Verbraucherschutz

Wie der Kunde zu seinem Recht kam

Umfassende Rechte für Verbraucher sind heute in den meisten Industrieländern selbstverständlich. Doch bis dahin war es ein weiter Weg, wie ein Blick in die Geschichte des Verbraucherschutzes zeigt.

Von Marvin Brendel 24.11.2020

© Stiftung Warentest

Unabhängiges Institut: Bis heute hat die Stiftung Warentest ihren Sitz am Lützowplatz in Berlin-Tiergarten.

Schon im Mittelalter finden sich vor allem in den größeren Handelsstädten frühe Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher: So stellt beispielsweise die Augsburger Stadtordnung aus dem 12. Jahrhundert die Verwendung falscher Maße und Gewichte unter Strafe. Auch die Güte einzelner Produkte ist damals bereits ein Thema. So heißt es ganz klar zur Bierqualität: „Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder unrechtes Maß gibt, soll er gestraft werden.“ Das Strafmaß fällt mancherorts wenig zimperlich aus. Wer etwa in Berlin im 13. Jahrhundert absichtlich mit falschen Gewichten betrügt, dem droht sogar die Todesstrafe. Trotzdem bleibt die Geschäftsmoral vieler Händler ein stetes Ärgernis für die Kunden.

Mehl mit Gips gestreckt

Im 19. Jahrhundert führt die Industrialisierung zu einem raschen Anwachsen der Arbeiterschaft in den Städten. Diese ist für ihre Versorgung auf Krämer angewiesen, die ihre Stellung nur zu oft ausnutzen, indem sie mit manipulierten Waagschalen und verfälschten Lebensmitteln arbeiten. So färben sie Nudeln mit Urin statt mit Eigelb, tarnen verdorbene Butter unter einem Überzug frischer Ware oder strecken Mehl mit Gips und Milch mit Wasser.

Als die nach 1848 zunehmend von der Zensur befreiten Zeitungen immer häufiger Lebensmittelskandale anprangern, reagiert die Politik und erlässt 1879 das erste reichsweite Nahrungs- und Genussmittelgesetz. Es verbietet das Panschen von Lebensmitteln und sieht öffentliche Untersuchungsstationen für Nahrungsmittel vor. Eine weitere Aufwertung erfährt der Verbraucherschutz mit Beginn des 20. Jahrhunderts: 1908 wird die Maß- und Gewichtsordnung, drei Jahre später eine Eichordnung für das Deutsche Reich verkündet.

Im Ersten Weltkrieg führen die britische Seeblockade sowie die Ausweitung der Rüstungswirtschaft zu teils deutlichen Preissteigerungen. Rund 70 Verbraucherorganisationen mit zusammen sieben Millionen Mitgliedern bündeln daher ab Dezember 1914 ihre Kraft im „Kriegsausschuss für Konsumenteninteressen“. Dieser will Preistreibereien bekämpfen, für gerechte Rationierungen eintreten und zu einem sorgsamen Umgang mit Vorräten erziehen.

In der Weimarer Republik leidet der Verbraucherschutz unter widerstreitenden Interessen der individuellen Verbrauchergruppen. Der Staat indessen ist gelähmt durch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und die Fundamentalopposition linker wie rechter Kräfte. Unter den Nationalsozialisten wird der Verbraucherschutz zu einem Element der Verbrauchslenkung. Anstatt des individuellen Konsumenten soll nun der „kollektive Volkskörper“ geschützt werden.

Frischen Schwung beim Verbraucherschutz gibt es erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Wirtschaftswunder spült immer neue Produkte in die Regale der Händler – „mit übertriebener Werbung und in immer kürzeren Abständen“, wie nicht nur der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard moniert. In der Folge könne der Verbraucher die Ware nicht so kritisch prüfen, wie es eigentlich erforderlich sei. Ab Herbst 1962 diskutiert die Regierung daher über die Errichtung einer bundeseigenen Körperschaft zur Durchführung unabhängiger Warentests.

Schutz des Konsumenten

Der deutsche Einzelhandel begrüßt diese Pläne. Er hofft auf eine verkaufsfördernde Wirkung der Prüfergebnisse und somit auch eine bessere Absatzplanung. Zwischenzeitlich geht es den Handelsverbänden sogar nicht schnell genug. Statt auf die Politik zu warten, plädieren sie noch 1962 für die rasche Errichtung einer eigenen Stiftung für Warentests. Doch am Ende setzt sich die staatliche Lösung durch: Am 4. Dezember 1964 wird die Stiftung Warentest gegründet. Als unabhängige Institution erleichtert sie seither den Deutschen mit objektiven Testergebnissen die Orientierung in der Warenflut.

Daneben sorgen immer mehr Gesetze für einen immer besseren Schutz der Konsumenten. So fordert etwa die Fertigpackungsverordnung von 1971 auf jedem verpackten Artikel den Aufdruck der Füllmenge. Das Textilkennzeichnungsgesetz aus dem Folgejahr schreibt die Angabe der zur Herstellung genutzten Rohstoffe vor. Und ab 1976 schützt das AGB-Gesetz die Verbraucher vor einseitigen Klauseln im „Kleingedruckten“ der Verkäufer.

Weitere Meilensteine sind das Haustürwiderrufsgesetz (1986), das Produkthaftungsgesetz (1990) oder das Fernabsatzgesetz (2000). 2001 entsteht durch einen neuen Ressortzuschnitt das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Erstmals werden damit die Konsumentenrechte offizieller Namensteil eines Bundesministeriums.

Doch trotz zahlreicher Fortschritte warten auf den Verbraucherschutz immer wieder neue Herausforderungen. Dazu zählen heute insbesondere neue, durch den fortschreitenden digitalen Wandel entstehende Vertriebsstrukturen. So gibt es in Deutschland zum Beispiel bislang keine Plattformhaftung für Produktfälschungen, die in den USA bereits eingeführt wurde. 

Der Wirtschaftshistoriker Marvin Brendel ist Betreiber von „Geschichtskombinat“, einer Agentur für wirtschafts- und unternehmens­geschichtliche Recherchen. Exklusiv für das handelsjournal verfasst er die Serie „Meilen­steine des Handels“, die sich mit der Längsschnitt­analyse handels­spezifischer Innova­tionen­ beschäftigt. Haben Sie Fragen, Kommen­tare, Ergänzungen? Dann schreiben Sie an: brendel@geschichtskombinat.de

Schlagworte: Meilensteine des Handels, Verbraucherschutz, Stiftung Warentest

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