Der Robert-Brauner-Platz im Zentrum von Herne ist – anders, als es das angrenzende Parkhaus „Am Verweilplatz“ vermuten lassen könnte – eine betongraue Fläche, die zum schnellen Durchschreiten einlädt. Früher, seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts, prägte und belebte ein Warenhaus den Standort. Zehntausende Besucher kamen, um 1951 den Umbau und zehn Jahre später den Neubau des Althoff-Kaufhauses durch die Karstadt AG zu feiern.
Doch die goldene Zeit der Warenhäuser, die in den 70er-Jahren einen Anteil von rund zwölf Prozent am gesamten Einzelhandelsumsatz erreichten, begann bereits in den 80er-Jahren langsam zu verblassen. „Alles unter einem Dach“ ging als Konzept für sich zunehmend individualisierende Verbrauchergruppen vielerorts nicht mehr auf, spezialisierte Betriebsformen wie Fachmärkte bildeten sich heraus. 2009 wurde das mittlerweile unter dem Namen Hertie geführte Haus in Herne im Zuge der Liquidierung des Unternehmens geschlossen. Hertie bestand zu diesem Zeitpunkt aus den kleineren Karstadt-Häusern, gelegen vor allem in Mittelstädten.
Massive Eingriffe in die Substanz
Mehr als zehn Jahre lang stand das Warenhaus in Hernes Mitte leer. Ein Abriss kam nicht infrage, weil das von dem Architekten Emil Fahrenkamp gestaltete Gebäude seit 1995 unter Denkmalschutz steht. Statt weiterhin auf einen Investor mit der zündenden Idee zu warten, kaufte die strukturschwache ehemalige Bergbaustadt die Immobilie, entwickelte ein umfassendes Quartierskonzept, das auch die Begrünung des öden Robert-Brauner-Platzes vorsieht, und schrieb einen Wettbewerb aus.
Doch wie lässt sich eine veraltete Handelsimmobilie angesichts des wachsenden Onlinehandels in einer vom Strukturwandel und vom demografischen Wandel besonders gebeutelten Ruhrgebietsstadt revitalisieren? „Man muss zunächst vergessen, dass man es mit einer ehemaligen Verkaufsmaschine mit wenig natürlichem Licht und großen Flächen zu tun hat, um den Baukörper von oben nach unten kleinteilig und flexibel nutzbar neu zu denken und zu gestalten“, sagt Thomas Binsfeld, Mitglied der Geschäftsleitung der Landmarken AG. Der Aachener Projektentwickler gewann die Auslobung zusammen mit HPP Architekten mit dem Mixed-Use-Konzept „Neue Höfe Herne“ und kaufte das Gebäude von der Stadt. Quartiere mit gemischt genutzten Immobilien gelten als zukunftsfähig, weil sie im Zusammenspiel mit dem Einzelhandel die Innenstädte beleben.
Abschied von der reinen Einkaufsstadt
Der Bauingenieur hat das Projekt sechs Jahre lang bis zur Eröffnung und Vollvermietung begleitet; sein Lächeln drückt Erleichterung aus, denn der Umbau des Hauses mit 14 000 Quadratmetern Nutzfläche erforderte zahlreiche massive Eingriffe in die Substanz. Um Helligkeit in die „Verkaufsmaschine“ zu bringen, schnitten die Entwickler zusätzliche Fensteröffnungen sowie von oben zwei begehbare Lichthöfe ein, die dem Projekt den Namen geben. Die denkmalgeschützte Fassade mit den charakteristischen Lamellen musste ebenso aufwendig angepasst und saniert werden wie die Betondecken, denn auch das Traggerüst steht unter Denkmalschutz. An die Entrauchung von Treppenhäusern habe in den 1960er-Jahren noch niemand gedacht, bemerkt Binsfeld. „Das oberste Geschoss mussten wir abreißen und neu aufbauen, um die Haustechnik unterzubringen.“
Im ursprünglichen Konzept angestellte Überlegungen, einen Lebensmittler sowie Wohnen und ein Hotel in der Immobilie unterzubringen, galt es zu verwerfen. Statik und Grundrissstruktur sprachen dagegen, die Anbringung von Balkonen hätte den Denkmalschutz auf den Plan gerufen. Das ist der Nachteil eines Investorenwettbewerbs: Es muss schnell gehen, um zu gewinnen. Für eine eingehende Analyse des Bestands fehlen häufig Zeit und Geld.
„Wir mussten Rückschläge hinnehmen, doch das Projektteam, das wir mit Bauunternehmen, Fachplanern, Denkmalschutz, Politik und Verwaltung gebildet haben, hat für die Aufgabe gebrannt“, betont Projektleiter Binsfeld, der einen kurzen Draht zum Herner Oberbürgermeister Frank Dudda pflegt. „Das ist ein wichtiges Projekt mit hoher Strahlkraft, das auch in der Region wahrgenommen wird“, sagt Dudda. „Die entstandenen neuen Arbeitsplätze und die Sanierung des Gebäudes sind wichtige Beiträge zur Revitalisierung der Herner Innenstadt.“ Von der Idee einer reinen Einkaufsstadt müsse sich Herne ob des veränderten Einkaufsverhaltens verabschieden.
Drei Jahre lang zog sich die Mietersuche hin, zusätzlich erschwert durch die pandemiebedingte Unsicherheit. „Wir haben viele Gespräche geführt, um die Idee zu verkaufen“, erzählt Binsfeld. „Viele Innenstadtimmobilien sind nach wie vor zu teuer.“ Für die fensterlose Fläche im Keller fand sich „glücklicherweise“ ein Fitnessstudio, das einen Mietvertrag für 15 Jahre unterzeichnete. „Langfristige Mietverträge waren uns wichtig, um die Flächen baulich auf die Bedürfnisse der Mieter zuschneiden zu können.“ Mehreren Textilisten, die Interesse bekundeten, aber nur kurze Mietvertragslaufzeiten wollten, sagte der 46-Jährige ab. Neben dem Eingang zum Fitnessstudio soll im Erdgeschoss ein Restaurant für gesunde Kost eröffnen. Schwereres hat das „Wirtshaus“ auf der Karte, das mit Außengastronomie den Platz belebt. Den Einzelhandel im wiederbelebten Kaufhaus vertreten der Textildiscounter NKD und der expansive Non-Food-Händler Tedi.
Stadtgestaltung als Gemeinschaftsaufgabe
Die oberen Bürogeschosse werden von den Mitarbeitern eines Marketing- und eines Industrieunternehmens belegt. Insgesamt rund 500 Mitarbeiter von sieben Firmen werden künftig in den Neuen Höfen arbeiten, trainieren, speisen und sich in der Innenstadt tummeln. Die letzte freie Fläche im Erdgeschoss, etwa 250 Quadratmeter groß, bezieht im Herbst die Stadt. Es soll ein Bürgerbegegnungsraum entstehen, die IHK ist im Boot – Stadtgestaltung als Gemeinschaftsaufgabe.
„Ein Learning bei diesem Projekt war, dass wir bei künftigen Aufgaben noch stärker auf Partizipation und Co-Kreation bei der Konzeptentwicklung setzen“, erklärt Binsfeld. „Wir wollen verstehen, warum Menschen in die Innenstadt kommen, und dafür individuelle regionale und anpassungsfähige Lösungen entwickeln.“ Ursprünglich sollte die Fläche vor allem als Drehscheibe für Lieferlösungen auf der letzten Meile dienen, denn auch die Gorillas sitzen im Gebäude. Der Lieferdienst musste sich zwischenzeitlich jedoch auf den Erlös besinnen und wird die Fläche nicht beziehen, den Vertrag jedoch erfüllen, so Binsfeld.
Die Neuen Höfe gelten als Vorzeigeprojekt für die Nachnutzung von Warenhäusern in kleineren Kommunen. Auf der Polis Convention, der Messe für Stadt- und Projektentwicklung in Düsseldorf, wurden sie mit dem silbernen Polis Award in der Kategorie Reaktivierte Zentren ausgezeichnet. Zudem gab es den FIABCI Prix d‘Excellence der International Real Estate Federation, ebenfalls in Silber, als eine der besten Gewerbe-projektentwicklungen in Deutschland. Die Landmarken AG verkaufte das voll vermietete Objekt jüngst weiter. An wen, mag Binsfeld noch nicht verraten. Der Projektentwickler ist schon mit der nächsten Revitalisierungsaufgabe beschäftigt – ein ehemaliger Kaufhof in Aachen sucht eine neue, gemischt genutzte Bestimmung.
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