H&M und ein Lab – wie funktioniert das?
Draußen schlummern viele Ideen, die outside H&M sind. Diesem Bedarf wollen wir mit unserem Lab gerecht werden. Dabei wollten wir schneller und innovativer sein als andere. In dem Moment, in dem du als Unternehmen merkst, dass die Welt und die Kundenbedürfnisse sich verändern und Makrotrends Einfluss darauf nehmen, wie der Kunde sein Einkaufserlebnis gestaltet, musst du reagieren. Es brauchte eine Zelle, die auf lokaler Ebene, schnell, kostengünstig und kreativ in Kollaboration gehen kann und die für externe Ideen durchlässig ist. Das Ziel ist Co-Creation in Reinkultur und anderen die Möglichkeit geben, mit uns gemeinsam neue Ideen zu explorieren, um die Zukunft der Industrie zu gestalten. Das geht auf globaler Ebene in der Form nicht. In der lokalen Umgebung des Labs sind wir in der Lage, mit einem viel geringeren Risiko Innovationen zu testen. Wir können außerdem mit Prototypen und Piloten agieren und sind nicht an lange Innovationsschleifen gebunden.
Das Lab steht demnach abseits vom Konzern?
Wir stehen bewusst neben der laufenden Organisation und lieben diesen hohen Freiheitsgrad. Unser Lab erlaubt es uns, Produkte wie Wearable Love – eine Jacke mit appgesteuerten Sensoren, die Berührungen nachahmt – einfach in die Welt hinaus zu lassen und dabei als kleine Innovationseinheit wahrgenommen zu werden. Trotz aller Freiheiten können wir auf die Ressourcen und Fähigkeiten der Kollegen aus der laufenden Organisation zurückzugreifen. Wir sind nicht komplett raus, sondern angedockt. Ein Großteil unserer Projekte funktioniert erst dadurch, dass wir uns Kompetenzen von den H&M-Mitarbeitern holen. Aber wir dürfen ein bisschen Rebel Innovation machen. Wir stellen andere Fragen und öffnen die Tür für disruptive Ansätze von Start-ups, deren Ideen ganz weit in die Zukunft greifen. Durch die Ausgliederung haben wir die Chance, uns Themen zu widmen, die im Hier und Jetzt noch nicht die große Rolle spielen.
Die Ideen kommen vor allem von außen?
Nicht ausschließlich. Aber wenn man als Unternehmen eine Tür zur Welt öffnet und kundenzentriert denkt, öffnet man sich, um zu lernen. Im Fokus stehen dabei Fragen nach Makrotrends, veränderten Kundenwünschen und wohin sie steuern. Mit diesen Fragen kann sich jeder Händler auseinandersetzen und beispielsweise eine Fokusgruppe mit Stammkunden machen. Wenn er weiß, wo es hingehen soll, sucht er sich Partner mit der richtigen Technologie. Brauchen wir Ideen, spielen wir aber auch Themen über Fragebögen an unsere Kunden. Darüber hinaus holen wir uns ganz viel Input über Veranstaltungen und Netzwerke. Sind wir sichtbar, kommen natürlich auch spannende Start-ups auf uns zu. Ab und zu machen wir auch einen Hackathon oder eine Challenge, bei der wir mit einer Frage an die Storemanager herantreten. Der Händler muss nicht derjenige mit den tollsten Ideen sein. Er muss eine Sichtbarkeit entwickeln, damit Ideen an ihn rübergespielt werden.
Was für Ideen kommen so zustande?
Zum Beispiel Ideen zu Wearable Tech, bei uns im Projekt Wearable Love umgesetzt. Das Lab hat die Technologie mit dem Wissen implementiert und exploriert, dass sie erst noch vom Massenmarkt angenommen werden muss. Wir wollen herausfinden, welche Geschäftsmodelle zukünftig spannend sein könnten. Wie verhält es sich beispielsweise mit dem Verleihen von Kleidung, mit Second Hand, dem Schließen von Kreisläufen und Plattformen, auf denen Kunden ihre Textilien tauschen oder verkaufen. Im Lab kommen wir schnell in ein Prototypenstadium und können Feedback vom Kunden einholen. Im Bestfall entstehen daraus Möglichkeitsräume für die laufende Organisation. Das ist der Mehrwert, den wir generieren können: Wir beschäftigen uns mit den Themen, die im Massenmarkt noch keine große Rolle spielen aber die Zukunft der Branche prägen – so wie die On-Demand-Produktion. Die Idee ist ein wahnsinniger Treiber der Branche. Bevor wir warten, was in der Corporate Innovation passiert, probieren wir die Konzepte lieber selbst aus.
Wie sieht dieses Ausprobieren konkret aus?
Im Fall von On-Demand haben wir das Startup ZyseMe an unserer Seite, das mit einem Algorithmus und datenbasiert Anfragen verarbeitet. Mithilfe einer Mini-Supply-Chain haben wir Produkte im Kundenauftrag produziert und im nächsten Schritt eine Mini-Customer-Experience geschaffen, um über die Interaktion mit den Kunden zu lernen, was funktioniert. Die Ergebnisse spielen wir an H&M. Einen solchen Prozess schnell umzusetzen, schaffen wir nur, weil wir eine kleine Einheit sind und selbst agil wie ein Start-up arbeiten können. Das ist für einen Konzern sehr wichtig. Themen wie On-Demand werden garantiert den Bereich Fashion verändern.
Rückt der Kunde dadurch noch weiter vom stationären Handel weg?
Das Offline-Geschäft wird niemals wegfallen. Es verhält sich damit wie jetzt in der Corona-Krise mit dem Thema Homeoffice. Im Office liefern Kreativität, Zufall und Miteinander einen starken Output. Lernen und Informationsbeschaffung können hingegen digital stattfinden. Überträgt man diese Herangehensweise auf den Store, sehen wir eine ähnliche Entwicklung. Die letzten Jahrzehnte waren von großen Stores mit einer hohen Warenverfügbarkeit geprägt. Künftig wird die Verfügbarkeit auf großen Flächen zurückfahren, weil Produkte digital gekauft werden. Wir müssen die Bedeutung des Stores also neu definieren. Die Flächen werden kleiner, sind aber notwendig, um die Brand erlebbar zu machen. Die Customer Experience wird stark auf Services, Fühlen und Beratung ausgerichtet sein. Das sind alles Dinge, die online nicht verfügbar sind. Materialien anfassen, sich in einer Augmented Reality im Spiegel betrachten, um das komplette Sortiment mit einem Handwisch anhand einer KI-Style-Advice durchzuprobieren, das ist der Store von morgen und eine schöne Perspektive.
Wird das teurer?
Bin ich Unternehmer und habe einen On- und Offlinestore, ziehe ich meine Bilanz unterm Strich omnichannel. Es wird künftig nicht mehr um die Frage gehen, ob das Geld aus dem Store kommt. Er ist eine Kontaktfläche und ein Marketingspace, in dem der Kunde die Brand erleben kann. Der Umsatz kann an diesem Touchpoint entstehen. Im Vordergrund steht aber, dass der Kunde die Brand zu lieben lernt. Die Produkte kann er online bestellen. Wenn wir die Kanäle nicht mehr so stark differenzieren und versuchen, den Bedarf der Kunden auf verschiedensten Wegen zu stillen, dann ist auch der Store ein Feld in dem Wachstum entstehen kann.
Wird das Lab in diesem Kontext zum unabdingbaren Faktor der Transformation?
Nein. Die Transformation eines Unternehmens braucht kein Lab, und ein Lab kann die Transformation auch nicht bewerkstelligen. Aber wir brauchen diesen Freiheitsgrad und die Schnelligkeit in der Struktur, um schnell am Markt zu sein. Dafür sind wir mit dem kompletten End-to-End Ownership ausgestattet. Die Kulturbeeinflussung findet über die Kollaboration nach innen statt. Es nützt nichts, sich ein Team aufzustellen, das omnipotent ist und wie ein eigenes kleines Unternehmen agiert. Wir haben einen Kern von vier oder fünf Mitarbeitern, das sind getriebene Unternehmer. Aber die Experten, die wir brauchen – Marketing, PR, Merchandising, Logistik – die finden wir in der laufenden Organisation. Alle Projekte sind in die Organisation eingebunden. Die Mitarbeiter, die für die Projekte in den Labstatus rücken, lernen neue Methoden sowie Arbeitsweisen und wie schnell, kostengünstig und effizient wir Dinge explorieren können. Damit bereichern sie ihr Umfeld. Mehr würde ich für ein Lab nicht beanspruchen.
Wie weit reicht dieser transformatorische Einfluss?
Wenn wir im Jahr fünf Projekte von der Ideation über die Valuation bis hin zur Pilotierung am Markt durchführen, dann schaffen wir es, 40 bis 50 Mitarbeiter aus der Organisation in die Prozesse einzubinden. Die Organisation profitiert darüber hinaus davon, dass wir unsere Ergebnisse in einem internen Kommunikationskanal spiegeln und wir die Stores für Kampagnen wie Wearable Love nutzen. Auf informativer Ebene treiben wir so Transformation an. Darüber hinaus verstehen wir uns als internes Kulturveränderungsteam – als Intrapreneure. Wir wissen beispielsweise, dass es im Kontext Corona rechts und links von uns noch Unternehmen gibt, deren Existenzen auf der Kippe stehen. In diesem Kontext haben wir alle Storemanager eingeladen, einen Design Thinking Workshop mit der Fragestellung „Wie können wir unserer Nachbarschaft, mit dem was wir haben, helfen?“ zu durchlaufen. In den Stores wurden daraufhin beispielsweise Schaufenster und Teile der Ladenfläche leergeräumt, um sie anderen Händlern zur Verfügung zu stellen. Solche kreativen Lösungsansätze können wir als Lab antreiben.
Für welche Händler lohnt es sich, in dieser Weise auf Kultur einzuwirken?
Wenn wir auf die klassischen Ressourcen Geld und Zeit schauen, ist die Umsetzung eines Labs nicht unbedingt ressourcenintensiv. Wir kreieren mit dem geringsten Invest den maximalen Output. Dabei erhöhen wir nicht immer wieder unsere Budgets, sondern arbeiten über Mindset, Kreativität und Entrepreneurship. Sobald die Kunden das Produkt aber annehmen und es skaliert wird, muss man wieder anders über Ressourcen nachdenken. Ob das für andere Händler spannend ist, kann ich nicht sagen. Ich sehe nur den Bedarf. Denn für Start-ups ist es wichtig, nicht nur über Investments zu sprechen, sondern ihre Ideen schnell umzusetzen. Die Unternehmen müssen sich für neue Relevanzen und Ideen öffnen. Im Fokus steht Co-Creation. Die Zukunft wird eher kollaborativ und weniger kompetitiv sein. Lediglich die Erfolgsmodelle der Vergangenheit in die Zukunft projizieren, wird nicht funktionieren. Das Mindset, das wir brauchen, ist gestaltend. Mein Apell lauter daher: Kreist niemals um eure Organisation, sondern um das wandelnde Verhältnis des Kunden zum Konsum, und definiert, wo ihr da reingehen könnt. Bleibt dabei im Gestaltungs- und Chancenmodus. Denn auf die Stabilität der vergangenen Jahre ist kein Verlass.
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