Einzelhändler seien von dieser Entwicklung betroffen.

Alternativlösung Verkäuferdarlehen

In der Tendenz dürfte die Situation nach Ende der Coronapandemie so bleiben. Banken vergeben Kredite restriktiver als bisher. Lösungen werden gefragt sein, bei denen Seniorunternehmer den Nachfolger unterstützen. Dies kann zum Beispiel in Form eines Verkäuferdarlehens passieren.

Bei diesem Modell gewährt der Altunternehmer ergänzend ein sogenanntes nachrangiges Darlehen. Das Besondere: Entwickelt sich die Firma schlechter als geplant, sodass der Nachfolger den Kredit nicht mehr bedienen kann, kommt zuerst das Kreditinstitut zum Zuge. Der Verkäufer kann seine Ansprüche erst anmelden, wenn die anderer Gläubiger erfüllt sind. „Der Senior dokumentiert, dass er seinem Nachfolger großes Vertrauen entgegenbringt“, so René Kminikowski, M & A-­Berater der Gesellschaft Intagus, Partner des KompetenzCentrums für Entrepreneurship & Mittelstand der FOM Hochschule für Oekonomie & Management.

Bei der Übernahme des Floristikgeschäftes „Vundervoll“ in Germering war das alles kein Thema. Jessica Ellis brachte ihren Kapitalbedarf komplett aus eigenen Mitteln auf. „Wir waren aber auf die staatliche Coronahilfe angewiesen, nachdem wir das Geschäft für mehrere Wochen schließen mussten“, sagt die Jungunternehmerin.

Details rechtssicher regeln

Firmenübernahmen sind rechtlich und steuerlich eine komplexe Sache. Diese Punkte sollten Einzelhändler vorab klären:

 

Vertrag: Die Parteien sollten bereits in einer frühen Phase der Verhandlungen und Vereinbarungen auf Nachfolge spezialisierte Berater einschalten. Ohnehin sind Formvorschriften beim Vertrag zu beachten.

Familieninterne Nachfolge: Die Freibeträge für die vorweggenommene Erbfolge respektive Schenkungen innerhalb der Familie sind enorm hoch, aber an bestimmte Bedingungen gebunden. Ziel des Fiskus ist es, die übernommenen Arbeitsplätze zu erhalten und zum Beispiel Gewinnentnahmen zu begrenzen. Im Zuge der Coronakrise dürften diese Vorgaben schwerer als bisher zu erfüllen sein.

Kaufpreis: Dieser lässt sich steuerlich abschreiben. Pauschal gesagt, kann die Absetzung für Abnutzung (AfA) für den Firmenwert 15 Jahre betragen, wobei sich hier große individuelle Gestaltungsfreiräume ergeben. Es lohnt sich, einen Steuerberater zu Rate zu ziehen.

„Einflussnahme ist nicht erwünscht“

René Kminikowski, M & A-Berater der Gesellschaft Intagus, über verschiedene Modelle, die eigene Nachfolge zu organisieren.

 

Unternehmern fällt es oft schwer, ihr Lebenswerk aus der Hand zu geben. Gibt es eine Möglichkeit, nach der Übergabe noch Einfluss zu nehmen?

Ob es nach der Staffelübergabe gut oder schlecht läuft, kann der Altunternehmer leider kaum beeinflussen. Kein Interessent wird sich verpflichten, mit den Mitarbeitern oder den Kunden wie sein Vorgänger umzugehen oder dessen Unternehmenskonzept beizubehalten.

Was also kann der Altunternehmer vorbereiten, um seinen Laden in gute Hände zu geben?

Der Senior kann im Vorfeld fragen, welchen Führungsstil sich der potenzielle Nachfolger vorstellt und wie er das Unternehmen entwickeln will. Wesentliche Einflussnahme nach dem Deal wird in der Regel vom Käufer aber nicht gewollt sein. Die Parteien entscheiden sich allenfalls häufiger dafür, dass der Verkäufer noch einige Zeit im Unternehmen beratend tätig wird. Das kann sicherlich dem Seniorunternehmer helfen, die Zügel aus der Hand zu geben.

Wie viel Entscheidungsbefugnis aber bleibt ihm?

Hier geht es nicht mehr um Einflussnahme, sondern um Expertise und um Erfahrung. Ein wenig anders kann das aussehen, falls der Altunternehmer noch einige Zeit Anteile hält. Das kann dazu dienen, den Kapitalbedarf des Übernehmers zu begrenzen. Dann hat der Altunternehmer weiter Einblick in die Geschehnisse.

Schlagworte: Coronakrise, Coronavirus, Nachfolge, Nachfolgeplanung, Nachfolgeregelung

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