EU-Textilstrategie

Eine Branche gerät in den Schleudergang

Im Frühjahr 2022 hat die EU-Kommission angekündigt, eine Strategie zu nachhaltigen Textilien und Kreislaufwirtschaften vorzulegen, diese soll die Textilbranche bis zum Ende des Jahrzehnts nachhaltiger machen. Was auf die Branche zukommt.

Von Antje Gerstein 19.07.2023

© Getty Images / Kinga Krzeminska

Saubere Sache: Die künftige Nachhaltigkeitsstrategie der EU-Kommission für die Textilbranche trägt neuesten technologischen Entwicklungen auf Gesetzesseite Rechnung.

Der Verbrauch von Textilien hat nach Angaben der EU-Umweltagentur EEA im EU-Durchschnitt nach dem Verzehr von Lebensmitteln, Wohnen und Mobilität die viertgrößten Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Gleichzeitig handelt es sich um einen der größten Wirtschaftszweige, mit weltweit 75 Millionen Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 2,1 Billionen Euro. Allein in der EU liegt der Umsatz laut EEA bei 162 Milliarden Euro mit über 1,5 Millionen Beschäftigten.
Was plant die EU-Kommission genau? Man muss sich die EU-Textilstrategie als große politische Klammer für zahlreiche gesetzliche Einzelmaßnahmen vorstellen, die alle darauf zielen, Kreisläufe im Textilsektor zu schließen und Recycling zu fördern. Die großen Regulierungsbereiche können folgendermaßen zusammengefasst werden:

1. Nachhaltige Produktion: Die Textilstrategie fördert die Umstellung auf umweltfreundlichere Produktionsverfahren, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Wasser, Energie und Chemikalien. Ziel ist es, den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie zu reduzieren und die Ressourceneffizienz zu verbessern.

2. Kreislaufwirtschaft: Es wird angestrebt, die Textilindustrie zu einer Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, in der Abfälle vermieden, recycelt und wiederverwendet werden. Dies umfasst Maßnahmen zur Förderung des Textilrecyclings, zur Verbesserung des Designs von Textilprodukten für eine bessere Wiederverwertbarkeit und zur Reduzierung der Abfallmengen.

3. Verbraucherbewusstsein: Die Strategie zielt darauf ab, das Bewusstsein der Verbraucher für nachhaltige Textilien zu erhöhen und ihnen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie fundierte Entscheidungen treffen können. Dies soll durch die Kennzeichnung von Textilien mit Informationen über deren Nachhaltigkeit und Umweltauswirkungen erfolgen.

4. Forschung und Innovation: Die EU fördert die Forschung und Entwicklung von neuen Technologien und Materialien, um die Nachhaltigkeit und Leistungsfähigkeit von Textilien zu verbessern. Dies beinhaltet beispielsweise die Entwicklung neuer Fasern aus erneuerbaren Quellen, den Einsatz von Nanotechnologie zur Reduzierung des Chemikalienverbrauchs und die Verbesserung der Abbaubarkeit von Textilien.

5. Internationale Zusammenarbeit: Die EU strebt eine verstärkte Zusammenarbeit mit internationalen Partnern an, um weltweit Standards für nachhaltige Textilien zu setzen. Konkrete Überlegungen zur Regulierung sind zum Beispiel neue Design- und Qualitätsanforderungen, um Kleidungsstücke einfacher reparieren und haltbarer machen zu können. Auch die gesonderte Sammlung von Textilmüll sowie neue Regelungen zur Textilkennzeichnung sollen die Wiederverwendung von Fasern vereinfachen – das passiert heute nur bei einem Prozent aller Kleider. Zudem sollen Exporte von Altkleidern deutlich erschwert werden. Hersteller sollen auch in die Pflicht genommen werden, um das Auswaschen von Mikroplastik aus Kunstfasern erheblich zu reduzieren.

Wettbewerbsfähigkeit bewahren

Somit ist die Textilstrategie zentraler Bestandteil der übergeordneten Nachhaltigkeitsstrategie der EU mit dem Ziel, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu sein. Aber nicht nur Umweltauswirkungen der Textilindustrie sollen verringert werden, es geht neben der Steigerung der Ressourceneffizienz auch um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Textilunternehmen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EU und den Erhalt der Arbeitsplätze.
 
Am konkretesten gestaltet sich derzeit die Überarbeitung der Textilkennzeichnungsverordnung von 2011 (Verordnung (EU) Nr. 1007/2011), der zufolge in der EU vertriebene Textilerzeugnisse mit einer Etikettierung versehen sein müssen, die eindeutige Angaben zur Faserzusammensetzung und zu nicht textilen Bestandteilen tierischen Ursprungs enthält. Sie ist deshalb dringendst überarbeitungsbedürftig, weil in den letzten Jahren etliche neuartige Fasern entwickelt wurden, die im Vergleich zu den herkömmlichen Fasern für die Umwelt nachweislich weniger belastend sind. Diese Materialien werden zwar zuweilen aus ähnlichen Rohstoffen gefertigt, doch unterscheiden sie sich in Bezug auf die Herstellungsverfahren und ihre Eigenschaften häufig erheblich von den konventionellen Fasern.

Interessen von KMU berücksichtigen

Zudem bieten sich heute völlig neue Möglichkeiten der digitalen Kennzeichnung. Die physischen Labels werden von Verbraucherinnen und Verbrauchern heute häufig entfernt, sodass die Informationen über die Zusammensetzung einer Textilie am Zyklusende fehlen, was das ordnungsgemäße Recycling erheblich erschwert. Dem kann man durch digitale Produktlabels entgegenwirken, die mittelfristig vielleicht sogar die physischen Etiketten ganz ersetzen können.

Da es sich bei der Revision der Textilkennzeichnungsverordnung um eine sogenannte REFIT-Initiative handelt, also eine Maßnahme, deren Ziel ausdrücklich darin besteht, das EU-Recht zu vereinfachen, es zweckmäßiger zu gestalten und dabei die Kosten für Unternehmen und Verbraucher zu senken, birgt sie eine echte Chance. Natürlich wird es auch darum gehen, kleine und mittlere Unternehmen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit besonders zu berücksichtigen.

Immense Anforderungen für Textilbranche

Wenn die EU-Kommission diese Chance nutzt, könnte die Verordnung ein gutes Beispiel werden, wie neuesten technologischen Entwicklungen auf Gesetzesseite Rechnung getragen wird und gleichzeitig mithilfe der Digitalisierung eine umfassende und dynamische Verbraucherinformation gelingen kann.

Auch wenn die Maßnahmen einzeln betrachtet sinnvoll sind, lässt sich unschwer erkennen: Was hier auf die Textilbranche zukommt, ist gewaltig! Auch wenn niemand bezweifelt, dass wie in allen Sektoren auch in der Textilbranche geschlossene Kreisläufe und nachhaltiges Wirtschaften die Maßgabe sind und sein müssen, sind hier in den kommenden Jahren immense zusätzliche Anforderungen durch diese Transformationsregulierung zu erwarten. Es wird darauf ankommen, diesen Prozess maximal mitzugestalten, damit die Gesetze praktikabel, lösungsorientiert und ohne immense Zusatzkosten ausgestaltet werden.

Was hoffen lässt, ist, dass die Kommission sich bislang mit ihrer Textilstrategie Zeit lässt. Das ist ein Hinweis, dass besonnen gehandelt wird. Auch die Beamten der EU-Kommission wissen, dass es hier um eine Branche geht, die weitgehend mittelständisch geprägt ist und nicht durch nachteilige Regulierung so unter Druck gesetzt werden darf, dass Produktionsverlagerungen außerhalb der EU als einziger Ausweg gesehen werden.

Schlagworte: Modehandel, Nachhaltigkeit, HDE

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