Deep Dive

Metaverse: Von der Navigations-App zur virtuellen Filiale

Die Zukunft des Metaverse wird weitgehend davon abhängen, ob es mit der Refinanzierung der aufwändigen Technologie klappt. Ein wichtiger Hoffnungsträger ist der Handel, der sich hier einen neuen E-Commerce-Kanal erschließen könnte.

Von Klaus Janke 11.10.2022

© Stocksy/Valeriya Simantovskaya

Fingerzeig: Einige deutsche Retailer unternehmen die ersten Schritte in der virtuellen Welt, um das Metaverse als Vertriebskanal zu erproben.

Per Smartphone-App können Ikea-Kundinnen und Kunden seit einiger Zeit ausprobieren, wie ein neues Sofa oder ein neuer Schrank im eigenen Wohnzimmer aussehen würden. Douglas hat eine App entwickelt, über die User*innen ausprobieren, wie verschiedene Make-ups auf dem eigenen Gesicht wirken. Und die britische Handelskette Marks & Spencer testet in London eine Navigations-App, die Kund*innen helfen soll, sich in den Filialen besser zurechtzufinden. All diese Beispiele aus dem Bereich der Virtual oder Augmented Reality (VR und AR) stellen eine Vorstufe echter Metaverse-Anwendungen dar, die bereits stationär und online im Einsatz sind. Sie dienen im Wesentlichen der Verkaufsunterstützung.

Mittlerweile unternehmen große Retailer aber auch die ersten Schritte ins echte Metaverse. Kaufland hat im Januar in der Spielewelt „Animal Crossing“ eine Insel namens „Kaufisland“ eröffnet, auf der sich die Nutzer*innen über die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens informieren können. Sie erfahren anschaulich, wo die Lebensmittel herkommen oder was mit abgegebenen Pfandflaschen passiert. Auch H&M ist auf „Animal Crossing“ vertreten: Auf der Insel „Looop“ wird das gleichnamige Kleidungsrecycling-System der Modekette ­vorgestellt.

Die konsequenteste Anwendung für den Handel wäre natürlich die Filiale, die komplett im Metaverse besuchbar ist. In den USA arbeitet die Handelskette Walmart daran. Wie das virtuelle Einkaufserlebnis aussehen kann, ist in einer neuen YouTube-Präsentation zu bestaunen: Kund*innen betreten mit ihrem Einkaufswagen den Store, geben eine Einkaufsliste ein und werden von einer Verkäuferin oder einem Verkäufer durch die Gänge geleitet. Am Ende zahlen sie mit Walmart Pay und bekommen die Ware an ihre reale Adresse geliefert. Walmart meint es offenbar sehr ernst mit seinen Metaverse-Ambitionen: Im Dezember ließ der Konzern viele seiner Eigenmarken für die virtuelle Welt schützen. Die Patente sollen auch für Kryptowährungen und NFTs gelten – Walmart könnte also auch in den Handel mit virtuellen Artikeln einsteigen.

Maßstabsgerechte Avatare als „Gamechanger“

Der Modebranche würde der E-Commerce viel mehr Spaß machen, wenn die Retouren nicht wären. Damit sich Kund*innen besser vorstellen können, wie ihnen ein Kleidungsstück steht, experimentieren Onlinehändler schon seit vielen Jahren mit virtuellen Umkleidekabinen – mit begrenztem Erfolg. Ein Gamechanger könnten maßstabsgerechte Avatare von Kund*innen sein, die im virtuellen Raum Kleidungsstücke anprobieren.

H&M hat im vergangenen Herbst in drei Filialen in Hamburg und Berlin Scanner getestet, über die Kund*innen Avatare mit ihren genauen Maßen erstellen konnten. Anschließend konnten sie ihren neuen Zwillingen Mode aus der „No Fear To Try“-­Kollektion anziehen und sie in einer App um 360 Grad drehen, um einen Rundumblick zu bekommen. Konkurrent Zalando hat das Schweizer Bodyscan-Start-up Fision übernommen und will bald eine App präsentieren, über die man den eigenen Körper exakt vermessen und ebenfalls Avatare produzieren kann.

100 000 Gäste bei virtueller Modenschau

Die Hersteller entdecken derweil das Metaverse als virtuellen Showroom. Ende März fand auf der Plattform „Decentraland“ die erste „Metaverse Fashion Week“ mit 70 Shows von Marken wie Tommy Hilfiger und Etro statt. Mehr als 100 000 Gäste besuchten digitale Stores, feierten virtuelle Partys und nahmen an NFT-Drops teil.

Im Metaverse geht es längst nicht mehr nur darum, Mode für das reale Leben zu promoten. Zara etwa hat mit „Lime Glam“ eine Linie auf den Markt gebracht, deren Teile sowohl physisch als auch von Avataren auf der Plattform „Zepeto“ getragen werden können. Ralph Lauren hat auf „Roblox“ einen ganzen Shop eröffnet, in dem man seinen Avataren für drei bis fünf US-Dollar Skianzüge, Jacken und Mützen kaufen kann.

Besonders entschieden treiben die Konkurrenten Nike und Adidas ihre Metaverse-Strategien voran. Nike hat im vergangenen Herbst auf „Roblox“ die 3-D-Welt „Nikeland“ gestartet, die dem realen Nike-Headquarter nachgebildet ist. Fans der Marke können hier exklusive Produkte ausprobieren und sich gemeinsam mit Freund*innen mit Spielen vergnügen. Unter anderem ist es möglich, Körperbewegungen aus der realen in die virtuelle Welt zu übertragen.

Adidas hat Grundbesitz auf der Plattform „The Sandbox“ gekauft und will hier ebenfalls eine eigene Erlebniswelt, das „Adiverse“ entstehen lassen. Der Sportartikler hat auch bereits erfolgreiche NFT-Kollektionen herausgebracht, die exklusiven Zugriff sowohl auf Wearables für Avatare als auch auf Trainingsanzüge und Hoodies in der physischen Welt ermöglichen. Die Mechanismen von Begehrlichkeit und Verknappung, bekannt von sündhaft teuren Sneakern und Sonderkollektionen, funktionieren eben auch im Metaverse.

Schlagworte: Onlinehandel, Vertriebskanäle, Digitalisierung, E-Commerce

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