KI-Technologien findet man im Handel aktuell vermehrt im BackstoreBereich. Doch auch durch einige Entwicklungen im Frontstore bemerken Kundinnen und Kunden Veränderungen. Ist die Zeit langer Kassenschlangen bald vorbei? Wirft man einen Blick auf Rewe, kann man zu diesem Schluss gelangen: Die Supermarktkette eröffnete gerade ihre vierte Pick& GoFiliale in Deutschland. Das mag nicht viel klingen. Doch kassenlose Supermärkte sind hierzulande, im Gegensatz zu den USA beispielsweise, noch nicht allzu verbreitet. Die Pick& GoFilialen ermöglichen es Kunden, mithilfe einer zugehörigen App ihren Einkauf zu erledigen und das Geschäft wieder zu verlassen, ohne ihre Artikel einzeln scannen zu müssen. Kameras und Wiegezellen in den Regalen erfassen alle Produkte im Warenkorb, bezahlt wird mit der in der App hinterlegten Bezahlmethode.
Neben diesen „Smart Stores“ gibt es weitere Ladenformate, die einen 24/7Einkauf vollkommen ohne Personal bieten. Vorgemacht hat es der Lebensmittelhändler Tegut mit „teo“. Mittlerweile sind aber auch Lösungen von anderen Anbietern im Einsatz, vor allem in ländlichen Regionen. Während die „Walkin“ Geschäfte mit SelfScanning oder Pick & Go arbeiten, bestellen Kunden bei „Automated Boxes“ via Terminal oder App ihre Waren. Roboterbasierte Technologien stellen diese dann in einem Ausgabefach bereit. Dabei handelt es sich typischerweise um ein reduziertes Sortiment.
Weniger innovativ, aber umso verbreiteter sind SelfCheckoutKassen, an denen Kunden ihre Waren selbst scannen und am Automaten bezahlen. ComputerVisionLösungen, also „maschinelles Sehen“, vereinfachen und beschleunigen den Kassier- und Bezahlvorgang, da die Software die Produkte sekundenschnell anhand ihrer Form und Farbe erkennt. Problematisch sind hierbei große Einkäufe, da sich Produkte in der Regel nicht überlagern dürfen. Bei verwandten Konzepten, wie beispielsweise bei der von Decathlon eingesetzten RFID-Erkennung, besteht dieses Problem nicht: Anhand der speziellen Labels werden Waren im Einkaufskorb automatisch erkannt statt einzeln gescannt.
Planungssicherheit deutlich erhöhen
Besonders in größeren Städten setzen sich On-Demand durch. Last-Mile-Konzepte müssen neu gedacht werden, denn Kunden erwarten schnelle Lieferungen. Unternehmen kommen daher kaum umhin, sich mit diversen Herausforderungen auseinanderzusetzen: kleine Sendungen, eine immer größere Anzahl an Teilladungen, 24-Stunden-Verfügbarkeit und mehr. Eine Echtzeit-Routenoptimierungslösung auf Basis von Künstlicher Intelligenz sorgt dafür, dass Zusteller beispielsweise die Lieferzeiten verkürzen können.
Besonders seit der Coronapandemie bieten immer mehr Händler „Click & Collect“ an: Konsumenten können online ihre Einkäufe auswählen und sie in der Filiale abholen. Hier kann ein sogenannter „Digitaler Zwilling“ im Hintergrund helfen. Dieses Datenabbild der Filiale enthält Informationen zu den Beständen, aber auch Informationen über die Produkte (Größe, Gewicht, Regalstandort etc.). Diese Informationen stellen sicher, dass online angebotene Produkte verfügbar sind, und erleichtern den Mitarbeitern die Zusammenstellung der Lieferungen durch optimierte Laufwege.
Abverkaufsprognosen, Store-Layout, Werbeplanung, Dynamic Pricing: In all diesen Bereichen kann Forecasting in Form von KI-Algorithmen dabei unterstützen, Prozesse zu verbessern. Es geht darum, Prognosen zu erstellen, die möglichst genau und transparent sind. So wird die Planungssicherheit deutlich erhöht, Händler erlangen ein präziseres Bild davon, welche und wie viele Waren an einzelnen Tagen im Geschäft benötigt werden. Das wirkt sich nicht nur auf die Einkaufs- und Bestandsplanung, sondern auch auf die Nachhaltigkeit aus.
Präzises Zielgruppenwissen erlangen
Im Bereich des Category Management geht es vor allem darum, Kunden ein möglichst angemessenes Sortiment zu präsentieren. Mithilfe von Datenanalysen ist es bereits heute möglich, durch passende Preise, die richtige Werbung und die optimale Platzierung von Produkten zum Lieblingsgeschäft zu werden. Voraussetzung dafür ist, präzises Wissen von der Zielgruppe zu haben, beispielsweise durch Warenkorbanalysen. Speziell Onlinehändler können durch eine Analyse des bisherigen Verhaltens (Verweildauer, Klick- und Kaufverhalten in Onlineshops) mithilfe von KI auch die Werbeausspielung personalisieren. Durch Mustererkennung wird Werbung zum richtigen Zeitpunkt mit relevanten Inhalten oder personalisierten Rabatten ausgespielt. Mustererkennung ist auch die zugrunde liegende Technik für dynamische Preisanpassungen. Auf Basis dieser Modelle passen Händler ihre Preise vollautomatisch und in Echtzeit an das aktuelle Verhalten ihrer Kunden an.
In Zukunft kommen vermehrt Computer-Vision-Lösungen zum Einsatz. Über das maschinelle Sehen bei Self-Checkouts hinaus wird sich die Technologie als Grundlage für Digitale Zwillinge und damit zusammenhängende Mehrwerte weiter etablieren. Die visuelle Ermittlung von Fehlbeständen macht eine verbesserte Warenplanung möglich, Regallücken werden schneller geschlossen. Laufwege können noch besser optimiert werden. Durch eine verstärkte Vernetzung von online und offline können Händler ihren Kunden außerdem verbesserte Angebote und Services unterbreiten. Computer Vision ist in der Lage, demografische Kundenstrukturen zu erfassen, die Informationen darüber liefern, wer wann vermehrt im Geschäft einkauft und Interesse an bestimmten Produkten hat (zum Beispiel durch eine längere Verweildauer). Auf mobilen Endgeräten können datenschutzkonform passgenauere Anzeigen ausgespielt werden, ohne Personen direkt zu identifizieren.
KI avanciert zum essenziellen Begleiter
Auch Robotik ist weiter auf dem Vormarsch: In Zukunft werden Serviceroboter, ausgestattet mit Laserscanner, 3-D-Kamera und Sensoren, dafür sorgen, dass Regale gescannt und automatisiert wieder befüllt werden.
Und das Metaverse? Die Entwicklung scheint aktuell noch weit vom Handelsalltag entfernt. Dennoch testen einige Marken im Bereich Mode, Beauty und Luxussegment bereits aus, wie sie das Metaverse nutzen können, um neue Kundenerlebnisse zu erzeugen, zum Beispiel mithilfe von Communitys. Da die Grundidee, eine gemeinsame „Onlinewelt“, in der virtuelle Welt, erweiterte Realität und die reale Welt miteinander verschmelzen, noch nicht existiert, heißt es allerdings dranzubleiben.
Besonders deutsche Kunden stehen Künstlicher Intelligenz zum Teil noch skeptisch gegenüber – vor allem, wenn es um den Schutz persönlicher Daten geht, aber auch, was Technikaffinität generell betrifft. Innovationen im Handel werden daher in anderen Ländern häufig schneller vorangetrieben und umgesetzt. Der Einblick in die vielfältigen Einsatzfelder von KI zeigt jedoch, dass der Handel in verschiedensten Bereichen profitieren kann, wenn er sich mit den Innovationen auseinandersetzt. Denn die Technologie hat sich zum essenziellen Begleiter im Handel entwickelt – und ist noch längst nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt.
Frederic Kerber ist Leiter des Innovative Retail Laboratory (IRL) des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und Projektreferent des Mittelstand-Digital Zentrum Handel. Das Mittelstand-Digital Zentrum Handel unterstützt Händlerinnen und Händler bei der digitalen Transformation. Es beschäftigt sich mit Fragestellungen rund um den Handel der Zukunft. Gefördert durch die Initiative Mittelstand-Digital des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, steht das Zentrum Händlern kostenlos mit Rat und Tat zur Seite. Weitere Informationen unter: digitalzentrumhandel.de
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