Verwirrend riesige Auswahl, endlose Hochregal-Labyrinthe und wenige „Verkäufer“, die im Angesicht ratloser Kunden meist schnell noch das Weite suchen: So oder so ähnlich ergeht es vielen Kunden in deutschen Baumärkten. Lange Zeit galt in der Branche das Gesetz des Stärkeren: Der Größere schluckt den Großen und wird noch größer. Beratung und Kundennähe waren allem Wachstum untergeordnet. An Deutschlands Stadträndern und in den Gewerbeparks stehen die Tempel der Do-it-yourself-Branche, kurz DIY. Schlecht ist nur, dass die Kunden nicht mehr in Scharen am Feierabend oder an Samstagvormittagen den Weg in die SB-Baumärkte suchen. Farben, Tapeten, Nägel, Hämmer, Holzlatten oder Badezimmerarmaturen lassen sich längst auch im Internet bestellen. Oft günstiger und vielfach sogar bequemer.
„Baumärkten droht die Gefahr, die Funktion als erste Anlaufstelle bei DIY-Kunden zu verlieren. Um dem entgegenzuwirken und die eigene Existenzberechtigung zu sichern, müssen Baumärkte konsequent weiter Richtung online marschieren und sich durch Differenzierungsfaktoren von den anderen Wettbewerbern abgrenzen“, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung am IFH Köln. Die Fachanalysten des IFH haben zusammen mit der HSH Nordbank ein Thesenpapier entwickelt, das etablierten Baumärkten neue Wege in die Zukunft aufzeigt.
Dabei ist, um dieses Schlagwort zu zitieren, Agilität oberstes Prinzip. „Noch vor den anderen Anbietern ist die Zeit der härteste Wettbewerber – Baumärkte müssen vor allem schnell reagieren“, betont Stüber. Die Zeit drängt vor allem deshalb so stark, weil den Baumärkten der jahrelang gut funktionierende USP abhandengekommen ist. Digitalplatzhirsch Amazon ist beim Onlinekauf bereits heute viel häufiger Teil der „Customer Journey“ von Baumarktkunden als die fünf größten deutschen Marktketten Obi, Bauhaus, Toom, Hagebau und Hornbach.
Dazu kommt die mit 76 Prozent ungleich bessere Konversion von Amazon im Vergleich zu den nur 30 Prozent der Top-5-Baumärkte. Auf Deutsch bedeuten 76 Prozent Conversion Rate: Aus drei von vier Webseitenbesuchern macht Amazon auch digitale DIY-Einkäufer. Zum Leidwesen der großen Baumarktketten bekommen sie online nicht nur von Amazon massiv Konkurrenz. Auch rein digitale Nischenanbieter wie Reuter.de oder Fensterversand.com machen ihnen zunehmend die Ränge streitig.
Was also tun? „Baumärkte müssen neue Geschäftsmodelle mit einem klaren Leistungsversprechen bieten. Vor allem online schlecht substituierbare Faktoren wie Service, Beratung und Erlebnis sollten dabei im Fokus stehen. Denn nur so haben Baumärkte die Chance, künftig durch die Rolle als Lösungsanbieter neben digitalen Plattformen zu bestehen“, sagt Jens Thiele, Leiter Handelskunden der HSH Nordbank.
Hausmessen und Innovation Stores
Den Kunden wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Schaffens zu stellen, genau darum geht es. Stationär wie digital. Obi beispielsweise macht es bei Gartenprojekten gut vor und begleitet den Kunden von Anfang an entlang der gesamten Customer Journey: Mithilfe des Onlinekonfigurators können Kunden auf der Website eigene Gartenprojekte planen, sich von Gestaltungsvorschlägen inspirieren lassen, Anleitungen zum Selbermachen herunterladen und sich danach von den Obi-Gartenplanern im Markt persönlich bei der Produktauswahl oder in Sachen letzter Feinschliff beraten lassen. Wettbewerber Hornbach informiert Kunden im Monatsturnus durch wechselnde Hausmessen über neueste Trends rund ums Bauen, Modernisieren und Gestalten; Knauber wiederum wirft in seinen Innovation Stores in Zusammenarbeit mit Produktherstellern einen Blick voraus auf kommende Trends in Haus und Garten.
Diese Angebote kommen an und liegen laut IFH Köln und HSH Nordbank auch genau in der Zeit: 35 Prozent der Baumarktkunden erwarten, dass ihnen die Märkte künftig stärker unter die Arme greifen und ihnen mehr Arbeit abnehmen. Bemerkenswert: Unter den Heavy-Online-Shoppern liegt der Anteil sogar bei 46 Prozent.
Der DIY-Boom hat seinen Zenit überschritten. Die „Yippiejaja“-Selbermacher von gestern rufen heute vermehrt nach Hilfe: „Do it for me“ kommt in Mode. Mehr, persönlichere und damit bessere Beratung ist einer der Schlüssel, mit denen sich klassische Baumärkte gegen die Emporkömmlinge aus dem Web abgrenzen können. Für ein persönlicheres Einkaufserlebnis könnten auch kleinere Flächen sorgen: 43 Prozent der Baumarktkunden, so Recherchen des IFH Köln, beurteilen Kleinflächenformate positiv. Unter den Jüngeren sind es sogar 54 Prozent.
„Kleinflächenformate für ein begrenztes, gegebenenfalls periodisch wechselndes Sortiment in urbaner Lage ermöglichen es beispielsweise, Kundenbedürfnisse nach Inspiration und Erlebnis innerhalb der natürlichen Bewegungsräume zu adressieren und sich gleichzeitig von bestehenden Formaten abzugrenzen“, meint Eva Stüber vom IFH Köln. Anbieter Toom drängt etwa mit Pop-up-Stores bereits in stark frequentierte Innenstädte vor, Wettbewerber Jeez liefert als mobiler Baumarkt alle Artikel zur Wohnraumgestaltung direkt vor die Haustür der Kunden.
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