Deutscher Handelskongress 2021

Neustart in Zeiten der Pandemie

„Re-Start Now. Zeit zum Handeln!“ war der Handelskongress Deutschland in diesem Jahr überschrieben. Es ging um Impulse für den Neustart vor dem Hintergrund steigender Inzidenzen und eines Interregnums in der Exekutiven.

Von Ralf Kalscheur 10.12.2021

© Jörg Sarbach

HDE-Präsident Josef Sanktjohanser forderte in seiner Rede auf dem Handelskongress Deutschland eine "Entfesselungsoffensive für die Wirtschaft".

Auch mehr als 20 Monate nach Ausbruch der Pandemie bestimmt die aktuelle Coronasituation die Gespräche auf dem Handelskongress Deutschland. Die Branche ist unzufrieden mit dem Krisenmanagement der scheidenden Bundesregierung, denn der mit dem Veranstaltungsmotto „Re-Start Now. Zeit zum Handeln!“ geforderte kraftvolle Neustart gerät angesichts dramatisch steigender Inzidenzen und einer zu spät eingeleiteten Booster-Offensive in Gefahr.

Es ist nicht die einzige Kritik an der Politik. HDE-Präsident Josef Sanktjohanser stellt in seiner Rede neben einer „großen Sorge“ des Handels angesichts der Pandemie-Entwicklung fest, dass in den vergangenen 16 Jahren Vorbehalte gegenüber der Wirtschaft erwachsen seien, die sich in immer mehr Regulierungen und Eingriffen in die Vertragsfreiheit ausdrückten. „Die Politik verkennt, dass die Leistungsfähigkeit der vielen Hunderttausend großen und kleinen Unternehmen in hohem Maße von der Vertragsfreiheit abhängt“, betont Sanktjohanser.

Handel prägt Gesicht der Innenstädte

Der Präsident fordert von der neuen Bundesregierung mehr Vertrauen in die Kraft unternehmerischer Entfaltung sowie in marktwirtschaftliche Prozesse. „Für einen kraftvollen Neustart nach der Coronakrise brauchen wir in dieser Legislaturperiode eine wirksame Entfesselungsoffensive für die Wirtschaft“, so Sanktjohanser. Insbesondere im Bereich der Tarifhoheit der Sozialpartner müsse die Politik mehr Spielräume für Öffnungsklauseln oder betriebliche Vereinbarungen lassen.

HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth wünscht sich eine „Aufbruch-Koalition“ und eine „Politik des Miteinanders“, um den Neustart zu befeuern in einer Branche, in der zugesagte Wirtschaftshilfen zu großen Teilen nicht ankamen. Er begrüßt aber den regen Austausch, den die Ampelparteien während der Koalitionsverhandlungen mit dem HDE pflegten, um sich fachlich beraten zu lassen und die Lage in der Branche zu sondieren. Und die ist aus Sicht des Hauptgeschäftsführers herausfordernd.

Der Handel habe nicht allein mit den Lockdowns besonders zu kämpfen gehabt, er müsse sich auch auf einen tiefgreifenden Wandel der Kaufgewohnheiten und der Einkaufsmotive einstellen, so Genth. Der Trend hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit sei unumkehrbar. Mit Blick auf die schwierige Situation in vielen Stadtzentren konstatiert er: „Der Handel bestimmt das Gesicht der Innenstädte und ist Impulstreiber für die notwendigen Veränderungen.“ Mit seiner erfolgreichen Impfkampagne setze der Handel überdies ein Zeichen für den Zusammenhalt.

Die Gefahr einer Verödung der Städte durch Leerstand sieht auch Norbert Walter-Borjans. „Der Einzelhandel und auch die Gastronomie prägen die Vielfalt unserer Städte, doch traditionelle Fachbetriebe kämpfen um ihre Existenz“, sagt der SPD- Parteivorsitzende. Deutschland drohe viel zu verlieren, wenn man nicht ordnungspolitisch gegensteuere. Diese Meinung vertritt auch Alexander Birken, CEO der Otto Group: „Wir brauchen Kontrollinstanzen, die ein Level-Playing-Field im internationalen Onlinehandel garantieren.“ Janine Wissler, Parteivorsitzende von Die Linke, fordert die Abschaffung von Steuerprivilegien für große Onlinehändler. So viel Einigkeit ist selten.

Wertschätzung für lokale Händler

In der gegenwärtigen Krise vermag Michael Busch, CEO von Thalia, indes auch große Chancen für die Branche zu erkennen: „Das lokale Einkaufen hat durch die Pandemie eine höhere Bedeutung erfahren.“ Diese Beobachtung teilt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen: „Innenstadt bedeutet auch Begegnung. Durch die Corona-Erfahrung wissen wir den Wert des Einzelhandels wieder ganz anders zu schätzen.“

Karsten Wildberger, der im August seine Position als neuer Vorstandsvorsitzender der Ceconomy AG antrat, berichtet, wie die MediaMarktSaturn-Gruppe auf Corona reagierte: „Wir haben die Krise genutzt und unser Onlinegeschäft vorangetrieben.“ Das mache mit sieben Milliarden Euro Umsatz heute bereits ein Drittel des Gesamtumsatzes aus. Dass Corona nicht nur im Handel wie ein Brandbeschleuniger für die Digitalisierung wirkt, stellt Gastredner und Daimler-CEO Ola Källenius in seinem Vortrag über die Entwicklungen in der Automobilbranche dar.

Armin Laschet, Bundesvorsitzender der CDU, bekräftigt bei seinem Besuch auf der Bühne: „Wir alle wissen, dass der Handel nicht der Infektionstreiber ist.“ Er wirbt für Stärkung und Erhalt der Tarifautonomie und betont, dass alles getan werden müsse, um Steuererhöhungen zu verhindern. Laschet wirkt bei seinem Auftritt auf der Bühne gelöst und wohlgelaunt, als sei eine schwere Last von ihm abgefallen. „Es gibt ein Leben danach“, sagt der Wahlverlierer – jedoch: „Das Ministerpräsidentenamt abzugeben, hat mich mit viel Wehmut erfüllt.“

Handel kein Pandemietreiber

Michael Theurer, stellvertretender FDP-­Frak­tionsvorsitzender, dankt dem Handel für sein großes Engagement fürs Impfen und bekräftigt – ebenso wie Markus Blume, Generalsekretär der CSU –, dass die Branche kein Pandemietreiber sei.

Während es in verschiedenen Praxisforen um den intensiven Austausch mit Experten vor allem über Aspekte zukunftsgerichteter Omnichannel-Strategien geht, gibt es für einige Besucher des Handelskongress Deutschland Grund, Erfolge zu feiern: Beim Publikumspreis für Newcomer, vergeben vom HDE mit der Signal Iduna, kann sich Checklens beim Elevator-Pitch durchsetzen. Per Live-Voting bestimmen die Zuschauer das Start-up, das mit seiner Expertise für den Einsatz künstlicher Intelligenz im Handel überzeugt, zum Sieger.

Checklens sorgt für einen bequemen und fehlerfreien Check-out beim Einkauf. Intelligente Kameras im Geschäft assistieren Kunden, indem sie aus dem Regal genommene Produkte erkennen und diese mit den Scans am Self-Check-out abgleichen. Der Sieger erhält unter anderem ein Gründer-Coaching. Zudem vergeben Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE, und Christian Bärwind, Industry Leader Retail bei Google, die Awards der Initiative ZukunftHandel. Welche Unternehmen die Jury überzeugen konnten, erfahren Sie hier.

Schlagworte: Deutscher Handelskongress, Coronakrise, Innenstädte, Lokale Händler

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