Resilienz

Können Sie Krise?

Für die Unternehmen im Handel nehmen die Herausforderungen durch Inflation, Arbeitskräftemangel und Klimatransformation zu. Doch statt permanent im Krisenmodus zu verharren, sind sie gut beraten, systematisch an ihrer Resilienz zu arbeiten.

Von Thomas Luther 24.04.2023

© Getty Images/Pete Starman

Widerstandsfähig: Firmen, die improvisierten und schnell pragmatische Lösungen gefunden haben, sind besser durch die Corona-Krise gekommen, als jene, die passiv waren.

Das Vorzeigeprodukt der Firma ACD Elektronik sieht aus wie ein überdimensionales Smartphone mit großem Bildschirm und physischem Tastenfeld. Telefonieren lässt sich mit dem mobilen Handheld Computer der Firma aus Süddeutschland noch nicht. Aber auch ohne dieses Gimmick schätzen viele Handelsunternehmen und Logistiker die Funktionsfülle und Anwendungsmöglichkeiten solcher Geräte. Sie setzen die ACD Handhelds unter anderem für Warenwirtschaftsprozesse und Kommissionierungen im Lager ein.

Für seine Innovationsfähigkeit ist das Unternehmen vor drei Jahren vom Landeswirtschaftsministerium Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. „Unsere Produkte sind zu normalen Zeiten nach zwei bis drei Jahren veraltet. Permanente Veränderungsfähigkeit ist in unserer Firmen-DNA fest verankert und für ACD geradezu überlebensnotwendig“, erläutert Geschäftsführer Andreas Zwißler. Auch wenn die Herausforderungen und das Umfeld von Technologieentwicklern mit denen von Handelsunternehmen nicht eins zu eins vergleichbar sind – von der Resilienz und der Widerstandsfähigkeit, die sich die Schwaben über die Jahre angeeignet haben, können sich Handelsunternehmen durchaus etwas abschauen. Denn während ACD die Verwerfungen der Coronapandemie gut überstanden hat, machen die Folgen von Lockdowns und Infektionsschutzmaßnahmen vielen Händlern mit Präsenzgeschäft weiterhin zu schaffen.

Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis: Das ist kein Zufall, sondern häufig hausgemacht. Das Marktforschungsunternehmen GfK hat bereits nach der ersten Coronawelle im Auftrag von Microsoft und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Fähigkeit deutscher Unternehmen zur Bewältigung von Krisen untersucht. Das Ergebnis des „Resilienz-Check 2020“: Firmen, die improvisierten und schnell pragmatische Lösungen gefunden haben, sind besser durch die Krise gekommen als diejenigen,
die passiv waren.

Für Notsituationen wappnen

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Herausforderungen durch fragile Lieferketten, hohe Inflation und die Energiekrise im Zuge des Ukrainekriegs gilt mehr denn je: Der deutsche Einzelhandel tut gut daran, seine Resilienz und Wandlungsfähigkeit zu verbessern. „Viele Erkenntnisse des ‚Resilienz- Check 2020‘ von BDA und Microsoft Deutschland haben sich bestätigt. Die Coronakrise hat einen Digitalisierungsschub in der Arbeitswelt ausgelöst. Unternehmen und Beschäftigte haben gezeigt, was möglich ist, wenn pragmatisch und flexibel reagiert werden kann“, sagt BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.

Mit Blick nach vorn rät er den Unternehmen, aus der Krise Lehren zu ziehen und ein Konzept zu entwickeln, um für künftige Notsituationen gewappnet zu sein. „Die Digitalisierung ist ein entscheidendes Instrument bei der Bewältigung von Krisen“, stellt Kampeter fest. „Wer vor der Coronapandemie in die Digitalisierung investiert hatte, konnte oft auf mobile Arbeit setzen und Geschäftsmodelle schneller
anpassen. Das hat sich bewährt. Daher ist es wichtig, jetzt keinen Schritt zurückzugehen. Aber auch die Politik muss durch entsprechende Rahmenbedingungen resilienzförderlicher sein.“

„Der Kern unserer Analyse ist aktueller denn je“, ergänzt Marianne Janik, Deutschlandchefin von Microsoft. „Resilienz ist eine der zentralen Herausforderungen für Unternehmen – und Digitalisierung der Schlüssel zu ihrer Lösung. Ob Klimawandel oder Arbeitskräfteknappheit – das gesamte wirtschaftliche Umfeld ist zunehmend geprägt von Unsicherheiten. Das gilt auch im ganz alltäglichen Wettbewerb. Diese Entwicklung erfordert von Unternehmen die Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen – und sich dafür auch selbst zu verändern.“

Wandel aktiv angehen

Der Wille dazu mag bei vielen Unternehmen auch im Handel vorhanden sein. Doch mit der Umsetzung hapert es bisweilen. Dieses Bild ergibt sich aus dem im Frühjahr vergangenen Jahres veröffentlichten „Change-Readiness-Index“ der Unternehmensberatung Staufen. Dafür wurden im Rahmen einer empirischen Studie insgesamt 363 Unternehmen zum Thema Wandel befragt. Das Ergebnis: Die Anpassungsdynamik der Unternehmen hat in der Summe trotz Pandemie eher nachgelassen. „Unsere Studie bestätigt, was seit Monaten weiterhin an uns herangetragen wird: Die Unternehmen kommen bei wesentlichen Themen in der Tiefe nicht oder nur sehr langsam voran“, kommentiert Staufen-CEO Wilhelm Goschy.

Um resilient mit Krisen umzugehen und auch in schwierigen Zeiten die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, mahnt er daher bei Unternehmensverantwortlichen an, über die akuten Herausforderungen hinauszublicken und den Wandel aktiv anzugehen: „Allein die Neugestaltung von Prozessen und Produktionsabläufen reicht dafür nicht aus. Die Grundlage sind Know-how und Innovationsfähigkeit.“

Zur Extrameile motivieren

Im Ergebnis entscheiden jedoch viele Faktoren darüber, wie gut sich Unternehmen in turbulenten Zeiten schlagen. Doch welche genau sind das? Entscheidend sind Experten zufolge Führungskultur und Mitarbeitermotivation. Krisenbewältigung und Aufbruch beginnen im Kopf. Es muss die entsprechende „Denke“ im Unternehmen vorhanden sein, um beweglich zu bleiben und auf veränderte Rahmenbedingungen schnell reagieren zu können. „Ehrlicherweise muss man berücksichtigen, dass Eigentümer, Führungskräfte und Mitarbeitende in den vergangenen Jahren gerade im Handel vor allem damit beschäftigt waren, den Betrieb unter Krisenbedingungen am Laufen zu halten“, sagt Goschy. „Die eine oder andere strategische
Hausaufgabe ist dabei unerledigt geblieben.“

Grundsätzlich spielt für die Krisenfestigkeit jedoch die Unternehmenskultur eine wesentliche Rolle. „Eine resiliente Unternehmenskultur entsteht nur dann, wenn man Mitarbeiter ernst nimmt, ihnen zuhört und sie in die Gestaltung des Unternehmens einbindet“, ist Raoul Nacke, CEO der Unternehmensberatung Eric Salmon & Partners, überzeugt. „Dies führt zu einem Wirgefühl, das Mitarbeiter dazu motiviert, die viel beschriebene Extrameile zu gehen und auch schwierige Entscheidungen mitzutragen.“

Gerade im Bereich Mitarbeitende und Qualifikation stagniert der Readiness-Index von Staufen jedoch. „Deshalb stehen die Unternehmen jetzt unter Zugzwang: Sie müssen die Menschen in den eigenen Reihen fit machen für die Zukunft und ihnen den Weg zur Veränderung ebnen“, stellt Goschy fest. Entscheidend dabei sind eine entsprechende Führungs- und Unternehmenskultur mit Offenheit gegenüber dem Wandel und gelebte Werte. „Die Mitarbeitenden müssen die Gelegenheit bekommen, möglichst eigenverantwortlich zu handeln, statt auf Entscheidungen durch eine zentrale Instanz warten zu müssen.“ Dafür müssten sich Führungskräfte weiterentwickeln, Neues lernen und auch einiges Überkommene wieder verlernen. Goschy: „Es geht darum, die Balance zu finden zwischen operativer Exzellenz und zukunftsorientierter Anpassungsfähigkeit.“

Schlagworte: Handel, Einzelhandel, Klimaschutz, Fachkräftemangel

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