Stationäre Händler kennen ihre Kunden. Sie schauen den Menschen in ihrem Geschäft in die Augen, erkundigen sich im persönlichen Gespräch nach Wünschen und spüren, wenn etwas nicht stimmt. Kaufmännisches Bauchgefühl speist sich aus Erfahrung, es ist viel wert. Nur allein darauf verlassen sollte sich der Händler in Zeiten umfassender, datengetriebener Konsumentenforschung nicht mehr.
Thomas Heckmann beschlich diese Einsicht, als er im Jahr 2014 eine Fortbildungsveranstaltung von GS1 Germany zum Thema Category-Management besuchte. „Mir ist damals bewusst geworden, dass wir dringend etwas im Bereich der Sortimentsentwicklung tun müssen, gerade auf unseren kleinen Flächen“, erinnert sich der Geschäftsfeldleiter Consumer-Projekte bei der Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Süd eG (GDW Süd).
Der Zusammenschluss von Einrichtungen der Behindertenarbeit betreibt im Franchisesystem über 100 Cap-Lebensmittelmärkte, in denen Menschen mit und ohne Handicap zusammenarbeiten. „Unsere Sortimente in den einzelnen Kategorien wurden immer größer“, erzählt Heckmann. Die Folgen: Die Märkte wiesen sehr hohe Lagerbestände auf, während in den Regalen vermehrt Out-of-Stock-Situationen zu verzeichnen waren. Raum für Verbesserungen war erkennbar, nicht nur in den Regallücken.
„Das Projekt war für uns sehr lehrreich. Nach dem, was wir erlebt und erreicht haben, war uns wirklich keine Arbeit zu viel.“ Thomas Heckmann, Geschäftsfeldleiter Consumer-Projekte bei GDW Süd
Die Besonderheit am Category-Management ist, dass einzelne Sortimentskategorien als strategische Geschäftseinheiten betrachtet werden. Die Bildung und Steuerung einer Kategorie ist ein Prozess, bei dem Händler und Hersteller kooperieren. Die Zusammenarbeit im Sinne der Verkaufsförderung wird im Branchenjargon als Efficient Consumer-Response (ECR) bezeichnet. Ziele des Category-Managements sind, etwa die Laufwege im Laden optimal zu konzipieren, Produkte an Standorten und in den Regalen kundengerechter zu gruppieren oder die Neueinführung von Waren oder Promotions besser zu koordinieren. Das Unternehmen GS1, das weltweit Standards gestaltet und für die Vergabe der Artikelnummern (Barcodes) zuständig ist, definiert Handlungsempfehlungen für die Sortimentsoptimierung und begleitet die Umsetzung des Konzepts auf der Fläche.
„Wir haben zunächst die Kategorien analysiert und Potenziale identifiziert“, beschreibt Justine Lauer, Beraterin für Category-Management bei GS1 Germany, den Beginn der Kooperation mit Cap. Um die Sortimentsoptimierung in den ausgewählten Kategorien Süßwaren und salzige Snacks sowie in den Kassenzonen von vier Testmärkten vorzunehmen, wurden der Industriepartner Intersnack, der Knabbergebäck (Funny-Frisch, Chio, Pom-Bär) vertreibt, sowie CFP Brands, zu dessen Markenportfolio im Süßwarenhandel Mentos, Fisherman’s Friend, Chupa Chups und Smint gehören, für eine fünfmonatige Testphase gewonnen.
Point of Sale selbst aufmöbeln
Die Industrie investiert in Studien, die das Konsumentenverhalten erforschen, etwa durch Befragungen oder Beobachtung von Probanden. Was ist das Mindset eines Shoppers, der sich in der Kategorie Süßwaren umschaut? Welche Produkte erwartet er zusammen im Regal? Und wie muss ein Regal strukturiert sein, das der Kundensuchlogik folgt? Die Ergebnisse des Shopper-Researchs bildeten die Datenbasis für das Kooperationsprojekt auf der Fläche. Die von den Industriepartnern gelieferten Marktforschungsanalysen glichen die Experten von GS1 zur systematischen Bewertung der ausgewählten Kategorien mit den Handelspaneldaten sowie mit den Abverkaufsdaten der Cap-Märkte in Rostock, Mannheim, Stuttgart und Saarbrücken ab. Als Mittler zwischen den Projektparteien wacht GS1 dabei auch über den kartellrechtlich einwandfreien Datenaustausch. Jeder Industriepartner kann nur die Daten einsehen, die für seine Kategorie relevant sind.
„Unsere Theorie hat sich bestätigt, dass der Händler besser beraten ist, wenn er mit eigenen Möbeln arbeitet.“ Timo Gutermuth, Leiter Trade-Marketing CFP Brands
Ein Ergebnis der Analyse am PoS: „Unsere Theorie hat sich bestätigt, dass der Händler besser beraten ist, wenn er mit eigenen Möbeln arbeitet“, sagt Timo Gutermuth, Leiter Trade-Marketing bei CFP Brands. Das sehe im Markt einheitlicher und attraktiver aus und der Händler könne erst so das Sortiment und die Platzierung vollkommen unabhängig gestalten. „Auch die Kollegen aus der Industrie, die stark mit eigenen Regalen arbeiten, haben allesamt von dieser neutralen Lösung profitiert“, so Gutermuth. Überdies habe sich die alte Weisheit „weniger ist mehr“ bewahrheitet.
„Im Fruchtgummibereich wurden die Sortimente zugunsten von Doppelplatzierungen der stärksten Artikel drastisch verkleinert. So werden Out-of-Stocks reduziert und der Kunde kann sich in der Impulszone besser orientieren. Er findet genau die Artikel, die gefragt sind, und kauft dann auch schneller“, erklärt Gutermuth. Die optimierten Kassenzonen verzeichneten einen extremen Umsatzzuwachs von bis zu 88 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Salzige Snacks zu Süsswaren
„Das Projekt war für uns sehr lehrreich“, sagt Thomas Heckmann von der GDW Süd. „Als wir die Subkategorien in der Gesamtkategorie Süßwaren bewertet haben, war uns vorher nicht bewusst, wo wir Flächenzuwächse und -abschmelzungen vornehmen sollten.“ Überraschend für den Handelsprofi: Schmalere Sortimente können zu höheren Umsätzen führen. Und: Die salzigen Snacks gehören zur Süßwarenabteilung. In vielen Märkten sind die Knabbereien jedoch in der Nähe der alkoholischen Getränke situiert. Die zunächst plausibel erscheinende Händlerstrategie hat sich zumindest auf den untersuchten Flächen als ineffizient erwiesen.
In den Testmärkten konnten durch die strategische Neuplatzierung der salzigen Warengruppe im Süßwarenbereich bis zu 96 Prozent mehr Umsatz in der Kategorie verzeichnet werden. Heckmann und die Cap-Marktbetreiber wollen sich darum künftig lieber auf Fakten verlassen statt auf ihr Bauchgefühl. 22 Filialen wurden im Bereich der Süßwaren bereits umgebaut, bis zum Sommer sollen alle Märkte optimiert sein. Weitere Sortimentsoptimierungen sind bereits in Arbeit (mit Bahlsen beim Süßgebäck) oder geplant (mit Coca-Cola bei den alkoholfreien Getränken). Ein Sortimentsplaner von der GDW Süd hat sich zwischenzeitlich bei GS1 zum Category Manager ausbilden lassen. „Nach dem, was wir erlebt und erreicht haben, war uns wirklich keine Arbeit zu viel“, sagt Heckmann.
Marktleiter mitnehmen
Die Datenermittlung und -zusammenführung war für die GDW Süd mit hohem Aufwand verbunden. Cap wird von Edeka beliefert und agiert in sechs der sieben Edeka- Regionen. Regionale Besonderheiten im Sortiment sowie unterschiedliche Marktgrößen sorgten für ein Datenwimmelbild. „Das war eine Herausforderung“, sagt auch Timo Gutermuth von CFP Brands: „Wir können nicht, wie in der Testphase, für jedes Outlet ein individuelles Planogramm erstellen.“ Darum einigte man sich auf die pragmatische Lösung, beim Rollout der Projektergebnisse auf alle Cap-Märkte mit Musterplanogrammen in zwei Größenklassen je Region zu arbeiten. Das Muster ist eine Blaupause für die Flächenproduktivitätsentwicklung und kann in Absprache mit dem Marktleiter vor Ort an lokale Erfordernisse der Regalierung oder der Produktauswahl angepasst werden.
Gemeinsam für CAP
In den Cap-Lebensmittelmärkten arbeiten Menschen mit und ohne Handicap zusammen. Begründet mit dem ersten Markteröffnung durch die Gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten GmbH (GWW) im Jahr 1999, wurde das Konzept zwei Jahre später von der in Stuttgart ansässigen Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Süd eG (GDW Süd) in ein Social-Franchising-System überführt. Franchisenehmer sind Werkstätten und Integrationsbetriebe. Inzwischen gibt es bundesweit über hundert Cap-Märkte, in denen rund 1 440 Beschäftigte in Voll- und Teilzeit arbeiten, davon rund 830 Mitarbeiter mit Behinderung. Die Einrichtung der zentral gelegenen Filialen ist den Bedürfnissen von Senioren und Rollstuhlfahrern angepasst. Seit dem Jahr 2005 ist Edeka der Hauptlieferant für die Märkte mit Flächengrößen bis zu 1 500 Quadratmetern.
Ebenfalls „nicht ganz einfach“ war es, die Cap-Franchisenehmer überhaupt von dem Konzept des Category-Managements zu überzeugen, erinnert sich Heckmann. Manche Marktleiter sahen ihr Handels-Knowhow infrage gestellt. Sie waren überdies skeptisch und befürchteten, dass die großen Industriepartner versuchen würden, nur ihre Artikel optimal zu platzieren, berichtet Heckmann: „Doch wir haben festgestellt, dass die Partner eine sehr faire Auswahl nach Abverkaufszahlen getroffen haben und selbst auch von Auslistungen betroffen waren.“
Dieses Vorgehen habe die Marktleiter schließlich überzeugt. „Die Neutralität der Industriepartner ist ganz wichtig“, betont Justine Lauer von GS1. „Sie geben nur Empfehlungen ab, und am Ende entscheidet immer der Händler.“
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