Wir leben in schwierigen Zeiten. Die Gesellschaft, aber auch Unternehmen und ganze Branchen sehen sich aktuell mit multiplen Krisen konfrontiert – von der Klimakrise über die noch immer anhaltenden Herausforderungen durch die Coronapandemie und den Ukrainekrieg bis hin zu Lieferkettenstörungen, Energieengpässen und steigender Inflation. Den Lebensmittelhandel treffen diese Entwicklungen besonders hart: 67,3 Prozent der Deutschen berichten von veränderten Prioritäten beim Einkauf, deutsche Einzelhändler verzeichneten Mitte 2022 den größten Umsatzeinbruch seit 1994.
Angesichts dieser Masse an Herausforderunegn fällt der Umgang mit den einzelnen Problemen schwer. Viele Lebensmittelhändler sehen sich in der aktuellen Situation mit der Frage konfrontiert, auf welche Krise sie als Unternehmen zuerst reagieren wollen – und müssen. Alle Herausforderungen gleichzeitig anzugehen wird, schon rein wirtschaftlich, nicht funktionieren. Gerade deswegen ist es wichtig, Strategien zu erarbeiten, die Unternehmen langfristig und nachhaltig handlungsfähig und krisensicher machen.
Die folgenden drei strategischen Ansätze helfen dabei, die aktuellen Herausforderungen effizient anzugehen:
#1 Günstige Alternativen anbieten
Laut aktuellen Umfragen verändert sich das Einkaufsverhalten der Konsumenten, insofern sie anders als zuvor priorisieren. Biologisch und nachhaltig angebaute oder hergestellte Lebensmittel lassen sieben von zehn Befragten im Regal liegen – ihre Wahl fällt nun auf günstigere Angebote.
„Forced Frugalism“ (zu Deutsch: erzwungene Sparsamkeit) nennt sich dieses Phänomen, das sich verstärkt in Krisenzeiten beobachten lässt. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Menschen insgesamt seltener einkaufen und dann auch sehr genau prüfen, welche Produkte und Waren wirklich essenziell oder eben doch verzichtbar sind. Für Lebensmittelhändler ist dies zunächst eine schlechte Nachricht. Es gibt jedoch auch eine gute: Auch in Krisenzeiten bleiben Menschen ihren Stammhändlern, deren Plattformen und Kanälen in der Regel treu.
Darin liegen die Chancen für Unternehmen: Mit der richtigen Reduktionsstrategie kann es Händlern auch in einer Rezession gelingen, Wachstum zu generieren. Etwa indem sie die Bandbreite an Eigenmarken erweitern. Tatsächlich steigen Konsumenten in Deutschland bei Lebensmitteln vermehrt auf Eigenmarken um – vor allem bei frischen (74 Prozent) und verarbeiteten (73 Prozent) Lebensmitteln besteht eine große Bereitschaft, neue, günstigere Produkte auszuprobieren.
Auch der Fokus auf eine kleinere Zielgruppe als bisher, deren Bedürfnisse die Marke befriedigt und damit auch in Krisenzeiten an sich bindet, lohnt. Ein Beispiel dafür ist Iceland. Die britische Supermarktkette gewährt allen Kunden, die älter als 60 Jahre sind, zehn Prozent Rabatt auf alle Waren. Und Studierende, Auszubildende und Schüler erhalten deutschlandweit bei Alnatura dienstags acht Prozent Rabatt auf ihren gesamten Einkauf.
#2 Partnerschaften eingehen
Seit kurzem liefert Lieferando Backwaren für Dat Backhus, Lebensmittel für Tegut sowie im Auftrag des türkischen Lebensmittelfabrikanten Getir aus. Gerade in Krisenzeiten sind diese Art Partnerschaften Gold wert, führen sie doch zu beidseitigem Wachstum und beidseitiger Sicherheit. Zudem reduziert sich das (Verlust-)Risiko für beide Partner.
#3 Innovationen: Wenn nicht jetzt, wann dann?
In Krisen ist das eigene Portfolio auf Herz und Nieren zu prüfen. Durch die Konzentration auf bewährte Produkte sowie die Überarbeitung des Portfolios lässt sich der Break-Even-Point schneller erreichen und die Investmentsicherheit stärken. Im Lebensmittelhandel geht dies oft mit dem Ausbau von Top-Sellern einher, während Experimente auf Eis gelegt werden. Tatsächlich meldeten hiesige Einzelhändler in den letzten fünf, recht krisengeprägten Jahren viel weniger Patente an als ihre internationalen Pendants. Dabei stammen die meisten Patente von Aldi, Edeka, Rewe, Lidl & Co. aus Erfindungen und Innovationen in eher traditionellen Bereichen: Das Hauptaugenmerk lag bislang auf Produktpräsentationen, Kassensystemen und der Zubereitung von Speisen.
Diese verhaltene Innovationsbereitschaft könnte in Zeiten der Unsicherheit, in denen es für viele Unternehmen ums nackte Überleben geht, zum Nachteil werden. Denn gerade jetzt sind Mut und Experimentierfreude als Innovationstreiber gefragt – etwa, wenn es um die Optimierung bestehender Kanäle und Prozesse geht. So tritt der Kosmetikfilialist Douglas beispielsweise online nicht mehr nur als Händler, sondern auch als Marktplatzbetreiber auf. Kaufen kann man dort nicht allein Beauty-Produkte, sondern auch Artikel aus den Kategorien Gesundheit, Accessoires und Home & Living. Außerdem vermarktet Douglas auf der Plattform Werbeplätze und sorgt damit für zusätzliches Geschäft abseits des Kernbusiness.
Die Krisen, denen wir aktuell ausgesetzt sind, werden uns voraussichtlich noch eine Weile beschäftigen. Es wäre naiv zu glauben, solche Situationen einfach aussitzen zu können. Nun kommt es darauf an, dass Unternehmen sich selbst und ihre Leistungen hinterfragen und ihr Geschäftsmodell durch gezielte Innovationen bereichern, um langfristig handlungsfähig zu bleiben und neues nachhaltiges Wachstum zu generieren.
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