Handelsdialog Baukultur

Therapieplan für die pandemiegeschwächte City

Die Coronakrise beschleunigt, was sich bislang schleppend vollzog – das Siechtum der Innenstädte. Gemeinsam mit dem Handelsverband Deutschland diskutierten Experten verschiedener Stiftungen und Verbände, wie diese lebens­bedrohliche Entwicklung aufzuhalten ist.

Von Mirko Hackmann 27.11.2020

© HDE/Till Budde

Stefan Genth: "Die Auswirkungen der Coronapandemie verstärken die Strukturprobleme und Funktionsverluste auf dramatische Weise."

Der rasch wachsende Onlinehandel und die Konkurrenz durch die „grüne Wiese“ haben zahlreichen Innenstadtlagen bereits in den vergangenen Jahren zugesetzt. „Nun verstärken die Auswirkungen der Coronapandemie die Strukturprobleme und Funktionsverluste auf dramatische Weise“, erklärt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Vor allem bereits zuvor schwächelnden Mittel- und Kleinstädten, B-Lagen sowie Quartiers- und Stadtteilzentren drohe der Verlust ihrer Lebendigkeit.

Denn innenstadtprägende Sortimente wie Fashion, Bücher, Sportartikel und Schmuck sind die größten Verlierer des veränderten Verbraucherverhaltens hin zu vermehrter Sparsamkeit und häufigerem Onlineshopping. Die Schließung zahlreicher Filialen von Galeria Karstadt Kaufhof und die Insolvenzen einiger bekannter Innenstadtfilialisten sind laut Genth „lediglich die überregional wahrgenommene Spitze eines Eisbergs“. Das Sterben der Innenstädte empfänden viele Menschen als „dramatischen Verlust von Heimat und Identität“.

Neue Nutzungskonzepte entwickeln

An die Bundespolitik adressiert der Hauptgeschäftsführer daher die Forderung, über einen Innenstadtfonds aktive Stadtentwicklungsplanung zu betreiben, für eine Klarstellung bei den Gewerbemieten zu sorgen sowie ein 2,5 Milliarden Euro schweres Sonderprogramm der Städtebauförderung aufzulegen: „Aus unseren Gesprächen im Bundeswirtschaftsministerium wissen wir, dass die Regierung unseren Anliegen gegenüber offen ist.“

Offenheit zeigt auch Volkmar Vogel, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat – ohne sich aber auf konkrete Finanzvolumina festlegen zu wollen. Das Bekenntnis ist gleichwohl klar: „Wir müssen uns der Negativentwicklung entgegenstellen, denn Handelsimmobilien sind ein wesentlicher Teil der Innenstadtstruktur.“ Neben der Gastronomie und Freizeitangeboten präge der Handel die Innenstädte. Gemeinsam mit den Ländern und Städten gelte es, mittels neuer Nutzungskonzepte die Innenstadtlagen krisensicher zu machen.

„Wir müssen Handel, Wohnen und Wirtschaft durch eine Veränderung der Baunutzungsordnung künftig besser unter einen Hut bringen“, erklärt Vogel. Um lebendige Zentren zu erhalten und sie für Manufakturen und Werkstätten zu öffnen, kündigt der Staatssekretär an, einen „Beirat Innenstädte“ ins Leben rufen zu wollen. Die Städtebauförderung sieht er bereits jetzt „auf hohem Niveau“ und die Forderung nach einem Innenstadtfonds beantwortet er mit dem Verweis auf bestehende Leistungen der Sozialsysteme, das Kurzarbeitergeld sowie Zuschüsse für den Einzelhandel.

„Geld ist gut, reicht aber nicht“, pflichtet ihm der Präsident des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Michael Groschek, bei. Der frühere NRW-Landesminister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr rekurriert auf bereits jetzt nicht abgerufene Gelder aus der Städtebauförderung und betont: „Was Städte und Gemeinden brauchen, ist Autonomie. Mehr Freiheit ist hilfreicher als noch mehr Mittel.“ Stadtentwicklung bedürfe ideeller und konzeptioneller Kompetenzen, die in den örtlichen Ämtern häufig nicht vorhanden seien, sondern vonseiten externer Experten kommen müssten.

Groschek plädiert ebenfalls für multifunktionale Innenstädte und stellt klar, dass „die City nicht länger bestimmt wird vom goldenen Fluss der Einzelhandelsrendite“. In der autofreien Innenstadt sieht er jedoch kein Allheilmittel. Zwar sei die Verkehrswende überfällig, doch gelte es stets, eine „angemessene Erschließung“ vorzunehmen. Und ergänzt: „Wollen wir unsere Innenstädte zu Champions machen, müssen alle Beteiligten ein Bekenntnis ablegen zur Schönheit der Stadt.“ Dieser Forderung kann auch Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Baukultur, beipflichten: „Die beliebtesten Innenstädte sind jene mit gut erhaltener historischer Bebauung.“ Der Niedergang zahlreicher Citylagen sei ein „zum Teil selbst gemachtes Elend“.

Zentralitätsverlust auffangen

Um den Verlust von Zentralität aufzufangen, fordert Nagel Restriktionen für den Onlinehandel in Form einer Sondersteuer, des weiteren Schließungszeiten und eine Internetmaut. Zudem plädiert er dafür, Supermärkte aufzustocken, das sektorale Denken der Ämter aufzubrechen, das Zusammenwirken aller Verkehrsträger zu organisieren, Events und Märkte zu veranstalten und die Erdgeschosse als bisherige Haupteinnahmequellen für Vermieter künftig querzufinanzieren. Nagel: „Immerhin ist der Handel für 60 Prozent der Innenstadtbesucher der bestimmende Grund für ihr Kommen.“

An Ideen mangelt es also nicht. Und so bilanziert der HDE-­Hauptgeschäftsführer zum Abschluss der Diskussion gedämpft hoffnungsvoll: „Wir sind uns bewusst, dass wir als Handel nur ein Teil der Innenstadt sind – aber das wollen wir auch morgen noch sein.“

Das Statement von Bundesstiftung Baukultur, Deutschem Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Handelsverband Deutschland und Urbanicom anlässlich des „Handelsdialogs Baukultur“ steht hier zum Download bereit.

Schlagworte: Handelsdialog Baukultur, Coronakrise, Coronavirus

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