Deutscher Handelskongress 2020

Gestärkt aus der Krise

Beim Deutschen Handelskongress diskutierte die Branche über die Zukunft der Innenstadt und sinnstiftende Unternehmenskulturen. Das Leitmotto „The Power of Purpose – Verantwortung übernehmen. Zukunft gestalten.“, verweist auf die Post-Corona-Zeit als Treiber von Veränderung.

Von Ralf Kalscheur 05.12.2020

© HDE/Santiago Engelhardt

Auf Sendung: Der Deutsche Handelskongress spielte sich in diesem Jahr coronabedingt auf der digitalen Plattform ab und erreichte die Branche live aus Studios in Berlin und Düsseldorf.

Alles ist anders in diesem Jahr: Die Branche steht unter nochmals erhöhtem Digitalisierungsdruck und muss in Abhängigkeit vom unvorhersehbaren Infektionsgeschehen ein historisch unvergleichbares Maß an Anpassungsfähigkeit, Innovationsbereitschaft und Resilienz beweisen. Der Deutsche Handelskongress setzt ein Zeichen der Kontinuität in der Krise, verwandelt sich erstmals in ein rein digitales Format und sendet live aus Studios in Berlin und Düsseldorf.

„Gerade in diesen Tagen müssen wir alle verantwortlich handeln, für uns und für andere“, richtet Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort per Videobotschaft an die Teilnehmer und dankt dem Handel für sein Engagement für die Ausbildung und seine Rolle als Identitätsstifter in den Innenstädten. „Der Einzelhandel trägt eine besondere Verantwortung, das Einkaufen möglichst sicher zu machen“, erklärt Merkel.

Vielfalt befördern

Dabei geben sich die Geschäfte im Modus Lockdown light alle erdenkliche Mühe, doch trotz geöffneter Ladentüren kämpfen insbesondere Innenstadthändler seit Wochen mit geringen Kundenfrequenzen und einbrechenden Umsätzen. „Wenn die Politik dem Handel in den Stadtzentren nicht schnell mit passgenauen Überbrückungshilfen zur Seite steht, könnten bis zu 50 000 Geschäfte verloren gehen“, warnt HDE-Präsident Josef Sanktjohanser. Riesige Hilfspakete seien geschnürt worden, die aber nicht zur Verteilung an die Not leidenden Händler kämen. „Das gilt es dringend zu korrigieren“, fordert Sanktjohanser.

Während etwa der Lebensmittelhandel die Krise vergleichsweise gut bewältigen kann, schweben Handelsunternehmen aus anderen Branchen in akuter Existenzgefahr. „Die Situation, in der sich viele Modehändler in Innenstadtlagen befinden, ist dramatisch und beängstigend“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Ein besseres Zusammenspiel von Wirtschafts- und Finanzministerium sei erforderlich, um wirksame Sofortmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Zudem könnten rechtssichere Sonntagsöffnungen, gegen die sich die Gewerkschaft Ver.di ausspricht, einen Beitrag zur Rettung des Innenstadthandels leisten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nimmt sich die Zeit, den Gästen der Onlinekonferenz via Direktübertragung aus dem Gesundheitsministerium die Notwendigkeit der eingeleiteten Maßnahmen zur Eindämmung der zweiten Pandemiewelle zu erläutern. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versichert in seiner Videobotschaft: „Die Bundesregierung lässt den Einzelhandel in dieser Krise nicht im Stich und setzt alles daran, dass die Geschäfte geöffnet bleiben können.“ Das Thema Belebung der Innenstädte liege ihm besonders am Herzen, deshalb werde er es mit seiner Initiative weiter vorantreiben. Der Handel muss seine Kunden aber auf allen Kanälen erreichen. „Ich ermuntere Sie, die kostenlosen Angebote des Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrums Handel zu nutzen“, so Altmaier.

Weiblichen Talentpool ausschöpfen

„The Power of Purpose – Verantwortung übernehmen. Zukunft gestalten.“ lautet das hochaktuelle Leitmotto des Deutschen Handelskongresses, formuliert, als noch niemand etwas von Corona ahnt. Die Folgen der Pandemie beschleunigen die Nachfrage nach nachhaltigen Konzepten und Arbeitgebern, die mit ihren Geschäftsmodellen Sinn stiften und Mitarbeiter motivieren. Professor Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, beschreibt die Neugestaltung der „monotonen Stadtbilder“ in Deutschland als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Disruption der Pandemie biete die Chance, die Vielfalt des Fachhandels in den Zentren zu befördern, Mieten zu differenzieren sowie Strategien gemischter Nutzung zu stärken, statt „überholte Strukturen durch Subventionen am Leben zu erhalten“.

Der Outdoor-Ausrüster Vaude hat früh den Kostenaufwand einer kontrollierten nachhaltigen Produktion in Kauf genommen – in der Krise zahlt sich die Investition besonders aus. „Die Kunden interessieren sich verstärkt für die Produktionsbedingungen, das Markeninteresse an Vaude ist seit Ausbruch der Pandemie um 30 Prozent gestiegen“, berichtet CEO Antje von Dewitz. „Nachhaltigkeit bedeutet das Management von existenziellen unternehmerischen Zielkonflikten“, so von Dewitz. Dabei seien lösungsorientiertes Arbeiten, Agilität und nicht zuletzt eine von Frauen und Männern gleichberechtigt geprägte Unternehmensführung vonnöten.

„Die Kundenstruktur sollte sich auch in der Zusammensetzung der Mitarbeiter widerspiegeln“, sagt Andrea Euenheim, Chief Human Resources Officer und Arbeitsdirektorin bei Metro. „Diverse Perspektiven führen nachweislich zu besseren Entscheidungen“, pflichtet Astrid Arndt, SVP People and Organization von Zalando, bei. Gerade hiesige Unternehmen könnten es sich nicht leisten, den weiblichen Talentpool nicht auszuschöpfen. „Diversity hat für uns einen großen Stellenwert, weil wir den Vorteil sehen“, erklärt Sandra Widmaier, Group Vice President Human Resources bei der Otto Group. Von gesetzlichen Vorgaben für die Besetzung von Frauen in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen hält sie indes nichts. „Wir geben uns unsere Ziele selbst vor.“

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die der Frauenquote zum Durchbruch verhilft, stellt sich im Studio live den Fragen von Moderatorin Dunja Hayali. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiger Standortfaktor“, betont Giffey und bedankt sich für die Unterstützung vieler Einzelhändler bei der Aktion „Stärker als Gewalt“ gegen häusliche Aggression. Die Branche engagiert sich für das Gemeinwohl – und findet ihren Purpose auch „in der Belebung der Innenstädte“, sagt Christoph Keese, geschäftsführender Gesellschafter bei Axel Springer und Aufsichtsratsmitglied des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof. „Der Purpose ist beim Handel schon mit ins Geschäftsmodell eingebaut.“

Schlagworte: Deutscher Handelskongress, Coronakrise, Coronavirus, Power of Purpose

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