Regina Haas-Hamannt arbeitet als Innovationsleiterin bei GS1 Germany. Unter anderem beschäftigt sie sich damit, welche Chancen die Blockchain-Technologie dem Handel eröffnet und wie sich diese in der Praxis realisieren lassen. Bereits vor drei Jahren initiierte GS1 Germany ein Projekt zum blockchainbasierten Ladungsträgermanagement, dessen Leitung Haas-Hamannt innehatte. Ziel war es, mittels Blockchain den Palettentausch in der Logistik effizienter und transparenter zu verwalten. Beteiligt waren 35 Unternehmen, die auf Basis echter Daten und Prozesse den Praxistest machen wollten – am Beispiel der Digitalisierung des Palettenscheins.
Das Vorhaben kam mittlerweile zu einem erfolgreichen Abschluss, nun läuft das Folgeprojekt „Block4Log“, das einen großen Schritt weitergeht: In diesem bundesweit ersten unternehmensübergreifenden Ladungsträgermanagement haben 19 Firmen partnerschaftlich eine blockchainbasierte, marktreife Lösung konzipiert. Mit dieser lässt sich der Tausch von unterschiedlichen Ladungsträgern digital, transparent und effizient verwalten. Gemeinsames Ziel ist es, mittels Blockchain in Verbindung mit Standards Kompatibilität und Synergieeffekte zu schaffen. „Das Ladungsträgermanagement betrachten wir nur als einen von vielen weiteren möglichen Anwendungsfällen – wie etwa Nachhaltigkeitstracking oder Rückverfolgungen –, die sich auf Basis der gemeinsamen digitalen Infrastruktur abbilden ließen. Block4Log verfolgt die Vision, ein vollständiges Ökosystem abzubilden“, sagt Haas-Hamannt.
Im Kern handelt es sich bei Blockchain um eine gemeinsam genutzte Datenbanktechnologie: Jeder Teilnehmer innerhalb eines Netzwerks sieht und prüft den kompletten und für alle identischen Datensatz. „Die Technik schafft Transparenz – und zwar simultan. Sie gilt bei anwendungsfallspezifischer Realisierung als manipulationssicher“, erklärt Themo Voswinckel, Projektmanager am FIR, einer gemeinnützigen, branchenübergreifenden Forschungs- und Ausbildungseinrichtung an der RWTH Aachen. Zum Beispiel arbeitet der Forscher an einer Blockchain-Idee mit, um Lebensmittel lückenlos von der Erzeugung bis zum Verkauf rückverfolgen zu können. „Die angestrebte Lösung soll ein hohes Maß an Fälschungssicherheit gewährleisten und bedarf keiner zentralen dritten Instanz“, betont Voswinckel.
Ziel ist es, durch die Rückverfolgung mögliche Gesundheitsgefährdungen durch Lebensmittel schnell zu identifizieren und diese dann im Handel rasch isolieren zu können. Am Ende stehen ein verbesserter Konsumentenschutz, gezieltere Rückrufaktionen sowie eine bedarfsgerechte Versorgung mit Lebensmitteln. Namhafte Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen wie GS1 Germany oder die Lidl Stiftung beteiligen sich an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Sichere Lebensmittelkette“ (SiLKe). Im Mai 2022 sind die Ergebnisse zu erwarten.
Block4Log dagegen startet aktuell in die nächste Phase. In der Initiative arbeiteten bisher Handelsunternehmen wie Edeka, Markant, Colruyt und Lidl mit. Hinzu kommen Hersteller sowie Vertreter der Logistikbranche, aber auch Berater vom Fraunhofer-Institut und von PwC. „Aktuell steht der schwierigste Schritt bevor: die Gründung des Konsortiums. Die erarbeiteten Konzepte sollen im Rahmen einer Genossenschaft realisiert werden“, erklärt Haas-Hamannt. Jedes Unternehmen, das an der Wertschöpfungskette beteiligt ist, kann mitmachen. „Wir sind aktiv auf der Suche nach Beteiligten; der Handel ist ebenso angesprochen wie Hersteller, Logistik- und IT-Dienstleister“, wirbt Haas-Hamannt.
Themo Voswinckel rät Mittelständlern, sich für das Thema zu interessieren: „Unternehmer sollten an Workshops teilnehmen, in denen die Blockchain-Technologie und ihre Leistungsfähigkeit erklärt werden. Es ist wichtig, am Ball zu bleiben.“ Händler sollten sich fragen, in welchen Netzwerken sie aktiv sind und welche ihrer Prozesse sich mithilfe von Blockchain optimieren ließen. Voswinckel: „Typische Anwendungsgebiete sind beispielsweise der Austausch von Dokumenten, automatisierte Zahlungen oder komplexe Verwaltungsvorgänge.“
„Die Grundlage ist gegenseitiges Vertrauen“
Regina Haas-Hamannt, Lead Innovation + Academy bei GS1 Germany, beschäftigt sich intensiv mit der Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie für den Einzelhandel. Im Interview erklärt sie, wie sich kleine und mittlere Händler schon jetzt vorbereiten können.
Die Blockchain hat erste Praxistests im Handel bestanden. Welche weiteren Entwicklungen sind abzusehen?
Langfristig verfolgen wir das Ziel, einen Standard zum Palettenmanagement zu realisieren, an dem sich alle Unternehmen beteiligen können und der sich am Markt etabliert. Wir sind dabei, in einem ersten Schritt größere Unternehmen anzusprechen, sich an der Entwicklung zu beteiligen. Allerdings kommen sehr unterschiedliche Interessen zum Tragen, was die Abstimmung kompliziert macht. Am Ende wird es nur gelingen, wenn sich die Unternehmen einen Mehrwert versprechen und sich sowohl mit ihrem Know-how als auch finanziell einbringen. Grundlage der Blockchain ist gegenseitiges Vertrauen, da sie Datentransparenz schafft und sich dadurch die Zusammenarbeit grundlegend ändert. Wir verfolgen einen komplett neuen Ansatz und wollen die Beteiligten vereinen.
Werden auch Mittelständler partizipieren?
Größere mittelständische Unternehmen können sich an der Entwicklung beteiligen, sofern das zu ihrer IT-Strategie passt – man muss organisatorisch und technisch mit anderen zusammenarbeiten wollen. Kleinere Betriebe können sich eher noch ein bis zwei Jahre zurücklehnen und die Marktdurchdringung abwarten.
Wie sollten sich Einzelhändler auf die neue Technologie vorbereiten?
Sie sollten den Prozess des Konsortialaufbaus im Blick behalten, um zu gegebener Zeit zu partizipieren. In der Zwischenzeit ist Hausaufgabenmachen in Sachen Digitalisierung und Automatisierung angesagt. Natürlich geht das nicht ohne finanzielles Engagement, beispielsweise um das Lager und die Warenannahme mit WLAN auszustatten. Denn es nützt die schönste blockchainbasierte App nichts, wenn der anliefernden Partei kein Netzzugang gewährt werden kann, weil es – etwa aufgrund der Bauweise der genutzten Logistikimmobilien – keine Netzabdeckung gibt.
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