Best Practice

Jede Woche eine neue Datenwelt

Für Händler ist es noch herausfordernder geworden, sich kundenzentriert auszurichten. Dass es gewinnbringend sein kann, diese Mammutaufgabe mit externer Hilfe anzugehen, zeigt die Partnerschaft von Tchibo mit Google.

Von Mirko Hackmann 07.06.2022

© Getty Images/Westend61 Gustafsson

Befinden sich eingeloggte Nutzer in der Nähe einer Tchibo-Filiale, spielt Google Anzeigen an sie aus.

Ein europaweit expandierender Onlineshop, mehr als 24 000 Depots in Bäckereien und Supermärkten sowie 900 Läden in acht Ländern – das Reich des Hamburger Traditionsunternehmens Tchibo ist seit seiner Gründung im Jahre 1949 mächtig gewachsen. Das Geschäft mit Kaffee und wechselnden Non-Food-Sortimenten wirft pro Jahr gut drei Milliarden Euro Umsatz ab, doch bei einer Rendite von zuletzt knapp unter drei Prozent ist noch Luft nach oben. Ein Hebel: mithilfe von Daten die Kundenansprache und -zufriedenheit verbessern und zugleich die Effizienz der eingesetzten Maßnahmen erhöhen.

„Selbst unsere langjährigen Kundinnen und Kunden beginnen ihre Customer Journey seit den Geschäftsschließungen infolge der Pandemie in der Regel online“, sagt Wibke Bachor, Chefin aller deutschen Tchibo-Shops. Dominierten zuvor die Impulskäufe, kämen die Menschen inzwischen gezielt in die Läden. Entsprechend vollziehe sich der Kaufprozess schneller und die Konversionsrate steige an. „Weil der Konsument vor dem Offlinepurchase intensiv Onlineresearch betreibt, ist er über Produkteigenschaften, die angebotenen Farbvarianten oder aktuelle Angebote bereits beim Betreten des Ladens im Detail informiert“, so Bachor.

Anreiz und Orientierung bieten

In der Folge wandelt sich die Rolle der rund 10 000 überwiegend weiblichen Mitarbeiter in den Läden. Der Austausch über Fakten geht laut Bachor deutlich zurück. Weil sie ihre gewohnten sozialen Interaktionen häufig zurückgefahren haben, suchen die Kunden vor Ort den Austausch über allgemeine Themen und teilen ihre Nöte und Gefühle. „Unsere Verkäuferinnen werden mehr und mehr zu persönlichen Beratern“, beobachtet die Tchibo-Managerin. Dass Konsumenten das Sachliche online erledigen und das Emotionale so bald wie möglich in die Offlinewelt einer Kaffeebar tragen, zeuge von großer Sehnsucht nach einem Ende der Pandemie und der damit verbundenen Verunsicherung.

„2021 war das Jahr der Fragen“, ­bestätigt Jannika Bock, die bei Google Deutschland als Managing Director Retail den Industriesektor Handel verantwortet. „Die Menschen suchten Klarheit: Was darf ich? Welche Regeln gelten im Handel? Wie exakt lauten die Zugangsbeschränkungen?“ Inzwischen, so ihre Analyse der Daten, stabilisierten sich einige Verhaltensweisen, unter anderem würden Suchanfragen zunehmend spezifisch: „Die Menschen geben nicht mehr einfach ,Kühlschrank‘, ,Wein‘ oder ,Kleid‘ in die Google-Suche ein, sondern ergänzen Details wie Effizienzklassen, Geschmacksrichtungen oder den Anlass, zu dem ein Stück getragen werden soll.“

Solche Detailrecherchen stellen hohe Anforderungen an die Performance von Onlineshops. „Webseiten müssen inzwischen viel kompetenter sein, dürfen nicht mehr irgendwelchen Content aus­spucken, der nicht exakt zu den individuellen Wünschen passt“, unterstreicht Bachor. Eine ähnlich detaillierte Ordnung erwarte der Kunde auch im Geschäft. Steht er vor schlecht sortierten Regalen, verliert er schnell die Lust. Kurzum: Das Visual Merchandising muss online wie offline gleichermaßen Anreiz wie Orientierung bieten, da der Kunde selbst nicht zwischen den Kanälen unterscheidet, sondern sie situativ nutzt.

Push- und Pull-Strategie integrieren

Im Sinne der Customer Centricity ist es daher von großem Wert, nicht allein zu wissen, welche Produkte aktuell gefragt sind, sondern vor allem, wo und wie Kunden bevorzugt einkaufen. Diese „Insights“ genannten Erkenntnisse destilliert Google für seinen Partner Tchibo anhand der Suchanfragen, die auf google.de eingehen. Doch das ist lediglich der erste Schritt. Die darauf aufbauende Marketingaufgabe lautet: Wie macht man einen Konsumenten in dem Moment, da er durch seine Suche Interesse an einem bestimmten Produkt signalisiert, darauf aufmerksam, dass er bei Tchibo fündig werden kann?

Kunden, die das Produkt online kaufen wollen, sind durch Shopping-Anzeigen genannte Produktbilder am Kopf der Suchmaschinenseite relativ einfach zu adressieren. Doch für ein nahtloses Omnichannel-Erlebnis bedarf es mehr. Daher kommen an diesem Punkt der Customer Journey sogenannte Anzeigen mit lokaler Produktverfügbarkeit zum Einsatz. „Die zeigen den online Suchenden an, wenn das gesuchte Produkt in einem Geschäft oder Depot von Tchibo aktuell vorhanden ist, wie weit dieses vom Standort der Suchenden entfernt und bis wann es geöffnet ist“, erläutert Bock. Zudem können die Konsumenten auf Grundlage der von Tchibo in Echtzeit gepflegten Inventarlisten direkt aus der Anzeige einen Click-&-Collect-Auftrag auslösen.

Diese Anzeigen mit lokaler Produktverfügbarkeit ergänzt Tchibo durch sogenannte lokale Kampagnen. Das sind Anzeigen, die unabhängig von den Suchaktivitäten eines Nutzers zur Inspiration an ihn ausgespielt werden, sobald er sich in der Nähe einer Filiale befindet. „Push- und Pull-Strategie über die beiden Werbeformate zu integrieren, zahlt sich aus“, betont Bachor. So führten die Anzeigen mit lokaler Produktverfügbarkeit nach Analyse der studierten Betriebswirtin zu einem um 35 Prozent niedrigeren Cost per Click (CPC) und einer zwölf Prozent höheren Click-through-Rate (CTR) im Vergleich zu Shopping-Anzeigen ohne lokale Informationen. Die lokalen Kampagnen erzeugten 33 Prozent mehr Visits im Geschäft bei — im Vergleich zu bisherigen Kampagnen — 79 Prozent geringeren Kosten pro Besuch.

Insbesondere wenn Anzeigenformate kanalübergreifend angelegt sind, stellt sich jedoch verschärft die Frage nach der Messbarkeit, dem Return on Ad Spend (ROAS). Wie also weist Google gegenüber Tchibo nach, dass der Einkauf in einer Tchibo-Filiale auf der Mönckebergstraße durch eine Online-Anzeige auf dem Smartphone des Kunden erfolgte? „Dazu nutzt Tchibo unsere Funktion ,Ladenbesuche‘, mithilfe derer wir Offline-Conversions von Online-Anzeigen abbilden“, erklärt Bock. Voraussetzung sei, dass der Nutzer auf seinem Google-Account angemeldet ist und den Standortverlauf freigegeben hat. Betritt er einen Laden, verknüpft Google diesen Besuch mit den Interaktionen im Kontext der Anzeige. Bock versichert, diese Praxis sei datenschutzkonform: „Für diese Funktion verwenden wir ausschließlich anonyme, aggregierte Statistiken.“

Denken in Silos überwinden Tchibo nutzt diese in Berichten zusammengefassten Daten, um seine Budgets gemäß dem Erfolg bestimmter Werbeformen einzusetzen. „Mit den Möglichkeiten des klassischen Marketing-Tracking war die Frage der Attribution viel schwieriger zu beantworten“, betont Bachor. Die Daten von Google verwendet Tchibo im Sinne seiner integrierten Omnichannel-Strategie auch zur Analyse der Kundenaktivitäten im 1997 erstmals gelaunchten Onlineshop, den die Hamburger ­— ebenfalls mithilfe des US-­Unternehmens — von stationären Servern in die Google-Cloud verlagert haben. Die Antwortzeit der Seite hat sich seitdem um mehr als die Hälfte reduziert“, berichtet Bachor. Überdies habe die neue Infrastruktur die Suchzeiten um 75 Prozent verkürzt. „Kunden erwarten inzwischen hoch performante Webseiten“, betont Bock. Response-Zeit, Treffsicherheit, Check-out-Geschwindigkeit, alles müsse perfekt funktionieren – sonst sei der Kunde weg.

Ob es im Hause Vorbehalte gab, das eigene Wissen samt Kundeninformationen mit einem großen US-amerikanischen Datenunternehmen wie Google zu teilen? „Tatsächlich gab es Bedenken, sensible Unternehmenszahlen und wertvolle Daten offenzulegen. Aber wir haben unsere Vorbehalte gegenüber Google offen angesprochen und Grenzen definiert“, sagt Bachor. Am Ende sei es ein Prozess gewesen, das notwendige Vertrauen sukzessive gewachsen. Die nun herrschende Offenheit habe sich aus der über die Zeit enger werdenden Partnerschaft Schritt für Schritt ein­gestellt ­— und am Ende ausgezahlt.

Um die Erfolge der Zusammenarbeit ernten zu können, bedurfte es jedoch zunächst eines umfassenden Transformationsprozesses. Denn um ein Omnichannel-Angebot erfolgreich zu betreiben, müssen auch die Abteilungen das Denken in Silos überwinden. „Gerade für Traditionsunternehmen mit ihren etablierten Strukturen ist das ein herausfordernder Prozess“, räumt Bachor ein. Tchibo sei es jedoch gelungen, ein kanalübergreifendes Management aufzusetzen und ebenso die Incentivierung ans Gesamtumsatzergebnis zu knüpfen. Auch dabei habe Google unterstützt. „Bremst ein Mitarbeiter, sind meist Sorgen und Ängste die Ursache. Externe können besser über solche emotionalen Hürden hinweghelfen als Mitarbeiter aus dem eigenen Haus“, meint Bachor.

Google-Direktorin Bock ist überzeugt, dass sich perspektivisch alle Handelsunternehmen zu Tech-Unternehmen wandeln werden, die Handel betreiben. Dazu seien Investments in die Infrastruktur und der Aufbau von Fähigkeiten vonnöten. Der erste, auch für kleine Händler leicht zu bewältigende Schritt sei, mithilfe eines Google-Unternehmensprofils überhaupt erst einmal online sichtbar zu werden. „Rund die Hälfte aller deutschen Händler sind noch immer nicht im Internet mit einer eigenen Webseite auffindbar“, bedauert Bock. Deshalb habe Google gemeinsam mit dem HDE über die Initiative ZukunftHandel ein Paket aus Instrumenten und Trainings geschnürt, das die teilnehmenden Unternehmen Schritt für Schritt vom klassischen Ladengeschäft hin zu einem hybriden Betrieb begleitet (siehe Kasten).

Dass Technologie allein jedoch nicht die Lösung ist, davon ist Tchibo-Managerin Bachor überzeugt: „So stark datengesteuert wir mittlerweile sind, bleibt unsere DNA die eines Händlers. Und als solcher zeichnen wir uns vor allem durch unsere Leidenschaft für den Kunden und seine Bedürfnisse aus.“

Die Initiative ZukunftHandel

In der Coronakrise haben viele Händler einen Sprung nach vorn in die Digitalisierung gemacht, aber es gibt noch viel zu tun. Der Handelsverband Deutschland (HDE) und Google bündeln ihre Kräfte, um mit der gemeinsamen Initiative ZukunftHandel den Schwung der Einzelhändler aufzugreifen, weiter auszubauen und in die Fläche zu tragen. Der Ansatz ist einfach: Die Partner wollen die Einzelhändler fit machen und ihnen mit Trainingsangeboten und maßgeschneiderten Produkten zur Seite stehen. Das Programm ist bewusst niedrigschwellig konzipiert, sodass es für die Teilnehmer nicht mit Investitionen verbunden, für alle offen und durch Schritt-für-Schritt-Leitfäden und Trainings leicht anwendbar ist. Weitere Informationen hier.

Dr. Jannika Bock

leitet als Managing Director Director Retail den Industriesektor Handel für die Google Germany GmbH. Sie ist bereits seit 2008 bei Google und war zuletzt als Director Client Solutions für den Vertrieb von Googles Werbeprodukten an Großkunden in Zentraleuropa verantwortlich. Bevor Jannika Bock 2008 zu Google wechselte, arbeitete sie unter anderem für die Axel Springer AG. Sie promovierte in Amerikanischer Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Hamburg und an der Harvard Universität.

Wibke Bachor

ist Managing Director aller Tchibo-Filialen Deutschland. Sie startete ihre Karriere bei Görtz und wurde dann von Maxingvest-Miteigentümer Michael Herz als Franchise-Expertin zu Blume 2000 geholt. Anschließend war sie für den Großbäcker Kamps als Vertriebschefin aktiv. Später arbeitete sie vor allem in der Touristikbranche, unter anderem für TUI. Vor ihrem Wechsel zu Tchibo war sie Chefin des Reisebüro-Filialisten Reiseland und Geschäftsführungsmitglied der Gruppe Otto Freizeit und Touristik (OFT).

Schlagworte: Customer Centricity, Vernetzung, Digitalisierung

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