Eigentlich findet der Handelsdialog Baukultur im Rahmen einer, wenn man so will, Exkursion in die Zukunft statt. Dabei geht es seit 2016 an Orte, die der Transformation des innerstädtischen Einzelhandels mit neuen Planungen und architektonischen Lösungen entgegenkommen oder die Veränderungen im Kräfteverhältnis der urbanen Akteure auf besonders innovative Weise begleiten. Doch wie schon im ersten Jahr der Pandemie wird die Veranstaltung auch 2021 als Heimspiel im Berliner Verbändehaus ausgetragen.
Die gemeinsame Veranstaltung von Handelsverband Deutschland (HDE), Bundesstiftung Baukultur, Deutschem Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) sowie dem Deutschen Verein für Stadtentwicklung und Handel, Urbanicom, fragt, vorsichtig mit dem Zusatz „Zwischenbilanz“ versehen, ganz direkt: „Wie kommen Handel und Innenstädte aus der Krise?“
Das Thema beschäftigt mittlerweile nicht mehr allein Einzelhändler und Kommunalbehörden, sondern auch die ganz große Politik. Auf Initiative von Michael Reink, dem Bereichsleiter Standort und Verkehrspolitik beim HDE, hat sich im Oktober 2020 unter dem Dach des Bundesinnenministeriums (BMI) der „Beirat Innenstadt“ konstituiert, in dem Vertreter aus Handel, Handwerk, Industrie, Gastronomie und Immobilienwirtschaft regelmäßig zusammenkommen. Bereits im Juli 2021 konnte das Gremium eine Innenstadtstrategie vorlegen, die auf knapp 50 Seiten beschreibt, in welchen Bereichen akuter Handlungsbedarf besteht und wie sich das formulierte Ziel einer „multifunktionalen, resilienten und kooperativen Innenstadt“ erreichen lässt.
Geld allein wird es nicht richten
Dass sich auf höchster Ebene nun tatsächlich etwas tut, vermag womöglich den Schmerz von HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth angesichts der ernüchternden 15-Monate-Corona-Zwischenrechnung etwas zu lindern: Der zufolge drohen nach den dramatischen Umsatzeinbrüchen im Zuge der Pandemie bis zu 120 000 Geschäftsaufgaben im stationären Handel – mit entsprechenden Konsequenzen für die betroffenen Städte.
„Selbst in den 1-a-Lagen von Metropolen sehen wir teilweise bis zu 15 Prozent Leerstand“, so Stefan Genth. „Die drohende Verödung zentraler Bereiche beschränkt sich längst nicht mehr auf kleine und mittlere Kommunen, sondern ist ein strukturelles Problem unserer Städte.“ Er fordert deshalb einen Digitalisierungsfonds, Möglichkeiten der Sonderabschreibung für Modernisierung und Instandsetzung sowie ein längerfristiges Sonderprogramm Innenstadt mit einem jährlichen Budget von 500 Millionen Euro.
Der Adressat dieser Forderungen ist in Person von Nicole Graf zugegen. Die Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), kann über die angelaufenen Maßnahmen im Rahmen der bereits erwähnten Innenstadtstrategie hinaus auf die zusätzliche Summe in Höhe von 250 Millionen Euro verweisen, die ihr Haus für innovative Projekte und Konzepte zur Innenstadtrevitalisierung zur Verfügung gestellt hat. Doch Geld allein wird es nicht richten.
Darauf weist Moderator Michael Fabricius hin, als er die Initiatoren des Best-Practice-Datenpools „Stadtimpulse“, Michael Reink vom HDE und Roland Wölfel von der CIMA, einem auf die Entwicklung von Städten und Regionen spezialisierten Beratungsunternehmen, nach den dort kuratierten Beispielen für erfolgreiche Handlungsansätze befragt. „Dienen geförderte Initiativen wie stadtspezifische Einkaufsgutscheine nicht eher der Stabilisierung überholter Strukturen?“, gibt Fabricius zu bedenken. „Es muss doch darum gehen, einen grundlegenden Wandel anzustoßen“, fügt er hinzu.
Daran lassen Wölfel und Reink keinen Zweifel. Doch auch kleine Maßnahmen seien wichtig, ist der HDE-Standortexperte überzeugt: „Sie helfen den Händlern, sich nicht als Konkurrenten, sondern als Interessengemeinschaft zu verstehen, die für ihren wirtschaftlichen Weiterbestand auf eine gut funktionierende, attraktive Innenstadt angewiesen ist.“
Eigentümer am längeren Hebel
Wie schwer nicht nur einzelnen Händlern, sondern auch vielen Kommunen eine Schubumkehr im Hinblick auf Neu- und Umnutzung von leer stehenden Handelsimmobilien fällt, liegt indes nur noch selten an einer trägen Verwaltung oder der störrischen Verweigerungshaltung Einzelner. Was Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) aus Essen berichtet, steht exemplarisch für ein verbreitetes Problem: Sinnvolle und wünschenswerte Vorhaben vor Ort scheitern nicht selten an den Immobilieneigentümern. Auf der Limbecker Straße, früher eine prominente Einkaufslage der Ruhrmetropole, sollten gastronomische Nutzungen die aufgegebenen Ladengeschäfte beleben. Doch dazu kam es nicht. „Es gab schlichtweg niemanden, mit dem die Stadtverwaltung ins Gespräch hätte kommen können, nur eine Adresse im Ausland“, berichtet Düsterdiek.
Sobald es sich bei den Immobilieneigentümern um anonyme Fondsgesellschaften oder Briefkastenfirmen in Übersee handelt, hat auch die handlungswilligste Kommunalbehörde keinen Ansprechpartner, mit dem das Für und Wider einer neuen oder anderen Nutzung zu verhandeln wäre. Die Folge: Der Leerstand verstetigt sich – zulasten der Anrainer und der Situation vor Ort. „Zwei Jahre sind für einen Immobilienfonds auf den Cayman Islands keine lange Zeit, doch eine Stadtlage leidet unter solch einem ausdauernden Leerstand“, resümiert Düsterdiek.
Den Handel entfesseln
Dieser Missstand ist freilich nicht mit gutem Willen oder Fördermaßnahmen zu beheben; dafür sind politische Weichenstellungen erforderlich, die eine Runde womöglich künftiger Ampelkoalitionäre auf dem Podium diskutiert. Dort finden sich mit Bernhard Daldrup (SPD), Chris Kühn (Grüne) und Daniel Föst (FDP) die baupolitischen Sprecher ihrer jeweiligen Partei. So einig sich die drei Politiker über die Dringlichkeit des anstehenden Stadtumbaus sind, so unterschiedlich sind ihre Perspektiven angesichts der Herausforderungen. Während Kühn die künftige Innenstadtentwicklung als integrierten Prozess beschreibt, in dem Klimaschutz und Digitalisierung die Hauptrolle spielen, will Föst den Regelungsrahmen für die Wirtschaft flexibilisieren. „Der Handel muss entfesselt werden“, so der FDP-Vertreter.
Daldrup hingegen weist darauf hin, dass die Städtebauförderung eine rechtliche Absicherung benötigt, um die langfristigen Aufgaben zu stemmen. Um das zu erreichen, was alle meinen, wenn sie von einer durchmischten, vielfältigen, lebendigen und offenen Innenstadt reden, müsse zudem „die soziale Funktion der Innenstadt von den Maßgaben der unbedingten Rentabilität entkoppelt werden“. Anders formuliert: Es darf in den Zentren unserer Städte nicht ausschließlich um Rendite gehen. Was aber nicht heißt, dass man dort kein Geld mehr verdienen darf. Denn wie Reiner Nagel, Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, sagt: „Ohne Einzelhandel geht es nicht.“
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