Der Schlussverkauf

Alles muss raus!

Alle Jahre wieder: Zur Schlussverkaufszeit locken die Händler mit dicken Rabatten – und das schon seit mehr als einhundert Jahren.

Von Marvin Brendel 27.07.2021

© Weychardt Ullstein

Land der Schnäppchenjäger: Im August 1990 strömten erstmals wieder Kunden aus dem Osten Deutschlands zum Sommerschlussverkauf ins Kaufhaus des Westens.

Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Mit dem als Gründerkrach bezeichneten Börsencrash von 1873 findet die erste Phase der industriellen Revolution ein jähes Ende. Es folgen knapp zwei Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation beziehungsweise eines deutlich verlangsamten Wachstums. Entlassungen und Lohnkürzungen führen zu Kaufkraftrückgang und Konsumzurückhaltung.

Gleichzeitig suchen Konsumgüterhersteller und Kaufleute nach Wegen, ihre in den Boomjahren zuvor aufgebauten Überkapazitäten auszulasten und vorhandene Bestände abzusetzen. Als sehr erfolgreich erweist sich dabei das Konzept der von Wanderhändlern an wechselnden Orten organisierten Ausverkäufe. Ihre Waren erwerben die Händler unter Ausschaltung des Zwischenhandels direkt bei den Herstellern. Dadurch und weil die Produkte oft von minderer Qualität sind, können sie die bei einem Ausverkauf erwarteten Preisnachlässe bieten.

Bei den lokalen Kaufleuten mehren sich bald die Beschwerden über die neue Konkurrenz. Sie kritisieren vor allem die Nutzung der Bezeichnung Ausverkauf. Diese würde die tatsächliche Räumung eines vorhandenen Warenbestandes zu stark reduzierten Preisen nahelegen. Stattdessen schöben die Verkäufer aber immer wieder Waren nach, bis die Nachfrage an einem Ort befriedigt sei.

Gesetzliche Regelung gefordert

Die Klagen finden im Jahr 1896 ihren Niederschlag im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Dessen erste Paragrafen richten sich gegen die trügerische Reklame, worunter auch die unlautere Verwendung des Wortes „Ausverkauf“ fällt. Doch das Gesetz ist zu vage gefasst. Schon im Folgejahr erklärt das Reichsgericht das Nachschieben von Waren weiterhin für zulässig.

Der Handel fordert eine rasche Anpassung des Gesetzes. Doch erst 1909 wird es in einer neuen Fassung beschlossen. Ausverkäufe mit Warennachschub oder mit lediglich für diesen Zweck herbeigeschafften Waren sind nun ausdrücklich verboten. Über Anzahl, Zeit und Dauer der „im ordentlichen Geschäftsverkehr üblichen“ Saison- und Inventurverkäufe sollen künftig die regionalen Verwaltungsbehörden entscheiden.

Bis zum Ersten Weltkrieg erlassen diese fast überall weitgehend vergleichbare Verordnungen. Diese sehen neben wenigen Ausnahmen, etwa wegen einer Geschäftsaufgabe, oft nur noch zwei Saisonausverkäufe pro Jahr vor. Auch die Palette der „ausverkaufbaren“ Produkte wird stark beschnitten. Bekleidung und Schuhe sind erlaubt, Uhren, Lebensmittel, Drogerieartikel, Metallwaren, Hüte oder Schirme hingegen nicht.

In den folgenden Kriegs- und Krisenjahrzehnten ersetzen Bezugsscheine und Rationierungen überwiegend das von Angebot und Nachfrage getragene Prinzip der Marktwirtschaft. Auch in den ersten Nachkriegsjahren prägen weiter Zuteilung und Schwarzmarkt statt Warenüberfluss und Schlussverkäufen den Handel. Der Neuanfang kommt mit der Währungsreform von 1948, die Regale in den Geschäften füllen sich wieder.

Ritualisierte Rabattschlacht

1950 führt das Bundeswirtschaftsministerium mit der „Verordnung über Sommer- und Winterschlussverkäufe“ erneut bundesweit einheitliche Regelungen für Saisonausverkäufe ein. Fortan sind pro Jahr wieder zwei Saisonschlussverkäufe zu je zwölf Werktagen möglich: der Winterschlussverkauf (WSV) ab dem letzten Montag im Januar und der Sommerschlussverkauf (SSV) ab dem letzten Montag im Juli. Weiterhin sind nur bestimmte Warengruppen für den Schlussverkauf zugelassen, darunter vor allem saisonale Bekleidung, Textilien, Lederwaren, Schuhwaren und Sportartikel.

In der westdeutschen Konsumgesellschaft werden die Schlussverkäufe rasch zu einem kollektiven Ritual. Noch heute erinnern sich viele an Szenen, in denen gleich nach Öffnung der Läden Kundenmassen die Angebotsflächen stürmen, eng gedrängt die Warentische durchwühlen und miteinander um die besten Schnäppchen ringen. Doch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts beginnt eine langsame Abkehr vom Grundkonzept des Schlussverkaufs.

Saisonverkäufe nach Belieben

Als angehende Reiseweltmeister kaufen die Deutschen beispielsweise auch noch im Herbst Badehosen und Sandalen für den Strandurlaub. Zudem bringen immer mehr Modeunternehmen mehr als nur eine Sommer- und eine Winterkollektion pro Jahr heraus, was die Halbwertzeit der Kollektionen in den Läden deutlich verkürzt.

Mit neuen Bezeichnungen wie Sonderangebot, Teilausverkauf oder Aktionswoche wollen Handelsunternehmen die starren Ausverkaufsregeln unterlaufen und das ganze Jahr über aus der Mode gekommene Waren noch günstig losschlagen. 2004 wird das Wettbewerbsgesetz den veränderten Gegebenheiten angepasst und die bundesweit einheitlich terminierten Sommer- und Winterschlussverkäufe werden offiziell abgeschafft. Saisonausverkäufe sind nun nach Belieben möglich.

Gleichzeitig wird die Beschränkung auf klassische Saisonartikel aufgehoben. Doch bis heute beteiligen sich viele Händler weiterhin am nun „freiwilligen“ Schlussverkauf zu einem festen Datum. So heißt es auch dieses Jahr wieder ab Ende Juli in vielen Geschäften: „Sommerschlussverkauf – alles muss raus!“ 

Schlagworte: Schlussverkauf, Einzelhandel, Handel, Sommerschlussverkauf

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