Nachhaltigkeit als Modetrend? Über ignorante Händler und die Kunden von heute
Neulich auf einer Konferenz: Ein Vertreter des Einzelhandels fragt vom Podium aus in den Saal, welcher Trend wohl auf Nachhaltigkeit folgen würde. Wie bitte?

Neulich auf einer Konferenz: Ein Vertreter des Einzelhandels fragt vom Podium aus in den Saal, welcher Trend wohl auf Nachhaltigkeit folgen würde. Wie bitte?
Als mir der Gründer eines Luxusmodelabels – und zugleich dessen kreativer Kopf – von dieser Szene berichtete, war er angesichts von so viel Ignoranz immer noch fassungslos. „Nachhaltigkeit ist doch kein Trend, der irgendwann wieder verschwindet“, rief er. „Das ist eine Sache, die uns alle angeht. Und es sind vor allem die Verbraucher, die ihr Handeln immer mehr an Kriterien der Nachhaltigkeit orientieren.“
Die Modeindustrie steht unter hartem Beschuss, weil zunehmend kritische Verbraucher die schweren Umweltbelastungen, die aus der Massenfertigung von Textilien resultieren, nicht länger akzeptieren wollen. Ganz zu schweigen von den Bedingungen, unter denen die Beschäftigten in den häufig von großen westlichen Handelsunternehmen beauftragten Fabriken der Schwellenländer arbeiten – nicht selten in unüberschaubaren Outsourcing-Zusammenhängen. Doch die sogenannten Fast-Fashion-Anbieter geraten zunehmend in die Kritik. Denn ihr Konzept der „Wegwerfmode“ funktioniert nur ohne Rücksicht auf die für die Produktion notwendigen natürlichen Ressourcen sowie die wachsenden Müllberge aus entsorgter Kleidung.
Auch wenn der Handel inzwischen auf diese Missstände reagiert, bleibt noch viel zu tun. Das zeigt auch der jüngste Pulse Report, veröffentlicht von der Global Fashion Agenda Group, in der die meisten Mode- und Luxuslabels vertreten sind. Von den befragten Führungskräften der Branche gaben 52 Prozent an, dass nahezu jede strategische Entscheidung auf Grundlage sozialer und ökologischer Prinzipien erfolge. Auch wenn sich im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 18 Prozent zeigt, gibt es nach wie vor eine beträchtliche Zahl von Unternehmen, die noch nicht so weit sind.
Für Händler gehören Recycling und Upcycling zu den wichtigsten Themen in der Nachhaltigkeitsdebatte. So verteidigte vor Kurzem ein leitender Manager von H&M in einem Radio-interview sein Unternehmen nicht nur mit dem Verweis auf die veränderten Produktionsmethoden der Fast-Fashion-Industrie, sondern wusste auch zu berichten, dass der Konzern sich zudem verstärkt für Recycling einsetze, so wie viele andere Händler inzwischen auch. Zum Beispiel Ikea: Die jüngst in Großbritannien eröffnete Filiale des schwedischen Möbelhauses bietet eine Upcyclingkollektion an, der sehr zu Recht große mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde.
In diesem Zusammenhang fällt mir Chip Bergh, CEO der Jeansmarke Levi’s, wieder ein, der zu Beginn des Jahres auf der NRF Big Show* in New York freimütig über die Verantwortung und die Herausforderungen berichtete, denen ein so bekanntes Label wie Levi’s gegenübersteht. Leidenschaftlich sprach er über die „Führung durch Werte“, also durch die Überzeugung, das Richtige zu tun. Er nennt diesen Ansatz: „Rendite dank Prinzipien“.
Doch kein Weckruf hat Politiker und Unternehmer so aufgeschreckt wie die überwältigende Unterstützung für die junge schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg. Ihr Schulstreik für das Klima ist inzwischen eine globale Bewegung. In Großbritannien wurden streikende Schüler von einem Minister der Regierung verächtlich als „Schulschwänzer“ tituliert – bis ihn jemand um etwas mehr Respekt für die Anliegen der jungen Menschen bat und darauf hinwies, dass es sich bei den streikenden Schülern um die Wähler von morgen handelt. Für den Handel sind sie die Kunden von heute.
Schlagworte: Ian McGarrigle, Kolumne, Nachhaltigkeit, Mode
Kommentare