Herr Sanktjohanser, die Zahl der Corona-Infektionen steigt rasant. Welche Folgen fürchten Sie für die bereits angeschlagene Branche, sollten in absehbarer Zeit wieder ähnliche Einschränkungen für den Handel gelten wie im Frühjahr dieses Jahres?
Das öffentliche Leben erneut dramatisch zurückzufahren, würde den Handel, wie auch viele andere Branchen, vor große Schwierigkeiten stellen. Gefragt wären natürlich weiterhin Güter des täglichen Bedarfs. Für viele Anbieter anderer Sortimente aber würde es wohl den Existenzverlust bedeuten. Denn der Staat vermag wahrscheinlich nicht noch einmal so viel Geld zur Rettung aufzubringen, wie wir es im Zeitablauf dieses Jahr gesehen haben. Solange aber die Infektionen durch exponentielles Wachstum nicht vollkommen außer Kontrolle geraten, bin ich zuversichtlich, dass mögliche Einschränkungen differenzierter als zuvor ausfallen werden.
Woraus speist sich Ihre Hoffnung?
Wir alle haben ja dazugelernt: Politiker, Mediziner und auch die Bevölkerung, die sich – abgesehen von einigen Verschwörungstheoretikern – an die Regeln hält. Daher bin ich zuversichtlich, dass die Verantwortlichen bei ihren Entscheidungen neben der medizinischen und politischen Logik verstärkt auch die soziale Logik einbeziehen und Altenheime, Schulen und Kitas offen halten. Dasselbe gilt für den Handel und die Gastronomie, die nachgewiesenermaßen nicht nennenswert zur Verbreitung des Virus beitragen.
Wie sehr sehen Sie Ihre eigene Gesundheit aktuell bedroht und wie viel Verständnis haben Sie für Menschen, die die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona als unangemessene Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden?
Formell zähle ich zur Risikogruppe, fühle mich aber weder besonders gefährdet noch durch die Maßnahmen über Gebühr eingeschränkt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Obwohl ich den Freiheitsdrang jüngerer Menschen verstehen kann, möchte ich nicht mit meiner Gesundheit für ihre Partys geradestehen. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, wie sich die Pandemie entwickelt.
Zum Teil klagen aber auch Händler wie zudem Vertreter aus Gastronomie, Hotellerie und dem Kulturgewerbe über die Einschränkungen ihrer unternehmerischen Freiheit …
Solange nicht einzelne Branchen bevorzugt werden, die Maßnahmen also wettbewerbsneutral sind, ist es in Krisenzeiten das Recht des Staates, einzuschreiten. Zugleich ist es seine Aufgabe, darauf zu achten, dass die Wettbewerbsverzerrungen – beispielsweise zwischen dem stationären Handel und Online-Anbietern – nicht noch größer werden. Wer hierzulande Produkte verkaufen möchte, muss sich unabhängig vom Vertriebskanal an die hiesigen Gesetze und Regeln halten. Das ist aktuell bei vielen Online-Angeboten insbesondere aus Drittländern noch nicht der Fall.
Sehen Sie neben den zum Teil dramatischen Auswirkungen der Pandemie auf den Handel auch Dinge, die Ihnen Mut und Hoffnung machen?
Unbedingt! Zum einen hat die Branche sehr große Flexibilität bewiesen, indem sie in Windeseile die Hygienevorgaben umgesetzt hat. Zum anderen konnten wir während des Lockdowns eine beeindruckende Kreativität und Solidarität im Einzelhandel erleben. Da haben Händler ihre Waren auf Bestellung mit Fahrrädern ausgeliefert, es haben sich lokale Plattformen und Projekte gegründet. Und den Kunden ist sehr bewusst geworden, was sie am lokalen Einzelhandel haben.
Um den drohenden Niedergang der Innenstädte zu stoppen, fordert der HDE von der Bundesregierung einen Fonds in Höhe von 500 Millionen Euro, weitere 100 Millionen sollen dem Ausbau der Digitalisierung dienen. Haben sich die Minister Seehofer und Altmaier schon bei Ihnen gemeldet?
Ja, der HDE steht mit dem Wirtschafts- und Innenministerium in gutem und regelmäßigem Austausch. Die politisch Verantwortlichen wissen, dass die Innenstädte kein Thema sind, das allein für unsere Branche relevant ist, sondern das die gesamte Gesellschaft betrifft. Wir haben einen starken Impuls gesetzt, der bei den politischen Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit hohe Aufmerksamkeit erzeugt hat. Nun geht es darum, dass der Staat Rahmenbedingungen schafft und gegensteuert. Dazu braucht es natürlich entsprechende Mittel, mehr jedoch den unbedingten politischen Willen. Geld allein wird unsere Innenstädte nicht retten. Die Transformation wird nur gelingen, wenn Bund, Land und Kommunen mit der Wirtschaft Konzepte initiieren, die Händler und Immobilieneigentümer zu Investitionen anreizen. Zudem gehört das Planungsrecht modernisiert und entschlackt. Aktuell stehen wir über den runden Tisch „Ladensterben verhindern – Innenstädte beleben“ mit Herrn Altmaier in persönlichem Austausch. Mit unseren konkreten Vorschlägen zur Wiederbelebung des Wirtschaftsstandorts und Kulturraums Innenstadt konnten wir einen sehr positiven Beitrag zum Startschuss dieses vom Wirtschaftsminister initiierten Projekts leisten.
Obwohl Corona die Branche schwer gebeutelt hat, sind Berlin und Brüssel bestrebt, Gesetze und Richtlinien voranzutreiben, die den Handel herausfordern: Auf der Agenda stehen unter anderem das Kassen- und Lieferkettengesetz sowie die UTP- Richtlinie und strengere Klimaschutzregeln im Zuge des Green Deal der EU-Kommission. Halten Sie es für notwendig, diese Maßnahmen erst mal auf die lange Bank zu schieben?
Als Verband sind wir grundsätzlich dagegen, wie am Fließband handwerklich fragwürdige Gesetze zu erlassen, die bis tief in die Wirtschaftsprozesse letzte Details regeln. Wir bevorzugen Gesetze, die einen vernünftigen Rahmen setzen und allen Akteuren angemessene Freiräume lassen. Dies gilt insbesondere aktuell, da wir uns in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg befinden! Die Unternehmen müssen sich jetzt auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Nur so können die Versorgung der Bevölkerung und der Erhalt möglichst vieler Geschäfte beispielsweise im Bekleidungshandel sichergestellt werden.
Sie fordern also ein Belastungsmoratorium?
Selbst in normalen Zeiten wäre ein Lieferkettengesetz im vorgelegten Entwurf, das dem Einzelhändler die Verantwortung einschließlich zivilrechtlicher Haftung für das Wohlverhalten aller seiner Lieferanten über die gesamte Lieferkette hinweg aufbürdet, eine nicht zu erfüllende Verpflichtung. Über die gewünschten sozialen und ökologischen Ziele sind sich Politik und Wirtschaft völlig einig. Doch gerade in wirtschaftlichen Krisensituationen ist ein Lieferkettengesetz, das Unmögliches verlangt und hoheitlich staatliche Aufgaben in Teilen auf die Wirtschaft verlagert, erst recht deplatziert: Für viele Händler geht es gerade um die nackte Existenz! Das Kassengesetz, wenn auch in seiner Dimension überschaubarer, ist ebenfalls ein gutes Beispiel für verfehlte Politik: Zunächst gewähren die Bundesländer aus guten Gründen Aufschub bei der Verpflichtung zum Einbau technischer Sicherheitseinrichtungen in die Kassen. Aber dann, nur wenige Tage bevor die Vorgabe in Kraft tritt, widerspricht der Bundesfinanzminister seinen Länderkollegen und pocht auf Einhaltung der Vorgaben. Das ist gerade in einer Krise Gift für die Vertrauensbeziehung zwischen Politik und Wirtschaft. Bei der europäischen UTP-Richtlinie bleibt zu hoffen, dass es in Deutschland auf eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinausläuft. Ansonsten würde die übermäßige Einschränkung der Vertragsfreiheit zu Einbußen bei der volkswirtschaftlichen Effizienz und damit zu Wohlstandsverlusten führen.
Das Klima aber schert sich nicht um die Pandemie. Fordern Sie auch hier, erst mal alles seinen gewohnten Gang nehmen zu lassen?
Das Klimathema ist anders gelagert, denn natürlich macht die Klimaveränderung wegen Corona keine Pause. Ich bin überzeugt, dass wir beim Klimaschutz ehrgeizige Ziele brauchen, um voranzukommen. Gleichzeitig weiß ich, dass der Einzelhandel an dieser Stelle viele seiner Hausaufgaben schon gemacht hat, respektive im Rahmen der HDE-Klimaschutzoffensive im Begriff ist, sie zu erledigen. Beim Klimaschutz ist vor allem die Politik gefordert, endlich den Mut zu einer größeren Reform zu finden und die EEG-Umlage abzuschaffen. Die erneuerbaren Energien sollten über einen CO2-Mindestpreis finanziert werden – dann haben wir einen vernünftigen und klimaschonenden Steuerungseffekt im System, der auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruht.
Um den Handel zu stützen und den Ansturm auf die Geschäfte in der Vorweihnachtszeit zeitlich zu entzerren, fordert der HDE Sonntagsöffnungen ohne Anlassbezug. Wie bewerten Sie die Chancen, rechtzeitig eine Klärung herbeizuführen?
Da gilt es, noch einige dicke Bretter zu bohren. Das Thema ist ideologisch hoch aufgeladen: Kirchen und Gewerkschaften ziehen dabei an einem Strang und schrecken bisweilen auch vor Falschdarstellungen nicht zurück. Denn weder fordern wir eine vollkommene Freigabe der Sonntage noch bestünde eine Pflicht, zu öffnen, auch der Arbeitsschutz wird von den Unternehmen sichergestellt. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen sind bereits vorangegangen und haben den Sonntagsschutz aufgrund der angespannten Lage befristet eingeschränkt. Wirtschaftsminister Altmaier strebt jetzt ebenfalls, zumindest für das Weihnachtsgeschäft, eine bundeseinheitliche Regelung an. Doch am Ende scheitert es immer an den Verwaltungsgerichten. Deswegen verfolgen wir als Verband eine Verfassungsbeschwerde, um den Anlassbezug zu kippen, der an keiner Stelle im Grundgesetz verankert ist. In anderen Branchen, wie der Gastronomie oder der industriellen Produktion, ist Sonntagsarbeit schon lange akzeptierte Normalität.
Aufgrund der Pandemie muss in diesem Jahr der Deutsche Handelskongress erstmals virtuell stattfinden. Was werden Sie am meisten vermissen?
In der virtuellen Variante fehlt natürlich etwas, denn jenseits des offiziellen Programms gehören zu einer solchen Veranstaltung das Netzwerken und die persönlichen Gespräche. Zudem fällt mit der Gala und der Verleihung der Handelspreise der festliche Höhepunkt weg. Es sind eben nicht die Zeiten für große Versammlungen und Feiern. Aber ich bin sicher, wir haben mit der virtuellen Variante das Maximum herausgeholt und werden eine spannende Veranstaltung bieten.
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