Das Wort „Agilität“ ist seit Jahren ein viel benutzter Begriff in der Logistikbranche. 2020 hat sich herausgestellt, wie überlebenswichtig es für Unternehmen ist, anpassungsfähig zu sein und schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Immer mehr Unternehmen nutzen daher Cloud-basierte Systeme für ihre Lieferketten. Steigt das Auftragsvolumen rapide, erweitert sich die Systemarchitektur automatisch.
Eines sei dieses Jahr klarer als je zuvor, erklärt Eddie Capel, CEO des amerikanischen Softwareherstellers Manhattan Associates, und zwar die immense Bedeutung von Einzelhandel und Lebensmittelgeschäften für unsere Gesellschaft. „Noch nie zuvor standen die globalen Lieferketten unter solchem Druck wie im Jahr 2020“, sagt Capel weiter. „Die Kombination aus rasant steigenden E-Commerce-Volumina, Disruptionen durch die Pandemie und knappen Lagerflächen stellt Unternehmen vor nie dagewesene Herausforderungen. Veraltete Technologien verstärken diese negativen Faktoren der Pandemie“, so Capel. Auf der virtuellen Messe Manhattan Exchange gab der Softwarehersteller Unternehmen aus Logistik und Einzelhandel ein Forum, um über die Herausforderungen der letzten Monate zu sprechen.
Richard Gifford, CIO des Logistikanbieters Wincanton, erklärt, dass das Unternehmen bereits vor einiger Zeit das Backoffice in die Cloud verschoben hat und diese nun erstmals auch für seine Logistikdienstleistungen einsetzt. „Besonders für dezentral organisierte Unternehmen wie Wincanton ist es hinderlich, in eine standortgebundene On-Premise-Lösung zu investieren“, so Gifford. „Cloud-basierte Software erleichtert uns das Aufnehmen neuer Kunden in unser System und die Einbindung neuer Logistikstandorte in das Netzwerk.“
Viele Unternehmen in der Logistikbranche verlassen sich immer noch auf alte Systeme, die seit mehreren Dekaden im Einsatz sind. „Einige Logistikstandorte arbeiten mit Legacy-Systemen aus dem Jahr 2007. Diese Systeme sind zwar robust, aber in vielen Fällen unflexibel und erlauben es uns nicht, unseren Kunden das nötige Level an Innovation zu bieten“, erklärt Gifford weiter. Neue Cloud-basierte Systeme können hingegen regelmäßig auf den neusten Stand gebracht werden, ohne dass der laufende Betrieb davon betroffen ist.
Kapazitäten kurzfristig anpassen
Der Kosmetikhersteller L’Oréal wickelt jährlich über sieben Milliarden Wareneinheiten in seinen 150 Logistikzentren ab. Die Kosmetikprodukte werden weltweit in Supermärkten, Drogerien, Apotheken, Kosmetik- und Friseursalons sowie online verkauft – entsprechend komplex sind L’Oréals Lieferketten.
„Unser Geschäft wächst und stellt neue Anforderungen in Bezug auf Kapazitäten“, erläutert Francisco Garcia Fornaro, der für die L’Oréal-Gruppe die Lieferketten verantwortet. „Gerade in Peak-Seasons beobachten wir ein rasant ansteigendes Auftragsvolumen.“ Daher startet L’Oréal ab Mitte nächsten Jahres die Implementierung eines neuen Verwaltungssystems in den Distributionszentren in Europa und setzt diese bis 2023 weltweit um. Auch L’Oréal setzt dabei auf ein Cloud-basiertes System, das mit vierteljährlichen Updates kurzfristig auf Veränderungen im Markt reagieren kann. Das Unternehmen möchte Kapazitäten so in Zukunft noch schneller anpassen können.
Maschinen bringen Schnelligkeit in Logistikprozesse, doch Menschen sind wandlungsfähiger. Die meisten Supply Chain Manager vertrauen daher auf eine Kombination aus diesen beiden Ressourcen. Das zeigt auch das Beispiel des Schuhherstellers Skechers. Das Unternehmen wächst in Europa seit Jahren stark, auch während der Pandemie stiegen Verkaufsvolumina weiter. Um die großen Mengen abzuwickeln, setzt Skechers in seinen Distributionszentren auf ein Zusammenspiel aus Menschen und Maschinen, erklärt Sophie Houtmeyers, Vice President Distribution Operations bei Skechers. Seit 2015 investiert das Unternehmen stark in die Automatisierung der Sortieranlagen, Förderbänder und Shuttlesysteme.
„In unseren Distributionszentren arbeiten wir nach dem Wave-Prinzip“, sagt Sophie Houtmeyers. „Wir teilen die Bestellungen, die uns aus Einzelhandel, Großhandel und E-Commerce erreichen, in drei Waves ein, die getrennt voneinander bearbeitet werden.“ Während der Pandemie konnte in den Distributionszentren kurzfristig reagiert werden, indem weitere E-Commerce-Waves dem System hinzugefügt wurden.
Pandemie ändert Bedürfnisse
Die bisherige Corona-Hochphase im April und Mai bedeutete für Teile des Einzelhandels eine unverhoffte Hochsaison, die fast ausschließlich online stattfand. Während sich Unternehmen normalerweise monatelang auf Peak-Seasons um Black Friday oder Weihnachten vorbereiten, ging diesmal alles sehr schnell. E-Commerce-Bestellungen mussten bewältigt und gleichzeitig Geschäfte geschlossen werden. Unternehmen, die bereits zuvor auf ein kanalübergreifendes Online- und Offline-Geschäftsmodell gesetzt hatten, konnten flexibler auf die unerwarteten Veränderungen reagieren. Omnichannel heißt diese Strategie in der Branche.
Seit die Geschäfte wieder geöffnet sind, verlangen viele Endkunden flexible Zustelloptionen wie zum Beispiel die Möglichkeit, online bestellte Ware im Laden abzuholen. Gleichzeitig bereiten sich Einzelhändler auf eine mögliche zweite Phase von Einschränkungen des öffentlichen Lebens vor. „Für den Einzelhandel beginnt jetzt die Hochsaison, die immer extrem große Mengen mit sich bringt“, erklärt Richard Kirk, Supply Chain Director des britischen Fashion-Retailers Matalan. „Ein zweiter Lockdown würde noch mehr Druck auf die Lieferketten ausüben, als wir es zu Beginn der Pandemie beobachten konnten.“
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